Koalition in Prag einigt sich
Sozialdemokraten (ČSSD), Christdemokraten (KDU-ČSL) und die Partei des Milliardärs Andrej Babis (ANO) haben sich in Prag auf einen Koalitionsvertrag verständigt
Von Olaf Standke *
Ohne dramatische Nachtsitzung geht es also auch in Prag nicht: Der Mittwoch war längst angebrochen, als sich die Unterhändler nach zum Teil zähen Verhandlungen über die letzten strittigen Punkte des Koalitionsvertrages für eine neue tschechische Regierung in den Bereichen Gesundheit und Steuern einigten. So werden etwa die Gebühren für Rezepte und ambulante Behandlung abgeschafft, die Notambulanz dagegen bleibt kostenpflichtig. Der Mindestlohn soll schrittweise bis auf 40 Prozent des Durchschnittsgehalts von umgerechnet 950 Euro angehoben werden. Es wird künftig einen zweiten ermäßigten Mehrwertsteuersatz von fünf Prozent für Medikamente, Bücher, Kinderwindeln und Babynahrung sowie Steuervergünstigungen für Rentner geben. Die Unternehmensteuer und der Spitzensteuersatz sollen erst einmal nicht erhöht, eine angedachte Branchensteuer frühestens 2015 Thema werden.
Schon heute, so ČSSD-Chef Bohuslav Sobotka, könnte die Vereinbarung unterzeichnet werden, und zwar nicht nur von den Parteichefs. Der designierte Ministerpräsident wünscht sich die Unterschrift aller Koalitionäre im Parlament. Schließlich müssen in der nächsten Woche noch die Gremien der drei Parteien die über 40 Seiten billigen. Erst danach beginnen die Verhandlungen über die Ressortverteilung, die auch nicht einfach werden dürften. Die Christdemokraten als kleinster Bündnispartner mit lediglich 14 der 200 Parlamentssitze bestehen nach Presseberichten auf mindestens drei Ministerposten. ČSSD (50 Sitze) und ANO (47 Sitze) wollen ihnen nur zwei zugestehen. Auch Staatspräsident Milos Zeman hat schon erklärt, dass er auf die Besetzung Einfluss nehmen wolle, damit die künftige Regierung kompetenter werde als manch frühere. So könne er sich zwar ANO-Chef Babis – der sich gegen den Verdacht wehren muss, Mitarbeiter des ehemaligen Geheimdienstes StB gewesen zu sein – durchaus als Finanzminister vorstellen. Keinesfalls aber werde er den in der Presse als Außen- oder Verteidigungsminister gehandelten ANO-Politiker Martin Stropnicky ernennen. Ob das überhaupt möglich wäre, ist in Prag jedoch verfassungsrechtlich umstritten. Auch Lubomir Zaoralek, ein sozialdemokratischer Kandidat für das Außenamt, soll Zeman ein Dorn im Auge sein.
Die ČSSD war aus den vorgezogenen Neuwahlen Ende Oktober mit gut 20 Prozent der Stimmen zwar als Sieger hervorgegangen und stellt die stärkste Fraktion, doch hatte sie ihr Ziel von 30 Prozent deutlich verfehlt. Damit wurde auch eine angestrebte Minderheitsregierung unter Tolerierung der Kommunistischen Partei (14,9 Prozent) unmöglich. Inzwischen liegt die ČSSD in Umfragen sogar knapp hinter ANO.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Dezember 2013
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