Zwei der derzeit elf Auslandseinsätze der Bundeswehr finden im Sudan statt. Sie wurden zuletzt vom Bundestag am 15. November 2007 mit großer Mehrheit verlängert. Die nach Kapitel VII der UN-Charta mandatierten Einsätze beinhalten zum einen die Stationierung von bis zu 75 unbewaffneten Bundeswehrsoldaten als Teil der etwa 10.000 Personen starken Überwachungsmission UNMIS in Südsudan. Das Mandat endet am 15. August 2008. Derzeit sind im Rahmen von UNMIS 42 deutsche Soldaten und fünf Polizisten im Einsatz. Das zweite Mandat ist ein Vorratsbeschluss. Demnach sollen bis zu 250 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der neuen UN-AU-Mission UNAMID Soldaten und Polizisten aus afrikanischen Ländern mit Flugzeugen nach Darfur bringen. Das geschah zuletzt im März 2006. UNAMID löst ab dem 1. Januar 2008 die AU-Mission AMIS in Darfur ab. Mit insgesamt 26.000 Soldaten, Polizisten und Zivilen soll UNAMID die bis dahin größte UN-Mission der Geschichte werden. Die UN-Generalversammlung hat für das erste Halbjahr dafür 1,28 Mrd. Dollar bewilligt. An der im westlich benachbarten Tschad und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik zu stationierenden und von Frankreich dominierten 3.700 Soldaten starken EU-Truppe beteiligt sich die Bundeswehr nicht. Gleichwohl begrüßt die Bundesregierung den Einsatz im Osttschad und stellt vier Offiziere in die Einsatzzentrale bei Paris ab.
Der nach 21 Jahren Anfang 2005 beendete Krieg zwischen Nord- und Südsudan hat 1,5 bis 2 Millionen Tote gefordert und etwa vier Millionen vertrieben, der seit fünf Jahren anhaltende Bürgerkrieg in Darfur hat etwa 2,5 Millionen Menschen in die Flucht gejagt und vermutlich Zehntausende das Leben gekostet. Die Konflikte im Sudan haben sich seit 2006 auf den Tschad und die Zentralafrikanische Republik ausgedehnt und sind längst nicht gelöst. Selbst nach einer Verhandlungslösung, die derzeit noch in weiter Ferne scheint, wird es noch Jahre bedürfen, bis sich das Leben normalisiert.
Warum ist diese Region so erbittert umkämpft? Warum ist sie für Großmächte von so großem Interesse?
Der Sudan ist mit 2,5 Mio. km² das flächengrößte Land Afrikas und damit siebenmal so groß wie Deutschland. Auf Nordsudan entfallen 1,85 Mio. auf Südsudan 650.000 km². Mit 36,2 Mio. Einwohnern (2005), davon etwa 9 Mio. im Süden, ist das Land am Nil sehr dünn besiedelt. Über sechs Millionen von ihnen sammeln sich allein am Zusammenfluss von Weißem und Blauen Nil in der Hauptstadt Khartum (4,2 Mio. Einwohner), und den beiden Städten in Omdurman und Bahri. Der Norden, Osten und Westen des Landes ist muslimisch geprägt (70 Prozent der Gesamtbevölkerung). Im Süden bilden Anhänger indigener Religionen die Mehrheit (20 % der sudanesischen Bevölkerung). Von Bedeutung ist im Süden der Katholizismus. Katholisch sind 10 Prozent der sudanesischen Gesamtbevölkerung.
Der Boden Sudans ist rohstoffreich. Eisen, Kupfer, Zinn, Blei, Asbest, Gold, Gips, Steinsalz, Bauxit, Uran, Platin und 1 Mio. t Chrom werden genannt. Jedoch die mit Abstand größte Bedeutung hat historisch und zur Zeit dabei das Rohöl. Bereits 1991 hatte eine „gründliche Studie“ der Weltbank ergeben, dass „Somalia und Sudan in der Liste möglicher kommerzieller Ölproduzenten Ostafrikas ganz oben“ (taz, 19.1.1993) stehen.
Mit derzeit nachgewiesenen Vorräten von 6,4 Mrd. Barrel (BP Statistical Review of World Energie, Juni 2007, S. 6) liegt Sudan auf Platz 21 in der Welt (zwischen Aserbaidschan und Indien). Darüber hinaus steht eine spektakuläre Aussage aus den 80er Jahren im Raum: „Der damals für Sudan zuständige Geschäftsträger von Chevron, Payne, soll die Auffassung vertreten haben, dass Sudan über mehr Ölreserven verfügt als Iran und Saudi-Arabien zusammen. Deshalb investierte das Unternehmen angeblich rund 10 Milliarden Dollar zur Erkundung der Öllagerstätten des Sudan. [...] Amerikanische Rohstoffplaner vermuten, dass der ganze Süden Sudans von der Grenze zu Tschad [...] bis nach Äthiopien über reiche Ölvorkommen verfügt.“ (FAZ 29.7.1998). Die Aussage ist bisher weder bestätigt noch widerlegt. Falls sie zutrifft, dürfte sie zumindest US-Außenministerin Rice bekannt sein, denn sie hatte bis 1995 zehn Jahre lang dem Chevron-Aufsichtsrat angehört.
Das Land ist unterteilt in 23 Öl-Blöcke. Zwei Blöcke sind nicht vergeben. Das sind der Block 12 B, der West-Darfur und den Süden Nord-Darfurs umfasst, und der Block 10 an der Grenze zu Eritrea. Lediglich in sieben Öl-Blöcken wird gefördert. Diese liegen vor allem im Süden des Sudan. Die Struktur der Konzessionäre weist eine weite Streuung auf. Vor allem sind es asiatische und afrikanische Firmen. Darunter die China National Petroleum Company (CNPC), die malaysische Petronas und die indische Oil and Natural Gas Corporation (ONGC), aber auch einheimische, sowie Firmen aus Saudi-Arabien, Nigeria, Jemen, Kuwait und Südafrika. Lediglich zwei westliche Firmen halten Konzessionen: Die französische Total im wohl sehr höffigen Block B als Konsortialführerin und die schwedische Lundin im Block 5 B. Der US-Multi Marathon hat 2007 seinen Anteil von 32,5 Prozent am Block B aufgegeben und den Sudan verlassen. US-Konzerne halten keine Konzessionen im Sudan. Im November 2004 konnte man in der NZZ lesen: „Die grossen amerikanischen Ölfirmen Chevron Texaco und Exxon Mobil dringen darauf, wieder ins sudanesische Ölgeschäft einsteigen zu können.“ (NZZ 27.11.2004) Die Sanktionspolitik der Bush-Regierung hat das bisher verhindert.
Der Sudan bleibt, was das Öl anbetrifft, bisher weitgehend unerkundet. Nur für wenige Gebiete sind bisher intensive und umfassende seismische Daten ermittelt worden.( The European Coalition in Oil in Sudan, The Economy of Sudan’s Oil Industry, Oktober 2007, Factsheet II, S.4) Die Förderung wird zu über 90 Prozent von CNPC, Petronas und ONGC getätigt. Es besteht nicht nur eine hohe Abhängigkeit Sudans gegenüber diesen Firmen, auch umgekehrt gilt, für alle drei Firmen sind die Investitionen im Sudan die größten außerhalb ihrer Länder. Allein China investierte im vergangenen Jahrzehnt mehr als sechs Mrd. US-Dollar in 14 Ölprojekte des Sudan. (Sudantribune.com, 6.11.07) 80 Prozent des sudanesischen Ölexports gehen in die VR China, etwa 10 Prozent nach Japan und 4 Prozent in den Jemen. Ende 2006 förderte Sudan täglich 397.000 Barrel. In diesem Jahr liegt die Förderung bei täglich 500.000 Barrel. Das ist die sechsthöchste Tagesförderung in Afrika bei steigender Tendenz. 365.000 Barrel werden über ein Terminal bei Port Sudan am Roten Meer im Norden exportiert. Ein zweiter Terminal in der Nähe steht vor der Fertigstellung, so dass sich die Verladekapazität auf 950.000 Barrel erhöht. Ergo: Khartum setzt auf Expansion von Förderung und Export des Öls. Raffinerien gibt es in Khartum und in Port Sudan. Beide liegen im Norden. Zum Teil sind es Joint Ventures mit CNPC und Petronas. Der Transport aus dem Süden zu den Raffinerien und Verladestationen erfolgt über ein System von fünf Pipelines. Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass das im Süd-Sudan geförderte Öl im Norden verarbeitet und über den Norden exportiert wird.
Seitdem der Sudan 1999 mit dem Ölexport begonnen hat, hat sich das Bruttoinlandsprodukt von 9,4 Mrd. auf 27,5 Mrd. Dollar (2005) verdreifacht. Die Wirtschaft verzeichnete eine Zuwachsrate von 8 Prozent in 2005, 2006 waren es 10 Prozent und die Weltbank erwartet für 2007 sogar ein Plus von mehr als 10 Prozent. Das Land boomt, was allerdings außer in Khartum kaum sichtbar ist.
Aber nicht nur Öl ist ein bedeutsamer Rohstoff im Sudan. In einer Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages über den Darfur-Konflikt findet sich eine Aussage über die „Rolle des Sudans als Rohstofflieferant – neben den großen Erdölvorkommen soll das Land über eine der drei weltweit größten Lagerstätten reinen Urans und die viertgrößten Kupfervorkommen der Welt verfügen.“ (Birgit Strube-Edelmann, Der Darfur-Konflikt – Genese und Verlauf, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 9.10.2006, S. 24)
Damit könnte der Sudan eines Tages zu einem erstrangigen Rohstofflieferanten auf der Welt werden, der allerorten Begehrlichkeiten weckt.
Im Mai 2001 stellte US-Vizepräsident Cheney einen Bericht über die Entwicklung der US-Energiepolitik, kurz Cheney-Report genannt, vor. Seine Analyse besagt, dass der Anteil der Einfuhr an der Rohölmenge der USA von 52 Prozent (2001) auf 64 Prozent im Jahr 2020 steigen müsse, um die Rohölversorgung des Landes zu sichern. (Cheney-Report, S. 1-13) Das klingt zunächst nicht dramatisch. Allerdings geht der Cheney-Report von einem Anstieg des US-Ölverbrauchs insgesamt aus. „In absoluten Zahlen werden die US-Ölimporte von den heutigen rund 10,4 Millionen Barrel pro Tag bis 2020 auf schätzungsweise 16,7 Millionen Barrel pro Tag ansteigen.“ (Michael T. Klare, Schnell, mobil, tödlich, - Das Zeitalter der US-Hegemonie, le monde diplomatique, 15.11.2002, Fußnote 5)Das ist ein faktischer Anstieg um 60 Prozent!
Cheneys Schlussfolgerung: Das Weiße Haus muss nunmehr die Energiesicherung zur „Priorität“ der US-amerikanischen Handels- und Außenpolitik machen. Und zwar so: Erstens: Die Länder des Nahen Ostens sollten dazu gebracht werden, ihre Exporte zu erhöhen. Zweitens: Die Einfuhrländer müssen diversifiziert werden. Auf Afrika bezogen heißt das heute: Zur Zeit kommt 15 Prozent der US-Rohöl-Einfuhr aus Afrika, bis 2015 sollen es 25 Prozent sein (Financial Times Deutschland 8.7.2003)
Seit September 2001 haben die USA in Afrika mit militärischen Ausbildungs- und Trainingsprogrammen begonnen. Das erste hieß International Military Education and Training (IMET), ab 2002 kam die „Pan Sahara Initiative“, die dann 2005 durch die „Trans-Sahara Counterterrorism Initiative“ (TSCTI) abgelöst wurde. Ziel des letzteren ist die Ausbildung einheimischer Soldaten durch „Special Operation Forces“ der USA, um eigenständig oder in Kooperation mit US-Truppen den Kampf gegen den islamischen Terrorismus aufzunehmen. An der TSCTI nehmen Algerien, Mali, Mauretanien, Marokko, Niger, Nigeria, Senegal, Tunesien und der Tschad teil. Das Budget betrug 70 Mio. Dollar im Jahr 2007, „bis 2012 sollen die Ausgaben allein im Rahmen dieses Programms auf 500 Millionen Dollar steigen.“ (Dustin Dehez, Ein Kommando für Afrika, in: Internationale Politik, Dezember 2007, S. 82) Seit Februar 2007 ist ein eigenständiges Oberkommando für Afrika, US Africa Command (AFRICOM), in Stuttgart eingerichtet worden. Bis September 2008 wird für den Stab von 1.500 Mann auf afrikanischem Boden ein Standort gesucht. Die offizielle Aufgabe: Bündelung der oben beschriebenen Aufgaben, insbesondere die Terrorbekämpfung. Diese Begründung trifft allerdings sogar bei militär- und regierungsnahen Analytikern der Stiftung Wissenschaft und Politik auf Skepsis: „Verstärkte Anstrengungen im Rahmen der Terrorbekämpfung sind wohl nicht der Hauptgrund für die Einrichtung des AFRICOM. Vielmehr scheinen die Sorgen um die künftige Energieversorgungssicherheit und die Einschätzungen der Rolle Afrikas in diesem Kontext das wesentliche Motiv zu sein.[ ..] Mit der Einrichtung des AFRICOM verbessert sich die Möglichkeit der Steuerung aller militärischer Aktivitäten der USA auf dem Kontinent. Nicht zuletzt werden die regionalen Einflussmöglichkeiten der USA gestärkt.“ (Wolf Kinzel, Sascha Lange, Afrika im Fadenkreuz der USA? SWP Aktuell 17, Berlin, März 2007, S. 4) Sudans Nachbar Äthiopien ist der engste Alliierte der USA am Horn von Afrika. Ministerpräsident Meles Zenawi erklärte gegenüber dem Kommandeur der Africom, General Ward, bereits seine Bereitschaft „eng mit Africom zusammenzuarbeiten.“ (Sudantribune.com, 10.11.2007)
Im Sudan sind zwei Konflikte virulent, der zwischen dem Norden und dem Süden und der in Darfur.
1.2.1. Entwicklung
Die Verfügung über die Erdölvorkommen des Südens waren Ursache für den Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen dem muslimischen Norden und dem christlich-animistischen Süden 1983. 1979 bereits stieß der US-Ölkonzern Chevron auf Erdöl im damals autonomen Süden. Staatspräsident Numeiri kündigte in Folge dessen einseitig das Autonomieabkommen mit dem Süden auf. Da der Süden damit alle Rechte am Erdöl verlor, wurde unter John Garang die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) gegründet und ein sehr blutig geführter Bürgerkrieg begann. Nach insgesamt sieben Jahren Verhandlungen, im Laufe dessen sechs Teilabkommen abgeschlossen wurden, wurde im Januar 2005 – unter massivem Druck der USA – in Naivasha (Kenia) ein umfassender Friedensvertrag unterzeichnet (Comprehensive Peace Agreement, CPA). Er sieht im Wesentlichen Folgendes vor: einen dauerhaften Waffenstillstand; SPLA-Vertreter erhalten 28 Prozent der Sitze im Parlament und in der nationalen Exekutive; die sudanesische Armee verlässt bis Mitte 2007 den Südsudan; Ende 2009 finden gesamtsudanesische Präsidenten- und Parlamentswahlen statt; nach sechs Jahren Übergangszeit soll ein Referendum im Süden über den Verbleib im Sudan entscheiden; während dieser Übergangszeit bis Mitte 2011 teilen sich Nord und Süd die Öleinnahmen, die aus der Förderung im Süden erzielt werden, zur Hälfte; der Führer der SPLA wird Vizepräsident des Sudan; Außenminister wurde auch ein Südsudanese.
Nachdem der Gründer der SPLA Garang bei einem Hubschrauberabsturz Ende Juli 2005 umkam, wird gemeinhin angenommen, dass die Regierung seines Nachfolgers Salva Kiir, trotz gegenteiliger Bekundungen, 2011 im Referendum die staatliche Unabhängigkeit des Südens anstrebt. Die beiden Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Norman Paech und Paul Schäfer, brachten von ihrer im Oktober 2006 durchgeführten Reise aus dem Südsudan die Erkenntnis mit, dass „dies auch die Ansicht von 95 % der Bevölkerung“ (Bericht über die Reise der Abgeordneten Norman Paech und Paul Schäfer in den Sudan vom 2. bis 7. Oktober 2006, S. 5) sei. Wenn es zu der Unabhängigkeit kommt, bleiben dem Norden nur die im Norden liegenden Ölressourcen. Das sind lediglich 300 Mio. Barrel im Block 6, was 13 Prozent der derzeit vorhandenen gesamtsudanesischen Erdölreserven entspricht. (ECOS Factsheet, S. 5)
Die Einkünfte aus dem Verkauf des im Süden geförderten Öls ist für den Süden von existentieller Bedeutung, decken sie doch 95 Prozent der öffentlichen Einnahmen. „Rund 40 Prozent des Staatshaushalts (des Südens, L.H.) sind nach Regierungsangaben der Armee vorbehalten.“ (FAZ 10.8.2007) Die Verteilung der Gelder erfolgt zentral über Khartum, gilt zwar als undurchsichtig, soll angeblich aber reibungslos funktionieren. (Sudantribune.com, 26.11.2007) Es sind für den Aufbau der Infrastruktur des Südens und die humanitären Belange geringe Beträge, die zudem noch sehr schwanken. Im Jahr 2005 waren es 702 Mio. US-Dollar (Sudantribune.com, 16.3.2006). Im Jahr 2006 wurden „mehr als eine Milliarde aus den Öleinnahmen überwiesen.“ (FAZ 22.8.2007) Für 2007 wurden durchschnittlich monatlich 125 Mio. Dollar erwartet, zeitweilig waren es nur zwischen einem Viertel und Zwei Drittel dessen, im Oktober allerdings 178 Mio. Dollar. Bei einer Unabhängigkeit des Südens vom Norden würden sich diese Einnahmen verdoppeln. Dies motiviert das Streben des Südens nach Unabhängigkeit.
Die Entwaffnung der südsudanesischen Bevölkerung, die von der UNMIS überwacht werden soll, kommt nur langsam voran. Bei Zusammenstößen zwischen Dezember 2005 und Mai 2006 sollen etwa 1.200 bewaffnete Zivilisten und 400 südsudanesische Soldaten umgekommen sein. (Sudantribune.com, 17.8.2007) Auch 2007 kam es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen meist zwischen sudanesischen und südsudanesischen Soldaten oder zwischen Stämmen untereinander um Viehherden. Durchschnittlich etwa einmal im Vierteljahr sind dabei Totenzahlen zwischen 50 und 130 zu beklagen gewesen. Die Soldaten der UNMIS-Mission greifen in diese blutigen Auseinandersetzungen nicht ein. Sie haben lediglich eine Beobachtungs- und Überwachungsmission des CPA nach Kapitel VI der UN-Charta. Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII dürfen sie nur zum Selbstschutz, zum Schutz von Hilfsorganisationen oder zum „Schutz direkt gewaltbedrohter Zivilisten im Rahmen verfügbarer Fähigkeiten“ (BT-Drucksache 16/6940, 7.11.2007) ausüben. Dies geschieht nicht.
Das CPA weist der erdölreichen Region Abyei einen Sonderstatus zu. Sie liegt in West-Kordofan, das bisher zum Norden gehört. Ihr Sonderstatus stellt es den Bewohnern der Abyei frei – ebenso wie dem gesamten Süden – 2011 über die Sezession vom Norden zu entscheiden. Das CPA überließ es einer siebenköpfigen Expertenkommission, die Grenze der Abyei festzulegen. Die Kommission, unter Vorsitz des ehemaligen US-Botschafters im Sudan, Petersen, schlägt nahezu die gesamte Abyei dem Süden zu. „Mit dem Referendum liefe Khartum demnach Gefahr, diese Felder 2011 an den Süden zu verlieren.“ (NZZ 20.11.2007) Fachleute berichten aus der Abyei, „’Auf Teufel komm raus’ pumpten besonders Chinesen mit allen technischen Mitteln das Ölfeld Heglig leer.’“ (FAZ 18.12.2007) Sudans Präsident Al-Bashir hat verkündigt, dass er den Schiedsspruch der Expertenkommission nicht anerkennt und „die Grenzen von Abyei um keinen Zoll verrücken werde.“ (NZZ 20.11.2007)
Der Truppenabzug der sudanesischen Armee aus dem Süden, der bis zum 9. Juli 2007 vollständig erfolgen sollte, war damals erst zu 80 Prozent erfolgt. (NZZ 10.7.2007) Etwa 15.000 Regierungssoldaten stehen im erdölreichen Gebiet Abyei. (The International Crisis Group, Sudan. Breaking the Abyei Deadlock, 16 Seiten, 12.10.2007) Andererseits ist der Süden der Vorgabe des CPA nicht nachgekommen und hat seine Truppen aus den zum Norden gehörenden Gebieten Blauer Nil und Süd-Kordofan zurückgezogen. 22.600 SPLA-Truppen standen bis November 2007 noch in den Nubabergen und über 35.000 im Gebiet Südlicher Blauer Nil. (Sudantribune.com 26.11.2007)
Im Oktober kam es zur Zuspitzung. Wegen der aus Sicht des Südens schleppend verlaufenden Umsetzung des CPA hat die SPLM nach häufigen Mahnungen am 11. Oktober 2007 aus Protest gegen „systematische Verletzungen“ des CPA ihre 18 Minister aus der „Regierung der Nationalen Einheit“ vorläufig zurückgerufen. Das stellte bis dahin die größte Regierungskrise dar. Die SPLM stellte Khartum ein Ultimatum bis zum 9. Januar 2008. Danach werde sie sich über einen endgültigen Rückzug aus der Regierung entscheiden. Al Bashir forderte Mitte November sein Militär auf, die paramilitärischen Truppen („Mudjahedin“) wieder zu mobilisieren, die 1990 eigens für die Bekämpfung des Südens aufgestellt worden waren. (Sudantribune.com 18.11.2007) Daraufhin wurde die südsudanesische Armee in den „Zustand der Mobilisierung“ versetzt. (Sudantribune.com 20.11.2007) Verhandlungen zwischen den Armeeführungen des Nordens und des Südens brachten jedoch bereits Anfang Dezember einen Dreistufenplan hervor, der einen Rückzug sämtlicher Truppen in das jeweilige Gebiet der Gegenseite bis zum 9. Januar 2008 vorsieht. Ein Treffen Al-Bashirs mit Kiir Mitte Dezember brachte auch eine Einigung bezüglich einer Transparenz der Transfers von Öleinnahmen in den Süden und die Zusage Khartums, Gelder für die Volkszählung bereitzustellen, die im April 2008 beginnen soll, um als Grundlage für die Wahlregister der Parlaments- und Präsidentenwahlen (UN: bis Juli 2009) und des Unabhängigkeitsreferendums 2011 zu dienen. Die SPLM-Minister kehrten daraufhin bereits Ende Dezember wieder in die „Regierung der nationalen Einheit“ zurück. Allerdings konnte über die Abyei keine Einigung erzielt werden. Dies soll direkt zwischen al-Bashir und Kiir verhandelt werden.
Die UNMIS hat Soldaten im Gebiet Abyei stationiert. Die Sollstärke der bewaffneten Infanteriekräfte der UNMIS beträgt insgesamt ca. 4.500 Soldaten und ihre Hauptaufgabe besteht im Schutz der eigenen Leute. (Paech/Schäfer, S. 6) UNMIS ist etwa gleichmäßig auf die sechs Sektoren Süd-Sudans verteilt.(Sudan Unified Mission Plan, Karte S. 73) Das ist eine Fläche von nahezu der doppelten Größe Deutschlands, so dass UNMIS bei einem erneuten Ausbruch kriegerischer Handlungen zwischen Nord und Süd jeder Konfliktseite gegenüber unterlegen wären.
1.2.3. Szenarien der Unabhängigkeit des Südens
Was geschieht, wenn der Süden sich für unabhängig erklärt? Nimmt der Norden das hin? Falls nicht, dann kommt es spätestens dann zu einer militärischen Auseinandersetzung. Wie wird sich UNMIS dazu verhalten? Dazu gibt es praktisch zwei Möglichkeiten: Im Land bleiben oder abziehen. Untersuchen wir das im Einzelnen. Zieht UNMIS ab, nimmt der Krieg seinen Lauf, und UNMIS, als Mission zur Verhinderung des Krieges angetreten, wäre gescheitert. Folglich würde UNMIS versuchen dort zu bleiben. Für diese Situation gäbe es theoretisch zwei Möglichkeiten: Sich neutral zu verhalten oder aktiv zu Gunsten einer Seite einschreiten. Untersuchen wir zunächst Letzteres. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: A) Auf Seiten des Nordens Krieg gegen den Süden zu führen. Das steht nicht zur Debatte, weil ja das Recht auf Unabhängigkeit des Südens im CPA verbrieft ist. B) Umgekehrt, auf Seiten des Südens gegen den Norden Krieg zu führen, setzt voraus, dass der Eingriff vom UN-Sicherheitsrat autorisiert wird. Das ist wegen der Haltung Chinas derzeit nicht vorstellbar. Also: Bleibt für UNMIS nur eine neutrale Haltung zur Verhinderung eines Krieges übrig. Wie könnte diese aussehen? Antwort: Eine Pufferzone zwischen Nord- und Südsudan bilden. Dies ginge allerdings nur, wenn die UNMIS-Truppen aufgestockt und aufgerüstet werden. Aber genau das wäre aus Sicht des Nordens keine neutrale Position, denn UNMIS sorgt auf diese Weise objektiv für die Abspaltung des Südens. Somit kommt UNMIS faktisch die Rolle des Garanten der Sezession des Südens zu, welche die SPLA durch den Krieg nicht erreicht hat. Ergo: Die USA haben über den Druck, den sie zur Unterzeichnung des CPA in Naivasha anwendeten, die Sezession des Südens vorprogrammiert, welche sie dann über die UN-Truppenpräsenz absichern lassen wollen. Die Bundeswehr ist ein Teil davon.
Zu den Fakten im Südsudan gehört auch, dass US-amerikanische Entwicklungsgelder dorthin fließen und für den zivilen Aufbau der Infrastruktur, des Schulwesens und der Krankenhäuser eingesetzt werden. Aber auch die jahrzehntelange militärische Hilfe für die SPLA wird fortgesetzt. Ganz im Bewusstsein dessen, dass der Süden 2011 abgespalten wird, bauen die USA im ärmlichen Juba einen „ausgedehnten Konsularkomplex, der schon jetzt die Dimension einer Botschaft hat.“ (Paech/Schäfer, S. 6)
1.3. Darfur
1.3.1. Land und Leute
Das muslimische Darfur ist Teil Nordsudans und gliedert sich in die Teile Nord-, West- und Süddarfur. Insgesamt ist Darfur etwa so groß wie Frankreich, wobei Norddarfur etwa so groß ist wie West- und Süddarfur zusammen. Norddarfur ist überwiegend ein Wüstengebiet, die anderen Gebiete Darfurs sind Savannengebiete. Die Einwohnerzahl wird mit sechs bis sieben Millionen angegeben, wobei die Fur mit 800.000 vor den Zaghawa mit 190.000 und den Massalit mit 185.000 die größte Ethnie darstellen. Insgesamt leben in Darfur etwa 80 Ethnien und Stämme der insgesamt 572 Ethnien Sudans. Im Norden leben Kamelnomaden wie die Zaghawa, in West- und Zentraldarfur ist wegen ausreichender Niederschläge Hirse- und Gartenanbau möglich. Hier leben Fur und Massalit. Im Süden wird Hirse angebaut und Rinder werden gezüchtet. Durch den Ausbruch des Bürgerkrieges im Februar 2003 ist es zu massiven Fluchtbewegungen in Darfur gekommen. (UNHCR, Darfur, UNHCR-Presence, Refugee/IDP-locations, April 2007) Anfang Oktober 2007 lebten 2,39 Millionen in den etwa 150 Flüchtlingslagern Darfurs. Das ist die bis dahin höchste Zahl überhaupt. Außerdem sind 236.000 in den Tschad geflohen. Insgesamt zählt die UNO 4,2 Mio. vom Konflikt Betroffene in Darfur (Darfur Humanitarian Profile Totals, 1. Oktober 2007). 13.300 Helfer sind dort im Einsatz, die 69 Prozent der Betroffenen versorgen.
Als sich Anfang 2003 zwischen dem Norden und dem Süden Sudans eine Vertragslösung abzeichnete, und sich das sehr marginalisierte Darfur weiterhin vom Ölreichtum des Sudan ausgeschlossen sah, griffen die Sudan Liberation Army (SLA) und das Justice Equality Movement (JEM) im März 2003 in Darfur zu ihren Kalaschnikows. Sie überfielen 80 Polizeistationen, diverse Kasernen und Regierungsgebäude. 685 sudanesische Polizisten sollen von den Rebellen getötet worden sein. (Thilo Thielke, Krieg im Lande des Mahdi, Essen 2006, 400 Seiten, S. 35) Die sudanesische Regierung reagierte hart, rekrutierte und bezahlte arabische Reitermilizen (Janjawid), bombardierte Dörfer in Darfur und es begann ein Bürgerkrieg, dessen Höhepunkt im Jahr 2004 lag. Über die ungezählten Opfer gehen die Schätzungen sehr weit auseinander und sind zu einem Politikum geworden. Sie reichen von 9.000 (Sudans Präsident al-Bashir) bis zu 530.000 (US-Literaturprofessor Reeves, der im US-Kongress vorträgt). Hierzulande hat sich seit einem Jahr die Angabe „über 200.000“ verstetigt. Die Verheerungen waren so massiv, dass US-Präsident Bush im September 2004 das Wort vom Völkermord in den Mund nahm. Eine vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Sonderkommission zur Untersuchung der Ursachen des Darfur-Konflikts kam allerdings „zu folgendem Schluss: Die Angriffe und Vertreibungen hatten nicht die Vernichtung der ethnischen, nationalen oder religiösen Gemeinschaften der Stämme zum Ziel. Keiner der beiden Seiten kann die Absicht zum Genozid unterstellt werden.“ (Strube-Edelmann, Fußnote 44, S. 17) Trotzdem hindert dies George W. Bush nicht daran, weiterhin von Völkermord in Darfur zu sprechen (Sudantribune.com, 31.10.2007). Die US-Regierung ist die einzige auf der Welt, die das tut. Damit steht Bush sogar im Widerspruch zu seinem Sudan-Sondergesandten Andrew Natsios, der im Februar 2007 erklärte, „dass er dagegen ist, das Wort Völkermord weiterhin zu gebrauchen.“ (Sudantribune.com, 9.2.2007)
Zur Überwachung eines für April 2004 vereinbarten Waffenstillstands in Darfur erhielt die Afrikanische Union (AU) ein UN-Mandat zum Einsatz von Truppen. Diese AMIS-Truppe wurde sukzessive auf 5800 Soldaten und 1425 Polizisten (Zentrum für internationale Friedenseinsätze ZIF, Konfliktübersicht Darfur, S. 13) erhöht, ohne dass es zu einem Waffenstillstand gekommen wäre. Finanziert wurde der Einsatz sachfremd durch die Afrika-Entwicklungshilfe-Faszilität der EU. Von November 2004 bis Juli 2007 gab die EU dafür 282 Mio. Euro. (Sudantribune.com 11.7.2007)
Zur Machtverteilung in Darfur: „Die SLA verfügt im Jahr 2005 über 11.000 Kämpfer, die in dreizehn Brigaden organisiert seien. 70 Prozent des Territoriums von Darfur, behauptet SLA-Präsident Abd al-Wahid Mohammed al-Nur, werden von der SLA oder des JEM kontrolliert“ (Thielke, S. 231) Sie unterhalten Schulen und auch Gefängnisse in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Die SLA kassiert Zölle entlang der 600 km langen Grenze zu Libyen und den Tschad. (NZZ 14.11.2007) Die Städte dagegen sind unter Kontrolle der Regierung.
Seit Januar 2006 gibt es in der UNO Bestrebungen, eine bis zu 20.000 Soldaten starke Truppe
in Darfur zu stationieren, um AMIS zu ersetzen. US-Präsident Bush sagte im Februar 2006: „Es bedarf einer Nato-Verantwortung für Planung und Organisation“ (NZZ 20.2.2006) und: „Wir arbeiten an einer Strategie, die der Allianz erlauben würde, die Führungsrolle zu übernehmen.“ (NZZ 21.3.2006) Khartum lehnt eine UN-geführte Truppe ab. Präsident al-Baschir sagte: „’Ich schwöre, dass es keine internationale Militärintervention in Darfur geben wird, solange ich im Amt bin’. Zugleich versprach er, gegen alle zu kämpfen, die sein Land wieder ‚kolonisieren’ wollten“ (FAZ 28.6.2006). Der UN-Sicherheitsrat hat dessen ungeachtet am 31.8.2006 eine von den USA und Britannien eingebrachte Resolution (UN-Res. 1706) angenommen. Sie sieht vor, das Gebiet der UNMIS-Mission in Süd-Sudan auf Darfur auszuweiten und sie um 17.300 Soldaten sowie 3.300 Polizisten zu erweitern. Ihr Mandat nach Kapitel VII der Charta erlaubt, Zivilisten „mit allen Mitteln“ zu verteidigen, ist allerdings an die Zustimmung des Sudans gebunden, der die Resolution in dieser Form ablehnt, weil die Truppe unter UN-Führung stehen soll. Erst nach zähem Ringen stimmte Khartum der in drei Phasen aufgegliederten Mission zu. Zur Zusammenlegung von UNMIS und AMIS ist es allerdings nicht gekommen. Stattdessen einigte sich der UN-Sicherheitsrat am 31.7.2007 auf die Stationierung einer hybriden (gemischten) UN-AU-Truppe (UNAMID, UN-Res. 1769, 31.7.2007). In diese soll die AU-Truppe AMIS integriert werden und ein erweitertes Mandat ab dem 1.1.2008 übernehmen. UNAMID soll sich Truppen, die „so weit wie möglich aus afrikanischen Ländern“ kommen, zusammensetzen. Die Truppe wird unter eine „einheitliche Einsatzführung“ gestellt, dessen „Führungsstrukturen und die zentrale Unterstützung von den Vereinten Nationen gestellt werden.“ Das heißt, es ist im Wesentlichen keine AU-Truppe, sondern eine UN-Truppe. Das ist auch daran zu erkennen, dass die Soldaten blaue UN-Barette tragen, und keine grünen der AU. Letzteres war der Wunsch Khartums gewesen. Insgesamt soll UNAMID 19.555 Soldaten und bis zu etwa 6.500 Polizisten umfassen. Die politische Führung der UN-AU-Truppe hat der ehemalige Außenminister Kongo-Brazzavilles Adada inne und Kommandeur ist der nigerianische General Agwai. Die Truppe ist nach Kapitel VII mandatiert, das ihr auch das Recht gibt, „bewaffnete Angriffe zu verhindern und Zivilpersonen zu schützen,“ um dies unmittelbar wieder einzuschränken, in dem es heißt, „unbeschadet der Verantwortlichkeiten der Regierung Sudans.“ Khartum hatte sich immer gegen ein uneingeschränktes militärisches Einschreiten von außen gestemmt und war nur zu einer Zustimmung zur Resolution unter dieser Bedingung bereit. Das hat zur Folge, dass die Kompetenzen der UN-AU-Truppe auf Grund des Gummiparagraphen vor Ort umstritten bleiben werden. Weitere Streitpunkte: UNAMID soll neben 18 Transporthubschraubern auch sechs Kampfhubschrauber zur Verfügung haben. Abgesehen davon, dass bisher kein Staat bereit war, auch nur einen davon zu stellen, verweigert Khartum bisher jegliche Nachtflugerlaubnis. Ein weiteres Problem, dass zur Verzögerung führt: Zwar hat es genügend Meldungen für Infanterietruppen gegeben (Äthiopien 5000, Ägypten 2100, Senegal 1600, Tanzania 1000, Malawi 800, Thailand 800, Nigeria 680, China 315, Norwegen 200, Schweden 150, Südafrika 100, Nepal) – zusammen mit dem etwa 7200 Mann starken AMIS-Personal wird die Zahlenvorgabe des UN-Mandats mit 20.000 sogar übertroffen – jedoch weigert sich Khartum, Kontingenten aus Thailand, Skandinavien und Nepal zuzustimmen. Der Streit um Grundstücke, die UNAMID in Darfur zugewiesen werden, ist allerdings Mitte Dezember beigelegt worden. (FAZ 17.12.2007) Trotzdem liegt die Stationierung um etwa drei Monate hinter dem Zeitplan. Bestenfalls werden Anfang Januar etwa 9.000 Soldaten, also etwa ein Drittel der Sollstärke, stationiert sein. Bis März 2008 wird mit allenfalls 2.500 weiteren Soldaten gerechnet.
Von Januar bis Mitte September 2007 sind in Darfur etwa 270.000 Erst- und Zweitflüchtlinge registriert worden (OCHA Sudan Humanitarian Overview, Vol 3, Issue 7, Sep-Okt. 2007, Karte Seite 7). Diese Dramen spielten sich in einem riesigen Gebiet ab, das halb so groß ist wie Deutschland. Dabei muss die Flucht gar nicht durch tatsächliche Kampfhandlungen ausgelöst werden, es reichen schon Gerüchte. Die 7.200 Soldaten der AMIS waren nicht in der Lage, die Fluchtbewegung zu verhindern. Die Prognose fällt leicht: Das wird bei unveränderten Bedingungen auch der 26.000 Mann starken UN-AU-Truppe nicht gelingen. Darauf wies bereits der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge im April 2007 hin. Antonio Guterres sagte, „selbst wenn man 100.000 Polizisten in Darfur hätte, könnte sie nicht das gesamte Territorium Darfurs abdecken.“ Voraussetzung sei ein umfassender Friedensvertrag. „Ohne Frieden gibt es kein Wunder“ (Sudantribune.com 25.4.2007), sagte er. Nur der ist nicht in Sicht. Absehbar ist, dass auch UNAMID der gestellten Aufgabe nicht gerecht werden wird, „bewaffnete Angriffe zu verhindern und Zivilpersonen zu schützen.“ Der UNAMID-Einsatz wird weitgehend symbolisch und bestenfalls ein Monitoring sein.
Der nach zwei Jahren Verhandlungen, zuletzt auf massiven Druck von USA, EU und UNO, in Abuja/Nigeria zur Unterzeichnung gebrachte Friedensvertrag vom 5. Mai 2006 (Darfur Peace Agreement, DPA) zwischen Khartum und lediglich einer der damals drei Rebellengruppen, erwies sich schnell als Flop. Zwar unterschrieb außer der Regierung mit Minni Arkou Minnawi, dem Führer der Zaghawa, die wohl stärkste militärische Gruppierung, aber die beiden anderen Hauptgruppen, das JEM Dr. Ibrahim Khalils und die SLA/M unter Muhammed al-Nur, blieben fern. Al-Nur repräsentiert die Fur, und damit wohl zwei Drittel aller in den Flüchtlingslagern. Das JEM steht unter dem Einfluss des Islamisten und ehemaligen Mentors und Weggefährten al-Bashirs, Dr. Hassan al-Turabi, dem nachgesagt wird, dass er das JEM als Instrument nutzt, um wieder in Khartum an die Macht zu gelangen.
Das DPA beinhaltet folgende Punkte: Waffenstillstand zwischen den beteiligten Parteien; Entwaffnung der Janjawid-Milizen vor der Entwaffnung der anderen Rebellengruppen; Eingliederung von 8.000 Rebellen in die sudanesische Armee, in lokale Polizeieinheiten oder in Fortbildungsmaßnahmen; Kompensationszahlungen; Einrichtung eines Wiederaufbau- und Entwicklungsfonds für Darfur in Höhe von 300 Mio. US-Dollar im Jahr 2006 und jeweils 200 Mio. in den folgenden Jahren.
Die Begründungen für die Ablehnung waren: Das JEM lehnt den Vertrag ab, weil sie erstens einen Posten als Vizepräsident des Sudan fordert, analog zur SPLA, zweitens die sofortige Zusammenlegung der drei Darfur-Provinzen zu einer und drittens, analog zum Abkommen mit dem Süden, ein Referendum über die Unabhängigkeit Darfurs will.
Das DPA wurde kurz nach der Unterzeichnung von den Nicht-Unterzeichnern torpediert: Am 24. Mai 2006 wurden bereits wieder neue Kämpfe aus Darfur gemeldet. „Offensichtlich handelt es sich um Offensiven der beiden Rebellengruppen, die den Friedensvertrag nicht unterschrieben haben“ (FAZ 24.5.2006). Es bildete sich vorübergehend eine neue Rebellengruppe, die NRF, in der sich Teile der SLA und des JEM zusammenfanden. „Man kann davon ausgehen, dass hinter der NRF die Geheimdienste Eritreas und Tschads stehen“ (NZZ 5.7.2006). Wie eng die Beziehungen des Tschad zu den Rebellen Darfurs sind, war spätestens seit Anfang Mai 2006 bekannt: „Man muß nur in die Grenzregion reisen,“ schrieb der FAZ-Afrikakorrespondent, „um Zeuge der massiven Unterstützung der Tschader für die Rebellen in Darfur zu werden. Die tschadischen Zaghawas liefern den sudanesischen Zaghawas Lebensmittel, Waffen, Munition und sichere Rückzugsgebiete“ (FAZ 3.5.2006). Das bestätigt die NZZ Ende Juli: „Laut mehreren glaubwürdigen Quellen sollen Flugzeuge mit Waffen aus Eritrea in der tschadischen Stadt Abéché gelandet sein. Das für die Rebellen aus Darfur bestimmte Kriegsmaterial sei unter den Augen der am Flugplatz von Abéché stationierten französischen Soldaten ausgeladen worden“ (NZZ 28.7.2006). Die Kriegsgeschehen nimmt – auch wenn mal mehr mal weniger Attacken gemeldet werden – bis heute seinen Lauf. Überfälle auf Hilfskonvois, meist von Rebellen ausgeführt, häuften sich, vereinzelt wurden auch Bombardierungen gemeldet. Allerdings hat der Blutzoll längst nicht die Dimensionen wie 2004 erreicht. Zwischen dem 20. Juni und Mitte November 2007 registrierte der UN Human Rights Council 15 Land- und Luftangriffe von Regierungsseite und von mit ihnen verbündeten Milizen sowie der SLA-Fraktion Minni Minawis in Darfur. Dem fielen 170 Zivilisten zum Opfer.(Reuters, Sudantribune.com, 7.12.2007) Über von Rebellen lancierte Angriffe gibt der Bericht keine Auskunft.
Sehr auffallend ist, dass nach Abuja die Rebellengruppen zunehmend zersplitterten. Die Angaben reichten zeitweilig bis zur Zahl von 26 Rebellengruppen. Allerdings sind bereits wieder gegenläufige Tendenzen zu vermelden. Ende November gelang es, nach mehr als zwei Monate langen Verhandlungen mit Unterstützung der SPLM in Juba, elf Rebellengruppen unter dem neuen Dach SLM/A und unter der Führung von Ahmed Abdelshafi zu vereinen. (Sudantribune.com, 16.12.2007) Die Aufforderung an Abdelwahid al-Nur, sich dieser Vereinigung anzuschließen, wurde allerdings von diesem zurückgewiesen. Nach dem Tod Garangs misstraut al-Nur angeblich der SPLM, weil diese mit al-Bashir eine gemeinsame Regierung bildet. (Sudantribune.com, 16.12.2007)
Seit Januar 2007 sind Bemühungen der Beauftragten von UN und AU, Eliasson und Salim, zu beobachten, in Gesprächen mit Rebellenvertretern und Khartum, Möglichkeiten für Friedensverhandlungen auszuloten, zu denen letztlich Ende Oktober nach Sirte/Libyen eingeladen wurde. Der zunehmende Zerfall der Rebellengruppen erschwerte dies. Salim: „Die Einigung der Rebellen ist Voraussetzung für Verhandlungen“. Der SPLA-Präsident Salva Kiir, zugleich 1. Vizepräsident Sudans, beteiligte sich ebenso an einer Rebelleneinigung wie Sudans Nachbarn. Khartum erklärte sich im Mai 2007 offiziell zu Friedensgesprächen bereit. Das JEM stimmte dem im Juni zu. Allerdings lehnte der SLA-Führer Mohammed al-Nur im Pariser Exil die Teilnahme an sämtlichen Vorgesprächen in Juba und Arusha/Tansania ab.
1.3.4.1. Die Positionen des Abdulwahid al-Nur (SLA)
Al-Nur ist anerkannter Führer der Fur und „nicht nur in den Flüchtlingslagern in Darfur extrem populär ist, sondern auch unter den Flüchtlingen im Tschad, obwohl sich unter diesen nur wenige Fur befinden. Wenn übers Satellitenfernsehen Interviews mit dem SLA-Chef gesendet werden, sind die ‚Freilichtkinos’ in den Flüchtlingslagern gerammelt voll.“ (NZZ 14.11.2007) Deshalb ist es von großer Bedeutung al-Nurs Ziele und Forderungen zur Kenntnis zur nehmen, denn eine „Friedenslösung ohne den SLA-Chef scheint unmöglich.“ (NZZ 14.11.2007) Al-Nur, 39 Jahre jung, der in Paris über ein fürstlich eingerichtetes Büro verfügt, über dessen Geldgeber er keine Auskunft gibt, und dessen Aufenthaltserlaubnisse jeweils nur um ein Vierteljahr verlängert werden, drängte im Januar 2007 in einem „Appell von Paris“ EU und NATO, Truppen nach Darfur zu entsenden: „Sie müssen handeln wie in Bosnien,“ (Sudantribune.com 17.1.2007) sagte er. Um mit Khartum in Verhandlungen zu treten, müssten zuförderst folgende Bedingungen erfüllt sein, so al-Nur: Ende der Tötungen in Darfur, die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Dörfer, der Schutz der Einwohner durch internationale „Peacekeepers“. Al-Nur und seine Leute blieben allen Gesprächen zwischen Rebellen untereinander und zwischen Rebellen und AU/UN-Vertretern fern. Im September wiederholte er seine Position gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg: Die internationale Gemeinschaft solle „handeln wie im Kosovo, als es gewaltsam die Kämpfe stoppte, bevor Friedensverhandlungen begannen.“ (Sudantribune.com, 5.9.2007) Seine politischen Ambitionen offenbarte er gegenüber Bloomberg auch: „Während al-Nur beabsichtigt, eines Tages Präsident des Sudan zu werden, schließt er eine Teilnahme an den Parlaments- und Präsidentenwahlen 2009 aus, weil die, wie er sagte, nicht frei und fair seien. Sein ultimatives Ziel ist der Sturz der Bashir-Regierung. ‚Dies ist unser Endziel, weil es keinen Sudan gibt, solange dieses Regime an der Macht ist’.“ (Sudantribune.com, 5.9.2007) Al-Nur hat den Beschluss, die UN-AU-Truppe zu stationieren, sehr begrüßt. Allerdings hat sein Kommandant für Norddarfur ebenso wie das JEM erklärt, dass sie die Teilnahme der 315 chinesischen Ingenieure und Bauleute ablehnen, weil die VR China Khartum mit Waffen beliefere und das für den angeblichen Genozid an seinen Landsleuten verantwortliche Regime durch die Erdölförderung stütze. Nachdem die USA diese Rebellendrohungen gegen China verurteilten, erklärte das JEM, dass sie die Chinesen in Darfur nicht angreifen würden.
1.3.4.2. Die Positionen des Dr. Khalil Ibrahim (JEM)
Das JEM wird als militärisch stärker als die SLA eingestuft, verfügt über mehr Waffen und ist mobiler als die SLA. Ihre Kämpfer gehören den tschadischen Kobe an, die zur Ethnie der Zaghawa gehören, und können deshalb „auf tschadische Unterstützung zählen“ (NZZ 14.11.2007), denn die Zaghawa leben beiderseits der Grenze und auch der Präsident Tschads Idriss Déby ist ein Zaghawa. Der JEM-Gründer und -Führer Dr. Khalil Ibrahim war mit der Aussage zu vernehmen, dass er, für den Fall, dass die Friedensgespräche in Sirte scheitern, nicht nur eine Selbstbestimmung anstrebe. Er sagte: „Klar, wir wollen Abtrennung und wir wollen unser eigenes Land. Wenn es keine Lösung, keinen Frieden gibt, warum sollen wir dann zusammenleben?“ (BBC World TV, Sudantribune.com, 18.9.2007), fragte er. Dieses Statement Ibrahims könnte taktischer Natur sein, denn zu völlig anderen Einschätzungen über die politischen Ziele der Rebellen gelangt der ortskundige NZZ-Korrespondent Kurt Pelda: „Anders als die SLA, die sich mit ihrem Krieg ein Ende der ‚arabischen’ Attacken auf ‚afrikanische’ Dörfer und ein grösseres Stück vom Kuchen für Darfur erhofft hat, verfolgt das JEM eine mehr national ausgerichtete Strategie. Es zielt auf den Sturz des Regimes in Khartum ab.“ (NZZ 14.11.2007) „Es will eine Revolution im ganzen Nordsudan anzetteln.“ (NZZ 31.8.2007) Dr. Khalil Ibrahim gilt als Islamist, der „aus dem Dunstkreis von Hassan al-Turabi kommt“. Gegen Khalil Ibrahim hat das US-Schatzamt Ende Mai 2007 Sanktionen verhängt. (Sudantribune.com, 6.6.2007) Seine Guthaben in den USA sind eingefroren. Daraus lässt sich leicht schließen, dass sich das JEM keiner US-Unterstützung erfreuen wird.
Mit tatkräftiger Unterstützung Muhammar al-Ghaddafis wurde auf Einladung von UNO und AU in Sirte am 27. Oktober 2007 eine Friedenskonferenz anberaumt. SLA und JEM nahmen daran nicht teil. Neben Vertretern der sudanesischen Regierung fanden sich dort lediglich Vertreter von acht Splittergruppen ein, so dass die Gespräche gegenstandslos wurden. Mit einer Neuaufnahme der Gespräche wird nicht vor Januar 2008 gerechnet.
Eine geradezu sensationelle Entwicklung zeichnet sich ab: Die berüchtigten Janjawid, die die Politik der verbrannten Erde in Darfur betrieben und schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind in Auflösung begriffen. Zu lesen ist in der NZZ Mitte November, dass es die SLA geschafft habe, „eine grössere Zahl arabisch stämmiger Janjawid, also Mitglieder von Regierungsmilizen, zum Überlaufen zu bewegen.“ (NZZ 14.11.2007) Der Grund: Die Rebellen zahlen mehr als die Regierung. Der UN-Sondergesandte Jan Eliasson sagte bereits Anfang Oktober, dass die Janjawid nicht länger eine wahrnehmbare Gruppe („no longer a discernible group“) seien. Sie hätten sich in andere Gruppen aufgelöst („dispersed into other groups“). (Reuters, Sudantribune.com, 4.10.2007) Diese Aussagen könnten von außerordentlicher Bedeutung sein, denn die vermeintlichen Hauptsubjekte des angeblichen Genozids in Darfur scheinen zu verschwinden. Die Begründung für den UNAMID-Einsatz gerät ins Wanken. Der US-Sondergesandte Natsios gab bekannt, dass Abdulwahid al-Nur „im Gespräch, vielleicht im Bündnis“ mit dem Janjawid-Führer Hamaditi sei. Hamaditi war mit seinen angeblich 20.000 Kämpfern von Khartum abgefallen, nachdem er kein Geld mehr von dort erhielt. Die sudanesische Luftwaffe hat ihn in Süd-Kordofan angeblich angegriffen, um seine Rebellion niederzuschlagen.( Sudantribune.com, 12.12.2007) Auch JEM-Führer Khalil Ibrahim meldete die „atemberaubende Entwicklung“, dass „7 arabische Emire und 22 arabische Spitzenkommandanten“ zu ihm übergelaufen seien. (Sudantribune.com, 26.12.2007)
Erstmals wurde ein Camp der AU brutal überfallen. Zwölf Soldaten, vor allem aus Nigeria, fielen dem Angriff in Haskanita am 30.9.2007 zum Opfer. Es ist von 1.000 Angreifern die Rede. Die AU hat es bis heute nicht vermocht, die Angreifer eindeutig zu identifizieren. Eine UN-Untersuchung ergab, dass die Angreifer Fahrzeuge mit der Aufschrift JEM verwendeten. JEM-Führer Ibrahim dagegen schrieb einer von ihm abgefallenen nicht näher bezeichneten Splittergruppe den Überfall zu. (Reuters, Sudantribune.com, 12.12.2007)
Am 29. August 2007 überfielen JEM und der SLA-Unity eine Ortschaft in Nord-Kordofan, etwa 60 km östlich der Grenze zu Darfur. Es wird von fünf Widerstandsgruppen in Kordofan berichtet, unzufriedene Araber, die sich gegen die Regierung stellen und sich mit den Darfuris verbünden. Zwei Monate danach, am 25. Oktober, also unmittelbar vor dem Beginn der Friedensgespräche im libyschen Sirte, begingen JEM-Rebellen einen Überfall auf das Diffra-Ölfeld in der umstrittenen Region Abyei. Sie brachten 20 Regierungssoldaten um und entführten fünf Ölarbeiter, die sie erst im November frei ließen. Ihre Forderung: Die Ölgesellschaften sollten den Sudan verlassen. Tags darauf verkündete das JEM, dass dies erst der Anfang sei und sie die Angriffe auf Ölfelder im gesamten Sudan ausbreiten wollen. (Reuters, Sudantribune.com, 26.10.2007) JEM steht hier nicht allein: Auch Abdulwahid al-Nur „beabsichtigt, Ölgesellschaften, vor allem aus China anzugreifen“, denn China rüste Khartum mit Waffen aus, die sein Volk töteten. (Dow Jones Newswires, Sudantribune.com, 8.12.2007) Am 11. Dezember erfolgte der zweite JEM-Überfall. Diesmal auf das Rahaw-Ölfeld in Kordofan, etwa 30 km vom Diffra-Ölfeld entfernt, das ebenfalls von einer chinesischen Firma ausgebeutet wird. (NZZ 12.12.2007) Die britische Regierung verurteilte die Angriffe auf Kordofan und bezeichnete Versuche, den Konflikt auf außerhalb Darfurs auszuweiten als „inakzeptabel“. (Sudantribune.com, 14.12.2007) Die Politik al-Nurs und der JEM, die auf eine Ausweitung der Kriegshandlungen über Darfur hinaus angelegt ist, lässt für die Stationierung der hybriden UN-AU-Truppe nichts Gutes erwarten. Sie sieht sich einer Ausweitung der Konfliktzone gegenüber. Als Folge dessen lässt sich leicht vorhersagen, dass Rufe nach einer qualitativen Verstärkung der UNAMID, die selbstverständlich nur NATO und EU in der Lage sind zu stellen, nicht lange auf sich warten lassen werden. Zudem sind immer wieder Forderungen nach der Einrichtung einer Flugverbotszone der NATO über Darfur laut geworden. George Bush, Hillary Clinton und das EU-Parlament sind hier hervorzuheben.
Obendrein verstärkt das JEM seine Angriffe in Darfur. Khalil Ibrahim gab im Dezember 2007 an, die Hauptstadt Westdarfurs el-Geneina umzingelt, und eine sudanesische Antonov-Maschine über Süddarfur abgeschossen zu haben. Er erklärte Darfur zur No-Fly-Zone. Künftig müssten UN- und AU-Überflüge beim JEM angemeldet werden, um nicht Gefahr zu laufen, versehentlich abgeschossen zu werden.
Militärisch können die Rebellen den Krieg gegen Khartum nicht gewinnen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sie die Attacken vorantreiben werden. Ihre dahinter stehende Strategie scheint zu sein, unverhältnismäßige Reaktionen von Regierungsseite zu provozieren. Diese Taktik ist vom Kosovo her bekannt. Sie endete auf dem Balkan damit, dass die NATO einen Krieg gegen Belgrad führte. Diese balkanische Strategie könnte eine sudanesische Variante bekommen. Die Strategie der Rebellen deckt sich mit den Interessen „des Westens“, letztendlich eine ihnen ergebene Regierung in Khartum zu installieren („Regime-Change“), um die reichlichen Naturressourcen des Landes zu nutzen. Zudem ist das Land an Nil und Rotem Meer – direkt vis-à-vis der Lagerstätten von Öl und Gas auf der arabischen Halbinsel – von großer geostrategischer Bedeutung.
Die Ölförderung begann 2002. Die nachgewiesenen Ölreserven werden mit 0,9 Mrd. Barrel angegeben. Damit belegt der Tschad die 42. Stelle der Erdölförderländer, ist also ein kleines Erdölland. Täglich werden 160.000 Barrel gefördert. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich dank des Erdölexports verdreifacht (2002: 2 Mrd. Dollar, 2005: 5,5 Mrd. Dollar). Von dem Boom kommt allerdings bei der verarmten Bevölkerung nichts an. Die Ölfelder liegen südlich von Doba im äußersten Süden nahe an der Grenze zu Kamerun und der Zentralafrikanische Republik (ZAR) und das Öl wird über eine Pipeline durch Kamerun an den Golf von Guinea transportiert. Der Bau der Pipeline kostete 3,7 Mrd. Dollar. Die Konsortialpartner der Pipeline und auch der Ölförderung sind die US-Öl-Multis ExxonMobile (40 %) und Chevron (35 %) sowie die malaysische Petronas (25 %). „Die Einnahmen aus den Schürfrechten werden von der Weltbank kontrolliert, der Tschad selbst zieht aus Lizenzgebühren und Steuern nur einen Gewinn von etwa 12,5 Prozent der Gesamteinnahmen.“ (DiePresse.com, 6.11.2007) Soviel zur Ausbeutungssituation im Verhältnis Nord-Süd.
Bis 1960 war der Tschad französische Kolonie. Alle Präsidenten des Tschad danach sind nicht durch Wahlen an die Macht gekommen, sondern haben geputscht. Das US-Außenministerium gibt eine aufschlussreiche Auskunft über die Bedeutung des Tschad in Afrika: „Tschad nimmt eine strategische Lage ein westlich von Sudan, südlich von Libyen, teilt Grenzen mit der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun, Nigeria und Niger.“ (http://www.state.gov/t/pm/rls/rpt/fmtrpt/2006/74682.htm) In diesem Bericht des Büros für politisch-militärische Angelegenheiten über US-amerikanische Militärhilfe an afrikanische Länder, wird lediglich drei Ländern Afrikas das Attribut „strategisch“ zuerkannt. Neben dem Tschad ist es Djibouti, wegen seiner Lage am Horn von Afrika, und Eritrea am Roten Meer. Dem Tschad kommt demnach nicht nur wegen des Öls aus US-Sicht eine herausgehobene strategische Rolle in Afrika zu, sondern wegen der geographischen Lage. Tschads Nachbar Niger ist der viertgrößte Uranexporteur der Welt, in Libyen und Nigeria zusammen lagern zwei Drittel der nachgewiesenen afrikanischen Ölreserven (soviel wie in Venezuela, Platz 8 der Weltölreserven). Diese Sicht hat sich Frankreich seit Langem zu Eigen gemacht. Frankreich betreibt im Tschad zwei Stützpunkte („Dispositif Épervier“, Falke). In der Hauptstadt N’Djamena unterhält es den Flughafen Afrikas mit der längsten Landebahn, hat unter anderem „sechs Kampfflugzeuge vom Typ Mirage F-1 mit Tank-, Transport- und Spionageflugzeugen sowie mehreren Hubschraubern“ (FAZ 15.4.2006) und ständig zwei Infanteriekompanien bestehend aus Fremdenlegionären – insgesamt zur Zeit etwa 1.350 Soldaten – im Land stationiert. Vom Tschad aus werden Kampfeinsätze überall in Afrika geflogen. N’Djamena ist Frankreichs militärisches Luftkreuz in Afrika. Einen zweiten Stützpunkt unterhält Frankreich in Abéché (Osttschad), inklusive Flugplatznutzung. Die Franzosen beobachten mit Argwohn das Vordringen US-amerikanischen Einflusses in ihrer ehemaligen Kolonie.
Der derzeitige tschadische Präsident Idriss Déby, in Frankreich zum Kampfpiloten ausgebildet, kam 1990 durch einen Putsch gegen Hissène Habré, einem Goranen aus dem äußersten Norden des Tschad und erbitterten Feind Ghaddafis, an die Macht. Déby hatte Ende der 80er Jahre mit Unterstützung Ghaddafis seine Invasion im Tschad von Darfur aus vorbereitet und hat sich seitdem mit libyscher, aber vor allem mit französischer Hilfe an der Macht gehalten. Als Mitte April 2006 Rebellenmilizen vor N’Djamena auftauchten, um Déby zu stürzen, „war es die französische Armee, die Déby den Kopf rettete, als französische Soldaten die Positionen der Rebellen auskundschafteten und ein französisches Kampfflugzeug eine Rebellenkolonne mit Raketen beschoß.“ (FAZ 3.5.2006) „Der tschadische Generalstab (stand) damals faktisch unter französischem Kommando.“ (FAZ 14.7.2007) Die Wahlen 1996 und 2001 waren gefälscht (FAZ 3.5.2006) und die Wahlen im Mai 2006, die von der Opposition boykottiert wurden, waren ebenfalls eine Farce. „Zudem stehlen die Politiker wie die Raben, ein Urteil, das von Transparency International bestätigt wird: Die Anti-Korruptions-Organisation hält Tschad für das korrupteste Land der Welt.“(NZZ 16.5.2006) Die NZZ lässt eine westliche Beobachterin mit Einblick in die Verhältnisse zu Wort kommen: „(Sie) spricht gar von einer ‚Ein-Mann-Mafia’.“ (NZZ 16.5.2006) Aber das stört weder Frankreich noch die internationale Staatengemeinschaft.
Im August 2006 brach Déby die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab, um tags darauf neue zur VR China aufzunehmen. Ende Juli 2007 sprudelte zum ersten Mal Öl aus einer von der CNPC gehaltenen Quelle im Tschad. Vereinbart ist auch, dass CNPC im Tschad eine neue Raffinerie baut.
2.2.1. Rebellengruppen im Tschad
Seit Déby im Jahr 2003 die Verfassung änderte, um nicht nur zwei Amtszeiten regieren zu dürfen, sondern unbegrenzt, hat er richtig Ärger. Der Tschad wird von der Ethnie der Zaghawa beherrscht, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung stellen. Mit der Verfassungsänderung war die Übereinkunft, die Macht unter den Zaghawas in einem Kollegialprinzip aufzuteilen, zerbrochen. Zudem stand der danach in Paris ermordete Sohn Débys damals zur Nachfolge seines als krank geltenden Vaters (Jahrgang 1952) bereit. Débys Prätorianergarde – alles Zaghawas – desertierte und versucht Déby von Darfur aus zu stürzen. Seine ehemals engsten Vertrauten, die Zwillinge Timan und Tom Erdemi, Neffen Débys, bildeten die Rebellengruppe RFC (engl. Akronym für Movement of the Forces of Change) und sind zum bewaffneten Widerstand übergegangen. 15 Jahre lang waren beide graue Eminenzen des Regimes. Timan war jahrelang Chef des Präsidialbüros, Tom, der frühere Ölminister, lebte eine Zeitlang in Houston (Texas), „hat beste Kontakte zur dortigen Ölindustrie und ist aus Pariser Sicht folglich nicht salonfähig.“ (FAZ 17.1.2006) Die Putschversuche von Débys Leibgarde im Mai 2004 und Oktober 2005 schlugen fehl. Im April 2006 unternahm ein Zusammenschluss von acht Kampfgruppen unter Einschluss der Erdemi-Zwillinge von Darfur ausgehend über die ZAR den bereits erwähnten Angriff auf N’Djamena. Über den Umweg ZAR, deshalb, „weil im Osten vom Tschad grosse tschadische Truppenverbände stationiert sind, die zudem Unterstützung von den ebenfalls im tschadisch-sudanesischen Grenzgebiet operierenden Rebellen aus Darfur erhalten.“ (NZZ 4.5.2006)
Im September 2006 startete die Regierung eine neue Offensive gegen die Rebellen im Osten, was zum Tod Hunderter von Rebellen führte. Die Rebellen gingen von Darfur aus – mit Unterstützung darfurischer Janjawid – am 22.10.2006 zum Gegenangriff über und eroberten zeitweise mehrere tschadische Städte, die sie auch wieder verließen. Sogar die größte Stadt im Osten des Tschad Abéché (190.000 Einwohner) konnte von der Rebellengruppe UFDD (Union of Forces for Democratie and Development) zeitweilig erobert werden. Die etwa 3.000 Mann starke UFDD wird geführt vom 60jährigen General Mahamat Nouri, von 2004 bis April 2006 tschadischer Verteidigungsminister (derStandard.at, 2.12.2007), ebenfalls ein Gorane wie Habré.
Der zweite wichtige Rebellenführer ist Mahamat Nour. Er gehört den im Nordtschad ansässigen Tama an. Nour hat „angeblich gute Beziehungen ins Nachbarland Sudan, wo er im Ölgeschäft reich geworden sein soll.“ (FAZ 19.4.2006) Nour und seine FUC (United Front for Democratic Change) waren die militärisch stärksten beim Angriff auf N’Djamena. Im Dezember 2006 hat er gegen Ölgeld die Seiten gewechselt und wurde im Mai 2007 Verteidigungsminister des Tschad. Seine Truppen waren mehr oder weniger integriert in die Armee bis es Mitte Oktober 2007 zu einen Kampf zwischen einer 1.000 Mann starken von Nour desertierten Truppe mit Regierungssoldaten kam, dem 20 Rebellen zum Opfer fielen. N`Djamena rief daraufhin in zwei Provinzen des Osttschad bis Ende Oktober den Notstand aus. Ende November kam es zwischen der FUC und Regierungssoldaten zu einem weiteren Zusammenstoß, woraufhin Déby Nour als Verteidigungsminister rauswarf. Dieser flüchtete in die libysche Botschaft in N’Djamena.
Im Osttschad führten die Kämpfe zu einem markanten Anstieg der Binnenflüchtlinge von 30.000 im Mai 2006 auf 180.000 im Mai 2007. Dazu kommen 236.000 Flüchtlinge aus Darfur, die vom UNHCR in 12 Camps betreut werden. Des weiteren gibt es noch 54.000 Flüchtlinge aus der ZAR, so dass sich im Grenzgebiet insgesamt etwa 470.000 Flüchtlinge aufhalten. (UNHCR, IDP-Presents in East-Chad, May 2007)
2.2.2. Rebellen in der ZAR
Die ZAR könnte „zu den reichsten Ländern des Kontinents gehören. Es ist eine Region, in der es alles in Überfluss gibt: reichlich Wasser, Wälder voller Tropenholz, Uran, Gold und Diamanten.“ (Der Spiegel, 3.12.2007) Die ZAR belegt Platz 11 bei der Weltproduktion von Diamanten, die im Nordosten abgebaut werden. Diamanten sind mit 36 Prozent des Werts das Hauptexportgut der ZAR. 70 Prozent des tschadischen Gesamtexports geht nach Belgien, 7 Prozent je nach Frankreich und nach Deutschland. 30 Prozent des Imports kommt aus Frankreich. 80 Prozent der Menschen leben in bitterer Armut. Auf der Rangliste der ärmsten Länder liegt die ZAR auf Platz 172 – von 177.
Der derzeitige Präsident Bozizé ist mit Hilfe Débys 2003 an die Macht in Bangui geputscht worden. In der ZAR gibt es seit Jahren eine Aufstandsbewegung. Kämpfe mit der Regierungsarmee führten dort zu 150.000 intern Vertriebenen, 80.000 sind in den Tschad und nach Kamerun geflüchtet. (NZZ 27.1.2007) In Folge von Angriffen hat seit Ende Oktober 2006 die Union des forces démocratiques pour le rassemblement (UFDR) einige Städte im Osten des Landes unter Kontrolle gebracht. Tschad hat 150 Soldaten in die ZAR geschickt und Frankreich seine permanent stationierten 200 Mann starke Truppe um 100 Mann sowie Hubschrauber verstärkt. Den Zusammenhang ZAR-Tschad-Sudan erläutert die NZZ im Januar 2007: „Die im Osten von Tschad und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik operierenden Rebellen werden vom Sudan grosszügig mit Kriegsmaterial versorgt und in sudanesischen Lagern ausgebildet. Geschickt nutzt Khartum die weitverbreitete Unzufriedenheit mit den Regimen in Ndjamena und Bangui aus, um Revolten zu schüren und die ganze Region zu destabilisieren. In Wirklichkeit geht es Khartum darum, den in letzter Zeit massiv erstarkten Aufständischen in Darfur das Leben schwerzumachen, indem es deren Rückzugsgebiete und Nachschubwege in Tschad bedroht. Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik ist dabei ein Nebenprodukt des tschadischen Bürgerkriegs: Khartums Absicht war es wohl, die zentralafrikanischen Rebellen nach Westen vorrücken zu lassen, um die tschadischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten Darfur-Rebellen im Süden zu umgehen.“ (NZZ 27.1.2007) Frankreich hat mit der ZAR und auch mit dem Tschad separate militärische Beistandsabkommen. Auf Grundlage dessen griffen französische Fallschirmjäger und Mirage-Bomber zusammen mit ZAR-Truppen Ende März 2007 eine Stadt in der ZAR an, in der sich Rebellen der UFDR befanden. 70 Prozent der Häuser wurden dadurch niedergebrannt und 2.000 der 2.600 Einwohner mussten nach Darfur fliehen. (The Independent, Sudantribune.com, 31.3.2007)
Mitte Februar 2007 machte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Vorschlag, 11.000 UN-Blauhelme in den Tschad und in die ZAR zu entsenden. Dazu kam es aber zunächst nicht. Der frisch ernannte französische Außenminister Kouchner machte während des G-8-Treffens Ende Mai 2007 den Vorschlag, einen „humanitären Korridor“ im Tschad einzurichten, der mit 3.000 bis 12.000 Soldaten der EU einen Zugang zu den Flüchtlingslagern in Darfur absichern sollte. Mitte Juli 2007 wurde Frankreich konkret. Es biete etwa 1.500 Soldaten oder Polizisten als Kern europäischer Truppen „zum Schutz der Flüchtlingslager im Tschad“ an. Die Schutztruppe „solle die Milizen abschrecken und Übergriffe verhindern“. Es ginge darum, „möglichst schnell, gleich nach Ende der Regenzeit, zu helfen.“ (FAZ 18.7.2006) Die Regenzeit endet gewöhnlich im September oder Oktober. Die Aufgaben des Einsatzes hat der UN-Sicherheitsrat in einer von Frankreich eingebrachten Resolution (UN-SR-Res. 1778, 25.9.2007) festgelegt. Sie umfasst zwei zusammenhängende Mandate. Erstens: Die UNO stellt in der Mission MINURCAT 300 Polizisten und 50 Verbindungsoffiziere ab, um 800 tschadische Polizisten auszubilden, „die ausschließlich dafür eingesetzt werden soll(en), die öffentliche Ordnung in den Flüchtlingslagern [...] aufrechtzuerhalten.“ (UN-Res. 1778, S. 4) Zweitens: Der zweite Teil der Resolution ist nach Kapitel VII mandatiert und ermächtigt die EU für ein Jahr MINURCAT zu schützen und im Osten Tschads und im Nordosten der ZAR „zum Schutz von gefährdeten Zivilpersonen, insbesondere Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, beizutragen, [..] zur Erhöhung der Sicherheit im Einsatzgebiet beizutragen [...] und Bewegungsfreiheit der humanitären Helfer zu erleichtern“ sowie das UNO-Personal und ihre Einrichtungen zu schützen. Sie firmiert als Überbrückungsmission bis sie nach einem Jahr von einer vagen UNO-Mission abgelöst wird.
Die Aufgabenbeschreibung ist sehr schwammig, legt das Einsatzgebiet nicht konkret fest, erklärt den unmittelbaren Schutz der Lager und auch die Überwachung der Grenzen nicht zum Aufgabenfeld, hat keine Exitstrategie und enthält keine Festlegungen über die Ausrüstung der Eufor-Truppe. Das UN-Mandat lässt also der EU-Truppe einen breiten Spielraum.
Der Leiter der zuständigen Planungsgruppe im EU-Militärstab umschreibt ihre Aufgabe so: „Damit soll sie der geplanten Darfur Militärintervention von Uno und AU gleichsam den Rücken freihalten. Im wesentlichen gehe es darum, bewaffnete Gruppen fernzuhalten, die versucht sein könnten, die Grenzgebiete zu destabilisieren.“ (NZZ 5.10.2007)
Über die Zusammensetzung der EU-Truppe (EUFOR TCHAD/RCA) ist zu erfahren, dass Frankreich 1.400 Soldaten stellt, Polen 400, Irland 350, Schweden und Rumänien je 200, Österreich 160, Finnland 40, Belgien100 und die Niederlande 70. Zusätzlich wird in Europa eine Eingreifreserve mit 600 Soldaten bereit gehalten. Kommandant ist der Ire Patrick Nash im Hauptquartier Mont Valérien bei Paris. Vor Ort im Tschad führt der französische General Ganascia das Kommando. Mittlerweile ist der Chefposten des EU-Militärstabs auf den französischen Generalstabschef Bentégeat übergegangen. Daraus wird deutlich, dass es sich um ein französisches Projekt in französischer Hand handelt. Das zeigt sich auch an dem Umstand, dass die EU-Mitglieder keinen Wert darauf legten, ihre binnen zehn Tagen einsetzbaren je 1.500-Mann starken Battlegroups zu verwenden. Dafür standen im 2. Halbjahr 2007 eine italienisch geführte mit slowenischen und ungarischen Anteilen und eine griechisch geführte Battlegroup mit bulgarischen, rumänischen und zypriotischen Anteilen in Bereitschaft. Im ersten Halbjahr 2008 sind es eine schwedisch geführte und eine spanisch geführte Battlegroup.
Es geht Frankreich darum, seine Interessen in Afrika – das sind hier konkret die Macht Débys – zu sichern. Mit einem rein französischen Einsatz könnte der Anschein von Neutralität überhaupt nicht erzielt werden. Deshalb liegt Frankreich sehr daran, seine Einsätze in Afrika oberflächlich zu europäisieren. Das geht so: Frankreich bildet den Kern und behält die Führung und die EU macht die Charade mit, weil sie konkrete Erfahrungen bei der Militarisierung sammeln und die Bevölkerungen ihrer Länder an die EU-Militarisierung gewöhnen will. Die Teilnehmerstaaten versprechen sich einen nationalen Vorteil davon, solange Militärinterventionen, wenn sie denn anscheinend der Humanität dienen, einen Prestigegewinn darstellen. So erhofft sich beispielsweise Österreich von der Teilnahme, bessere Chancen dafür, als nicht-ständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt zu werden.
Es bestehen offene Zweifel an der Neutralität der Eufor-Truppe und Widersprüche. Das französische „Dispositif Épervier“ unterstützt die tschadische Regierung beim Kampf gegen die Rebellen. Es bildet das tschadische Militär aus, überfliegt ständig die östliche Grenzregion nach Darfur, liefert Aufklärungsdaten und hat Rebellen bombardiert. Auch konnte die Betankung eines tschadischen Mi-24-Kampfhelikopters durch französische Soldaten auf dem Flugplatz in Abéché beobachtet werden. (NZZ 4.12.2007)
Unklar ist, ob Épervier in die Eufor-Truppe integriert wird, oder additiv zu den insgesamt etwa 3.700 Eufor-Soldaten dazu kommt. Gesicherte Erkenntnis ist jedoch, dass Épervier „der EU-Truppe nicht nur logistisch unter die Arme greifen, sondern sicher auch mit Geheimdienstinformationen helfen (wird).“ (NZZ 4.12.2007) Zurecht bemerkt die NZZ: Zwar sei der Kommandant ein Ire, „doch bleibt es das Geheimnis der Verantwortlichen, wie die französischen Eufor-Soldaten zwischen Tschads Armee und den Rebellen neutral bleiben sollen, während ihre Kollegen von Épervier quasi eine Kriegspartei sind.“ (NZZ 4.12.2007) Ebenso bemerkenswert ist, dass es offensichtlich einen Widerspruch zwischen der offiziellen Aufgabe, Flüchtlinge und Hilfswerke zu schützen, und den tatsächlichen Notwendigkeiten gibt. „Obwohl in Tschad insgesamt rund 400.000 Flüchtlinge aus Darfur und intern vertriebene Tschader leben, ist keines der Lager jemals von einer Kriegspartei angegriffen worden. Überfälle auf Mitarbeiter von Hilfswerken gehen hauptsächlich auf das Konto von Banditen sowie tschadischen Soldaten und Rebellen aus Darfur, die mit der tschadischen Armee verbunden sind,“ (NZZ 4.12.2007) schreibt die NZZ. Und die FAZ stellte fest: „In der Region tätige Hilfsorganisationen kämen bisher mit der Versorgung der Leute zurecht und lehnten einen militärischen Schutz ohnehin ab.“ (FAZ 25.9.2007)
Ein Anfang Oktober 2007 von vier der wichtigsten tschadischen Rebellengruppen (UFDD, UFDD-F, RFC und CNT) unterzeichneter Friedensvertrag mit der tschadischen Regierung, der dann am 25. Oktober in Tripoli in Anwesenheit von Ghaddafi und al-Bashir förmlich unterzeichnet wurde,ist Makulatur. Die Vereinbarung beinhaltet einen sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung von Gefangenen, die Teilnahme der Rebellen an der Regierung und den totalen Respekt vor der tschadischen Verfassung. Die Waffenruhe hielt bis zum 26. November. Dann griff die tschadische Nationalarmee (ANT) bei Abou Goulem (liegt zwischen Abéché und der darfurischen Grenze) die UFDD an (FAZ 7.12.2007). Beide Seiten behaupteten gegenseitig Hunderte getötet zu haben. Danach kam es nacheinander zu Kämpfen zwischen der ANT und dem FUC bzw. der RFC. Diese wurden als die stärksten Rebellenangriffe seit Débys Putsch 1990 bezeichnet. (Sudantribune.com, 9.12.2007) Die Rebellengruppen werfen den Franzosen vor, die ANT mit Luftaufklärung zu unterstützen, „wodurch die tschadischen Kampfhubschrauber in der Lage sind, die Rebellen punktgenau zu beschießen.“ (FAZ 7.12.2007) Die UFDD erklärte, von nun an befinde sie sich „im Kriegszustand mit der französischen Armee und jeder anderen ausländischen Militärmacht auf nationalem Gebiet.“ (FAZ 1.12.2007) UFDD und RFC haben vereinbart, ihre Militäraktionen zu koordinieren. Es droht im Osttschad ein Zweifrontenkrieg. Es handelt sich also um eine bewaffnete Rebellion, somit um einen Bürgerkrieg im Tschad. Für weitere Verunsicherungen in der Grenzregion sorgen Banditen, deren Zahl mit mehreren Tausend angeben wird.
Sudan beschwerte sich beim UN-Sicherheitsrat darüber, dass der Tschad Ende Dezember seinen Luftraum und sein Territorium verletzt habe, indem es tschadische Rebellen in Westdarfur bombardierte. (Sudantribune.com, 29.12.2007) Diesem Angriff waren bereits Luftangriffe im November 2005 und Dezember 2006 vorausgegangen. Der tschadische Vorwurf an Khartum ist, die tschadischen Rebellen seien mit sudanesischen Waffen ausgerüstet worden. Damit ist die Übereinkunft von Cannes beim Afrikagipfel vom Februar 2007 endgültig Makulatur. Zwischen den Präsidenten al-Bashir, Déby und Bozizé war vereinbart worden, künftig gegenseitig auf die Unterstützung der im jeweiligen Nachbarland operierenden bewaffneten Gruppen zu verzichten. Die von al-Bashir und Déby am 22. Februar 2007 im libyschen Tripolis darüber hinaus getroffene Vereinbarung, gemeinsame gemischte Grenzüberwachungseinheiten zu bilden, um den Waffenschmuggel über die tschadisch-sudanesische Grenze hinweg zu unterbinden, hatte ohnehin nie gegriffen.
Der EU-Plan sieht vor, „permanente Stützpunkte in den Orten Abéché, Iriba, Farchana und Goz Beida sowie in Birao in Zentralafrika (zu) errichten.“ (NZZ 4.12.2007) Daraus ergibt sich allein im Tschad ein Einsatzgebiet mit den Ausmaßen von etwa 350 km mal 150 km. Das sind etwa 50.000 km², was etwa der Größe Niedersachsens entspricht. Im Grenzgebiet befinden sich nach Aussagen des Leiters der Führungsstabs des österreichischen Verteidigungsministeriums Segur-Canbanac bereits 15.000 Soldaten der ANT (volksblatt.at, 28.11.2007). Allerdings verzögert sich die Aufstellung von Eufor erheblich. Es fehlen 15 Transport- und sechs Kampfhubschrauber, die wüstentauglich sein müssten, sowie Transportflugzeuge und ein Feldhospital. Mit einer vollständigen Stationierung von Eufor Tchad/RCA wird erst für März 2008 gerechnet. Stimmen sind bereits zu vernehmen, die angesichts der Größe des Einsatzgebiets und der Virulenz der Kämpfe eine Aufstockung der EU-Truppe fordern.
Hamburg, den 30. Dezember 2007
* Lühr Henken ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. Das vorliegende Manuskript beruht auf ein em Referat, das Lühr Henken am 14. Friedenspolitischen Ratschlag am 1/2. Dezember 2007 an der Uni Kassel gehalten hat.