Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das Öl ist für die Bevölkerung ein Fluch

Delphine K. Djiraibé über die Kamerun-Tschad-Pipeline, die Weltbank und das Regime von Idriss Déby *


Die Weltbank wollte aus der Erdölförderung in Tschad ein Modellprojekt machen, das Armutsreduzierung und Entwicklung begünstigen sollte. über die Bilanz nach zehn Jahren Erdölförderung sprach mit Delphine K. Djiraibé für »nd« Martin Ling. Djiraibé ist Anwältin und Menschenrechtskämpferin in Tschad, 1994 hat sie den Tschadischen Verband zur Förderung und Verteidigung der Menschenrechte (ATPDH) gegründet.


Seit zehn Jahren läuft die Erdölförderung in Tschad. Die Weltbank hat ihre Projektkredite an ein Armutsbekämpfungsprogramm der Regierung geknüpft. Was ist daraus geworden?

Nichts. Statt zehn Jahre Armutsbekämpfung gab es zehn Jahre Tränen. Die Menschen in Tschad und insbesondere in den Ölförderregionen sind seitdem noch ärmer geworden. Es gibt keine adäquate Versorgung mit Trinkwasser, Strom, Wohnraum, Gesundheit und Bildung. Alle diese Bereiche sind mehr oder weniger kollabiert. Es gibt Menschen in der Nähe der Ölförderanlagen, denen es an all den beschriebenen Basisnotwendigkeiten fehlt. Viele Kinder gehen nicht zur Schule. Die Situation ist sehr schwierig. Die immensen Öleinnahmen von mehr als 10 Milliarden US-Dollar im letzten Jahrzehnt haben die korrupte Regierung um Idriss Déby gestärkt. Der Bevölkerung sind sie nicht zugute gekommen.

Wie reagiert die Bevölkerung auf diese Entwicklung?

Die Bevölkerung hat es schwierig. Die Regierung geht repressiv gegen Demonstranten vor und bedroht auch Menschenrechtler. Demonstrationen werden zusammengeknüppelt oder gar zusammengeschossen. Es wird nicht zugelassen, dass die Menschen für ihre Rechte eintreten. Menschen, die Kritik üben, landen nicht selten im Gefängnis wie ein Journalist und mehrere Oppositionspolitiker, die die Regierungspolitik offen infrage stellten. Einer von ihnen gilt noch als vermisst. Es gibt sehr viel Repression und Unsicherheit im Lande. Es ist wirklich eine Schande, dass die Weltbank ein Projekt wie die Erdölpipeline Tschad-Kamerun gefördert hat! In einer Situation, in der die tschadische Zivilgesellschaft sehr schwach war und die Bedingungen nicht für ein solches Projekt gegeben waren: weder eine funktionierende Demokratie noch eine Gute Regierungsführung, noch Rechtsstaatlichkeit. Und wenn alle diese Bedingungen nicht gegeben sind, gibt es ein solches Ergebnis, wie wir es jetzt haben: Die tschadische Bevölkerung zahlt einen extrem hohen Preis für die Erdölförderung.

Sie sind selbst Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin. Wie ist es um ihre Sicherheit bestellt?

Menschenrechtsverteidiger stehen besonders im Visier der Regierung, weil sie die Menschenrechtsverletzungen der Regierung anprangern. Sie fordern die Regierung heraus, sie fordern einen politischen Wandel für einen friedlichen Wandel. Das gefällt der Regierung ganz und gar nicht. Jeder Menschenrechtsverteidiger ist Risiken ausgesetzt. So auch ich. Ich fahre deswegen immer mit einem Fahrer ins Büro, bewege mich grundsätzlich nicht allein, um immer einen Zeugen zu haben und nach Einbruch der Dunkelheit vermeide ich, auf die Straße zu gehen. Wir sind in Gottes Händen.

Wie beurteilen Sie die internationale Verantwortung für die Lage in Tschad? Langzeitregent Idriss Déby gilt im sogenannten Kampf gegen den Terror als Verbündeter und half zuletzt mit seinen Truppen in Mali gegen die Islamisten im Norden.

Déby ist ein im Westen voll akzeptierter Diktator. Das ist die bittere Wahrheit. Die internationale Gemeinschaft sollte Beobachter in den Tschad schicken, um sich ein realistisches Bild von der Situation zu verschaffen. Sie sollten sich das Elend der Menschen mit eigenen Augen anschauen. Hört man die Beschreibungen aus der Distanz, denkt man, dass wir übertreiben. Aber wir übertreiben nicht. Die Situation ist katastrophal! Es fehlt vielen selbst an ausreichend Nahrungsmitteln, weil die Preise sehr hoch sind und immer weiter steigen, ohne dass die Löhne entsprechend erhöht werden. Viele können sich nicht einmal eine simple Mahlzeit am Tag leisten, von angemessener Kleidung und Obdach ganz zu schweigen. Dabei gibt es viel Geld im Land, aber die Öleinnahmen werden von der Déby-Familie nur benutzt, um die eigene Macht zu schützen und es sich gutgehen zu lassen. Das Elend der allermeisten Tschader lässt sie unberührt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die internationale Gemeinschaft Débys Bekenntnisse zur Armutsbekämpfung und Entwicklung für bare Münze nimmt.

Tschad ist der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) beigetreten und hat mit Verzögerung im Mai auch seine ersten Berichte über die Einnahmen und ihre Verwendung vorgelegt. Ist das gänzlich ohne Wirkung?

Mit diesen Berichten verhält es sich wie mit anderen Kontrollmechanismen. Wie soll Kontrolle in einem Umfeld wie Tschad funktionieren, wo niemand die Regierung kontrolliert und niemand ihre Rechenschaftsberichte prüft? Die Regierung hat alle Möglichkeiten, um die Kontrollmechanismen zu unterlaufen. Und überdies sollte die Wirkung der Ölförderung daran gemessen werden, wie sich das Leben der Menschen verändert hat. Es hat sich gemessen an allen sozialen Indikatoren in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Laut dem Human Development Index steht Tschad inzwischen auf Platz 184 von 186 Ländern!

In Tschad gab es immer wieder Erhebungen gegen Déby, 2006 und 2008 zum Beispiel. Befürchten Sie einen neuen Gewaltausbruch?

Das ist nicht auszuschließen. Die Probleme, die zu den Aufständen geführt haben, sind ungelöst. Der Dialog, den die Zivilgesellschaft eingefordert hat und an dem die Rebellengruppen teilnehmen sollten, wurde von der Regierung verweigert. Derzeit sind die Rebellen zwar nicht aktiv, aber sie sind noch existent. Es gibt in Tschad eine hohe soziale Spannung wegen der extremen Ungleichverteilung der Einkommen. Das sorgt für Unmut und der kann sich jederzeit wieder gewalttätig entladen. Auch wenn die Sicherheitskräfte dank der Ölgelder bestens ausgerüstet sind. Das Öl ist für Tschads Bevölkerung ein Fluch.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


Zurück zur Tschad-Seite

Zur Seite "Erdöl, Pipelines"

Zur Kamerun-Seite

Zurück zur Homepage