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"Ohne Wasser gibt es kein Leben"

Tschad: Klimawandel verursacht Auswanderungswelle / Landwirtschaft und Fischerei betroffen

Von Kristin Palitza, Bol *

Dass der Klimawandel massive Fluchtwellen mit sich bringen kann, wird seit Längerem prophezeit. In der Sahelzone ist dies aber schon Realität. Der Tschadsee ist um 95 Prozent geschrumpft. Es gibt kaum noch Fische, die Felder ringsum verdorren. Die Menschen wandern ab.

Vom Austrocknen bedrohte Seen, stetig wachsende Wüsten, Temperaturen, die bis zu 50 Grad Celsius erreichen, und anhaltende Dürre, in der sogar Kamele verdursten. Was sich wie ein Horrorszenario anhört, ist in der Sahelzone bereits zur Wirklichkeit geworden. 20 Millionen Menschen sind hier laut UN-Angaben vom Hungertod bedroht.

Im zentralafrikanischen Tschad ist die Situation besonders prekär. Viele wandern ab. Für die Zurückbleibenden ist das Überleben beschwerlich. Fischer Paul Mbayon, der auf einer kleinen Insel im Tschadsee lebt, kann kaum seine Frau und zwei Kinder ernähren – das größte Süßwasserreservoir der Sahelzone ist so gut wie leer von Fischen. Jeden Morgen watet Mbayon mit großen Schritten in den See. Heute zappeln vier winzige Fische in den Maschen. »In den letzten zwei Tagen habe ich gar nichts gefangen«, seufzt der 39-Jährige. »Vor einigen Jahren waren unsere Netze jeden Tag voll mit großen Fischen. Wir haben so viel gefangen, dass wir sogar in Nigeria verkauften«, sagt er.

Tschadsee schrumpfte um 95 Prozent

Der Tschadsee, der an den Grenzen von Nigeria, Niger und Kamerun liegt, ist seit den 1960er Jahren um 95 Prozent geschrumpft. Die Gründe dafür sind fortschreitender Klimawandel, klimatische Instabilität, landwirtschaftliche Übernutzung und Bevölkerungsdruck. Innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte könnte der See völlig austrocknen.

»Immer mehr Menschen wandern ab«, sagt Ahmat Boukar, Bürgermeister von Bol. Der größte Ort am See hat in den letzten 20 Jahren die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Boukar zufolge gehen Männer nach Nigeria, Libyen oder Saudi-Arabien; sie schuften als Hilfsarbeiter oder Wachmänner. Andere verpflichten sich als Soldaten der tschadischen Armee. In den Dörfern bleiben hauptsächlich Frauen, Kinder und Senioren zurück.

Die schrumpfenden Wasservorräte führen auch zu wachsender Wüstenbildung und bedrohen den Viehbestand. Einstmals der Brotkorb des Landes, kann die Le-Lac- Provinz, die das Seeufer umfasst, sich kaum selbst ernähren.

Überdimensionierte, schlecht geplante Bewässerungsprojekte in Niger, Nigeria, Kamerun und Tschad haben große Wassermengen umgeleitet. Allein auf Tschads Seite wurden drei große Flussarme mit Dämmen abgeriegelt, die der Bewässerung von 140 000 Hektar Feldern dienen sollten. Wenige Jahre später reicht die Kapazität nicht mehr aus, um die Dämme zu füllen. »Wir befinden uns in einer Zwickmühle«, erklärt Faradj Dembell, Produktionsleiter der halbstaatlichen Entwicklungsgesellschaft der Provinz. »Wir brauchen den See zur Bewässerung unserer Felder. Doch gleichzeitig bedroht der hohe Wasserverbrauch den See.«

Landwirt Moussa Bulari, 49, aus Matafo zehn Kilometer außerhalb Bols hat dies bereits zu spüren bekommen. Vor gut drei Jahrzehnten, als er begann, seinem Vater auf dem Feld zu helfen, lag Matafo am Ufer des Tschadsees. »Wir hatten so viel Wasser, wie wir wollten. Heutzutage müssen wir graben, um Wasser zu finden, und mit jedem Jahr tiefer«, sagt er. Bularis Erträge sind drastisch geschrumpft. Vor zehn Jahren erntete er 5000 Kilo Getreide pro Hektar. Heute bringt er knapp die Hälfte ein. Seine Kühe, die täglich zehn Liter Milch gaben, geben nur noch zwei. Bulari, der drei Ehefrauen hat, sagt, die meisten seiner 15 Kinder sind unterernährt. Vier musste er beerdigen.

Auf Regen kann er sich auch nicht verlassen. Laut Berichten von Bauern hat es in der Gegend um Bol in diesem Jahr zum ersten Mal seit einer Dekade geregnet. Doch dies half wenig: Die Niederschläge zerstörten Felder und spülten die Saat aus dem Boden. Wenige haben Zugang zu fruchtbarem Land

In anderen Provinzen Tschads sieht es kaum besser aus. »Falls sich die Lebensbedingungen weiter verschlechtern, wird die Region die derzeitige Anzahl von Menschen nicht länger ernähren können«, warnt Jean-Luc Siblot, Landesdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen im Tschad. Er glaubt, die Sahelzone habe Potenzial, ausreichende landwirtschaftliche Erträge zu erbringen. Inmitten ihrer Dünen liegen hunderte von Oasen, die genutzt werden könnten. Doch weniger als zehn Prozent der Bevölkerung hat Zugang zum fruchtbaren Land.

In Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation FAO will das WFP dies ändern. »Wir sind im Begriff, mit den Eigentümern der Oasen Nutzungsrechte zu verhandeln, sodass viele arme Kleinbauern, deren Felder verdorrt sind, Äcker in Oasen mieten können«, sagt Belembaye Tongongar, Leiter der FAO-Kriseneinheit im Land.

Adji Goukouni, stellvertretendes Oberhaupt des Dorfes Mampel, hofft, dass die Verhandlungen bald positive Ergebnisse bringen werden. »Wir haben nichts zu essen, denn es ist seit Jahren zu trocken, um Getreide anzupflanzen«, klagt der 71-Jährige. »Der Großteil unserer Viehbestände ist verhungert. Sogar unsere Kamele sind tot.«

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2010

Zahlen & Fakten: Sahelzone

Im Jahr 2010 gab es eine Reihe von Umweltkatastrophen, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden. Dazu zählen insbesondere die schweren Überschwemmungen in Pakistan, Myanmar und Burkina Faso. Weniger Aufmerksamkeit erregte dagegen die anhaltende Dürre in der Sahelzone. Das Lebensmittelprogramm (WFP) der Vereinten Nationen sah sich deshalb Mitte des Jahres genötigt, Alarm zu schlagen: Insbesondere in den Staaten Niger, Tschad und Mali seien zehn Millionen Menschen von Hunger bedroht.

Nach jüngsten Angaben der Diakonie Katastrophenhilfe hat sich die Situation seither nicht entspannt. Allein im Nordwesten Tschads sei jedes vierte Kind unter fünf Jahren akut unterernährt. Auch die Ernte im September konnte laut einer Studie des National Bureau of Economic Research der Tufts University in Massachusetts daran nichts ändern. Während die Getreideernten in Subsahara-Afrika in diesem Jahr insgesamt deutlich stiegen, verzeichnete die Sahelzone sinkende Produktivität.

Die Sahelzone, ein rund 150 Kilometer breiter semiarider Streifen zwischen der Sahara und der Trocken- bzw. Feuchtsavanne Zentralafrikas, erstreckt sich über 6000 Kilometer vom Atlantik zum Roten Meer. Schwere Hungersnöte nach Dürren gab es hier bereits in den 70er und 80er Jahren. Seither hält der Trend unterdurchschnittlicher Niederschläge an. Kommt es zu schweren Monsunregenfällen, können diese auf den ausgetrockneten Böden zu massiven Überschwemmungen führen wie 2007, als Millionen Menschen obdachlos wurden.

Dies führen Wissenschaftler auf den Klimawandel und speziell die Erwärmung der umgebenden Meere zurück. Entscheidend für den Sahel-Niederschlag ist der Temperaturgegensatz zwischen Kontinent und Ozean. Ist dieser Gegensatz relativ gering, ist auch der Luftdruckgegensatz gering und der Sommermonsun schwach. ND




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