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Rassistische Hetze

Tschechische Neonazis demonstrieren in Nordböhmen gegen Roma

Von Carmela Negrete, Novy Bor *

Für den Wirt des Restaurants am malerischen Markt im tschechischen Rumburk, wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze, ist schon die Frage eine Zumutung. »Nein, Zigeuner bekommen bei mir nichts«, sagt er jedem, der sich nach den in der Stadt lebenden Roma erkundigt. Mit seiner Abneigung gegen diese Volksgruppe ist er nicht allein. Seit Monaten gibt es Auseinandersetzungen zwischen Teilen der alteingesessenen tschechischen Bevölkerung und Hunderten zugezogenen Roma.

Am Samstag (10. Sept.) demonstrierten in Rumburk, in der benachbarten Gemeinde Varnsdorf und in Novy Bor Hunderte Neonazis gegen die Roma. Organisiert wurden die Veranstaltungen von der rechtsextremen »Arbei­terpartei für soziale Gerechtigkeit« (DSSS). Als Grund für ihren Aufmarsch verwies diese auf Auseinandersetzungen Anfang August in Novy Bor. Dabei hatten einige Roma-Jugendliche Besucher einer Bar verletzt, worauf in den Medien eine Kampagne über »rassistischer Roma-Gewalt« entfacht worden war. Daß diese ethnische Minderheit in Tschechien seit Jahren diskriminiert wird und sie die Kürzung der Sozialhilfe besonders hart traf, wurde dabei verschwiegen. Seit Monaten bieten dubiose Immobilienfirmen den Roma zudem Abfindungen von ein paar tausend Euro an, wenn sie ihre Häuser in den lukrativen Innenstadtlagen der großen Städte verlassen und in kleine Gemeinden am Rande des Landes ziehen.

Samstag nachmittag in Novy Bor: Die Stadt ist im Ausnahmezustand. Hunderte schwerbewaffnete Polizi­sten, teilweise vermummt, sichern den Marsch von etwa 300 militanten Neonazis vom Bahnhof in die Innenstadt. Am Straßenrand stehen Einwohner und applaudieren den Parolen skandierenden Faschisten. Offiziell distanziert sich die DSSS von ihrer militan­ten Klientel. Gegenüber junge Welt bestreitet der regionale Parteichef Jindrich Nestler, daß seine Partei rassistische Ressentiments schürt: »Wir sind weder links noch rechts, sondern die Stimme des Volkes.« Die »guten Zigeuner« könnten ja bleiben, »aber die Terroristen sollen gehen«, fordert er. Seine Anhänger brüllen derweil weiter rassistische Parolen.

Die Opfer des Hasses sitzen ein paar Straßen weiter vor einer völlig heruntergekommenen Baracke. Hier leben 30 der insgesamt 1000 Roma von Novy Bor. Vor dem Hintergrund der Ereignisse sind sie mißtrauisch geworden. »Bitte nicht fotografie­ren«, sagt eine junge Frau. Eine Sozialarbei­terin, die ihren Namen nicht sagen will, zeigt dann doch das Haus. Die Lebensumstände sind katastrophal. Teilweise wohnen komplette Familien in winzigen Zimmern, in denen sie leben, essen und schlafen müssen. Im benachbarten Varnsdorf leben die Roma im früheren Hotel »Sport«. Einer von ihnen ist Roman. Zusammen mit seiner Frau und drei Kindern haust der 27jährige in drei winzigen Räumen des völlig verwahrlosten Komplexes. Auch er erzählt von Immobilienunternehmen, die vom So­zialamt viel Geld für diese Unterkünfte kassieren. »Die Hälfte der Einwohner hier ist rassistisch, aber viele Menschen sind gut«, betont Roman.

Nicht weit entfernt steht der örtliche DSSS-Vorsitzende Jiri Morawez neben der Bühne und spricht zu den Neonazis. »Die Politiker im Rathaus sind untätig, deshalb müssen wir das Gesetz selbst in die Hand nehmen«, ruft er. Im Nachbarort Rumburk, wo die Rechten an diesem Tag ebenfalls aufmarschieren, demonstrieren Antifaschisten gegen die Romahetze. Etwa 50 junge Leute sind mit einem Bus extra aus Prag angereist, um die DSSS-Veranstaltung zu stören.

* Aus: junge Welt, 12. September 2011


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