Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mit dem Kampf im Blut geboren

Tschadische Juristin Jacqueline Moudeina setzt sich für Verurteilung von Ex-Diktator Habré ein

Von Katja Herzberg *

Die Rechtsanwältin Jacqueline Moudeina kämpft seit Jahren für Strafverfolgung des Habré-Regimes. Unter dem Machthaber wurden Zehntausende Menschen in Tschad ermordet. Für ihr Engagement erhielt Moudeina den »Alternativen Nobelpreis« 2011.

In ein leuchtend blaues Gewand gehüllt, beeindruckt Jacqueline Moudeina schon optisch ihre Zuhörer. Goldfarbene Ohrringe und ein großes, rundes Amulett um den Hals verdecken aber nicht den Blick auf einen kleinen Anstecker, der die deutsche und die Fahne von Tschad zeigt - der Hinweis auf ihren Deutschland-Besuch kurz vor der Vergabe des Right Livelihood Awards in Stockholm, der auch »Alternativer Nobelpreis« genannt wird.

Ruhig, aber bestimmt erzählte Moudeina ihre Geschichte, die von Kampfeswille strotzt. Sie ist eng verbunden mit der von Hissène Habré, dem Präsidenten in Tschad zwischen 1982 und 1990. Unter seiner Regierung wurden nach Ermittlungen einer Wahrheitskommission 40 000 Menschen ermordet, 20 000 weitere gefoltert. Eine noch immer unbekannte Zahl gilt als verschwunden. Moudeina versucht, diese Verbrechen aufzuarbeiten und zu sühnen.

Eigentlich wollte die heute 54-Jährige Übersetzerin werden. Doch im kongolesischen Exil hat sie sich für das Plädieren entschieden. »Ich wollte Menschen eine Stimme geben, die sie sonst nicht haben«, sagte Moudeina bei ihrem Besuch auf Einladung der kirchlichen Hilfswerke »Misereor« und »Brot für die Welt« in Berlin Ende letzter Woche. Sie unterstützen die Arbeit der Anwältin seit Jahren auch finanziell.

Nach ihrem Jurastudium kam Moudeina zurück nach Tschad. Seit elf Jahren versucht sie nun schon, den »Pinochet von Afrika« hinter Gitter zu bringen. Den Vergleich findet Moudeina nicht nur wegen der zahlreichen Opfer treffend, die die beiden Diktatoren zu verantworten haben. »Der Haftbefehl gegen Pinochet 1998 hat uns gezeigt, dass es möglich ist, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden«, so Moudeina. Dasselbe Schicksal solle nun den seit 1990 in Senegal ungestraft lebende Habré ereilen.

Dafür reichte Moudeina im Jahr 2000 Klage in Senegal ein. Die dortige Justiz erklärte sich aber für nicht zuständig. Die Menschenrechtsaktivistin wandte sich daraufhin an die belgischen Behörden, weil unter den Opfern belgische Staatsangehörige seien und das mitteleuropäische Land ein sehr progressives Völkerstrafrecht habe. Tatsächlich wurde Habré 2005 angeklagt und ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erwirkt. Den Belgiern liegen alle nötigen Aussagen und Akten für einen Prozess vor. Doch Senegal fühlt sich erneut nicht zuständig und will Habré nicht ausliefern. Nach Beratungen der Afrikanischen Union hat sich nun Ruanda bereit erklärt, den Ex-Präsidenten vor Gericht zu stellen. Diesen Weg lehnt Moudeina jedoch ab. »Wenn es Ruanda nicht einmal schafft, seine eigenen Leute zu bestrafen, wie soll es ähnliche Verbrechen von Habré verurteilen?« Für die Anwältin tragen derzeit alle Beteiligten dazu bei, dass Habré straffrei ausgeht. Sie will sich um die Überstellung des Ex-Diktators nach Belgien bemühen.

Für diesen »unermüdlichen Einsatz unter großem persönlichen Risiko« wurde Moudeina am Montagabend mit dem Right Livelihood Award im schwedischen Parlament ausgezeichnet. In welche Gefahr sie sich begibt, musste sie 2001 erfahren. Bei einer Demonstration in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena wurde die Anwältin mit einer Handgranate beworfen und schwer verletzt. Noch immer hat sie Splitter in ihrem Bein. Doch Moudeina sieht keinen Grund, aufzuhören. »Ich bin mit dem Kampf im Blut geboren«, sagte die Anwältin selbstbewusst. Zwar lebe sie weiter in Gefahr. Doch die Auszeichnung, die mit 50 000 Euro dotiert ist, sieht Moudeina als Chance, ihre Arbeit »noch mehr sichtbar« zu machen. Und als Schlüssel für weitere Projekte. Denn Moudeina ist auch Präsidentin der tschadischen Menschenrechtsorganisation ATPDH, die sich gegen Kinderhandel, Beschneidung, die Verheiratung junger Mädchen sowie für die Rechte von Frauen einsetzt.

Zu den Preisträgern der 32. Auflage des Right Livelihood Awards gehören neben Moudeina der chinesische Solarunternehmer Huang Ming, die US-amerikanische Hebamme Ina May Gaskin sowie der international tätige Kleinbauernverband GRAIN.

* Aus: neues deutschland, 6. Dezember 2011


Zurück zur Tschad-Seite

Zur Friedenspreise-Seite

Zurück zur Homepage