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"Der Konflikt wird nicht so schnell zu lösen sein" / "The conflict has little chances of being resolved soon

Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zur Situation im Tschad veröffentlicht: Beurteilung einer EU-Militärmission / Assessing the European Union’s Military Intervention in Chad

Im Rahmen des "Security Study Program" des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde im November 2007 ein Arbeitspapier (Working Paper) veröffentlicht, das den Titel trägt: "African Adventure? Assessing the European Union’s Military Intervention in Chad and the Central African Republic". Autor der Studie ist Björn H. Seibert, der vor seinem Studienaufenthalt am MIT in Boston im Dienst der deutschen Bundeswehr stand. Außerdem arbeitete er für das American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI).
Ein Artikel im Wiener "Standard" (Autor: Conrad Seidl) fasst die wesentlichen Aussagen der Studie zusammen. Im Anschluss daran dokumentieren wir die Zusammenfassung der Studie in Englisch; zum Abschluss dieser Seite gibt es dann noch neueste Meldungen aus dem Tschad.



US-Studie warnt EU vor Risiken im Tschad

Die Hautaussage der Studie lautet: Die geplante EU-Truppe ist "zu gering dimensioniert, logistisch aufwändiger als bisher bekannt und ohne Zukunftsperspektive".

Im Einzelnen:
Um wirklich Sicherheit in der Region zu schaffen, wären nach Einschätzung von Björn H. Seibert eher 12.500 Mann notwendig: "Ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der EU-Mission ist die Fähigkeit, glaubwürdige Präsenz im Einsatzgebiet zu zeigen." Selbst 12.500 Mann ergäben nur eine Präsenz von 0,06 EU-Soldaten pro Quadratkilometer. Seibert erinnert daran, dass die „Operation Turquoise“, mit der die UNO 1994 in Ruanda eine Schutzzone einzurichten versucht hat, vor allem wegen der zu geringen Truppenstärke gescheitert ist. Dort kamen rechnerisch 0,35 Soldaten auf einen Quadratkilometer.

Wenn man einen Aufmarsch schon so dünn plane, dann müsse man wenigstens mit Hubschraubern den Eindruck einer „omnipräsenten Streitmacht“ erzeugen. Aber, wie der Standard berichtete, mangelt es gerade an wüstentauglichen Hubschraubern.

Unkalkulierbar seien die Kosten der Mission – obwohl die geplanten Aufmarschzeiten realistisch eingeschätzt wurden, seien Engpässe beim Lufttransport und hohe Mietkosten bei Transportflugzeugen zu erwarten. Wenn auch nur ein Fünftel des Bedarfs eingeflogen werden muss, sind die Kosten allein dafür zwischen 6,29 und 11,55 Millionen Euro anzusetzen, wobei die Versorgung während der Folgemonate noch gar nicht eingerechnet ist.

Die Studie verweist außerdem darauf, dass keineswegs abschätzbar ist, wie lange das afrikanische Abenteuer der EU wirklich dauern soll. Es sei "unwahrscheinlich, dass die Eufor von einer Nachfolge-Truppe der UN nach einem Jahr abgelöst wird".

Dann aber kämen neue Probleme: "Da der Konflikt wenig Chance hat, rasch gelöst zu werden, lässt sich die EU womöglich auf eine Langzeit-Mission ein."
Gleichzeitig würde die Eufor, je länger sie im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik bleibt, auch immer tiefer in das verworrene Netz der Konflikte verstrickt.

Nach: DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2007


African Adventure?

Assessing the European Union’s Military Intervention in Chad and the Central African Republic

by Bjoern H. Seibert

Hier geht es zur Studie (pdf-Datei, externer Link)

Zusammenfassung der Studie (S. 39-40)

KEY FINDINGS AND IMPLICATIONS

The paper started by noting the absence of a real assessment of the EU’s upcoming mission in Chad and Central African Republic. It conducted an analysis of the mission, and identified the following key findings:

First, the European force can deploy into the area of operations within a reasonable timeframe. However, deployment will be logistically very challenging and very expensive.

Second, the force pledged to EUFOR, in its currently projected composition, seems to be well below the required force size for the mission. Unless it is supported by substantial rotary-wing aviation, some doubts remain as to whether the force can fulfill the objective of protecting the population.

Third, EUFOR is unlikely to be replaced by a UN follow-on-force and withdraw within one year.

On the basis of these key findings, the paper concludes with three main observations:

The Logistical Challenge

The logistical challenge of the intervention will be significant. As highlighted above, the deployment will, due to the remoteness of the area of operations, the poor local infra infrastructure, and the likely inability of the host nation to provide support, be very challenging.

However, the logistical challenge does not stop there. Rather, the continued sustainment of the force will be an equally great challenge. Virtually anything the EUFOR needs, such as water, fuel, food, medical supplies, etc. will have to be brought into the area of operations over a distance far greater than any other current mission. It is worth remembering that in the previous French operation in Chad, Operation Manta, the logistical challenges of continued sustainment were one of the important factors undermining the achievement of the mission’s objectives. Additionally, even if the mission only lasts for one year, it will likely be the most expensive mission ever undertaken by the European Union. Should it last longer, it seems probable the eventual termination of the mission will be due to fiscal concerns, more than anything else.

Resources Determining Strategy

The analysis finds that the proposed size of EUFOR appears to be well below the required force size for the mission – unless substantial rotary-wing aviation is made avail available to the force – which presently seems improbable. On the other hand, the analysis also reveals that deployment and sustainment of 3,700 troops will already pose a considerable logistical challenge to the European Union. A substantially larger force would magnify these challenges and likely exceed the European Union’ Union’s member states current military capacity. The available resources thus seem to be a key determinant of the size of EUFOR, which in its turn might determine the military strategy to be adopted. Since the proposed size of the force appears to restrict the possibility of adopting a strategy of compellence, EUFOR might have to rely on deterrence. The problem is, however, that deterrence might not be sufficient to achieve the objective of protecting the population. The result could therefore be a mismatch between the military strategy and objectives of the mission. This prospect should be of concern, as the mismatch between objectives and military strategy has led to the failure of well-intended interventions in the past.

Termination of the Intervention

The European Union is unlikely to be able to hand over the mission to a UN follow-on-force within the envisioned timeframe of one year year. In fact, questions remain as to whether a UN or any other follow-on-force is a realistic prospect at all. As the conflict has little chances of being resolved soon, it is possible that the European Union is actually committing itself to a long-term mission. However, as the mission endures, the European Union will have to face two additional problems. With the increasing costs of operation, public support for a protracted and expensive intervention is bound to decline. At the same time, the longer EUFOR stays in Chad and Central African Republic, the more likely it is to get entangled in the complex web of conflicts that has haunted the region for the past 20 years.

"Neue Fronten im Ost-Tschad"

ist ein Artikel überschrieben, der am 4. Dezember 2007 im Wiener "Standard" erschien. Autor ist Marc Engelhardt. Wir dokumentieren die wesentlichen Informationen:

Zwei weitere Rebellengruppen sagen der Regierung den Kampf an

(...) Nach den „Vereinten Kräfte für Demokratie und Entwicklung“ (UFDD) kämpfen seit dem Wochenende weitere Rebellengruppen gegen die tschadische Armee. Der Sprecher der „Vereinten Kräfte für den Wandel“ (RFC), Id Moura Maïde, erklärte am 3. Dez., die tschadische Luftwaffe habe am 1. Dez. ihre Stellungen im fernen Nordosten des Landes nahe der libyschen Grenze bombardiert. Daraufhin seien schwere Kämpfe ausgebrochen. Die RFC hatte als erste Rebellengruppe einen Waffenstillstand annulliert, der erst Ende Oktober in Libyen ausgehandelt worden war.

Sprecher beider Rebellengruppen kündigten am 3. Dez. an, ihre Angriffe gegen die Regierung miteinander abzustimmen. „Wir koordinieren uns, aber jeder kämpft für sich“, so Maïde. Die Zusammenarbeit der Rebellen ist erstaunlich, weil ihre Interessen gegensätzlich sind: Die RFC gilt als Bewegung enttäuschter Zaghawa, einer großen Volksgruppe, der auch Präsident Idriss Déby angehört.
Die UFDD hingegen, die sich aus ethnischen Tubu rekrutiert, kämpft gegen die Vorherrschaft der Zaghawa in Politik und Militär.
Als dritte Kraft kam am 3. Dez. die „Vereinte Front für den Wandel“ (FUC) von Mahammat Nour ins Spiel: Nour, der seine Hochburg in der größten ost-tschadischen Stadt Abéché hat, war am 1. Dez. von Déby aus seinem Amt als Verteidigungsminister entlassen worden. Schon vor Monaten hatte Nour seine Armee aus ethnischen Tama kampfbereit gemacht, unter den Augen der Vorausmission der Europäischen Union. (...)
„Es gibt ein Bündnisabkommen zwischen der FUC und uns. Sobald die FUC-Kämpfer bereit sind, werden wir gemeinsam Stellungen der Regierung angreifen“, erklärte UFDD-Generalsekretär Abakar Tollimi. (...)

Für die EU-Truppe, deren 3.700 Soldaten im Tschad stationiert werden sollen, um Flüchtlinge aus Darfur zu schützen, ist die Allianz aus den Rebellengruppen eine schlechte Nachricht. Die starke Position der Rebellen erhöht zum einen die Wahrscheinlichkeit langanhaltender Kämpfe. Zum anderen dürften RFC und FUC sich der Position der UFDD anschließen, auch die Verbündeten des seit 17 Jahren autoritär regierenden tschadischen Präsidenten Déby als ihre Feinde zu betrachten. Frankreichs Armee führt mit ihren in der Hauptstadt N’Djamena stationierten Mirage-Jets schon seit Monaten Aufklärungsflüge nahe der Grenze zum Sudan durch. Schon mehrfach waren die Rebellen wegen der Ergebnisse dieser Luftbeobachtung von tschadischen Truppen zurückgeschlagen worden.




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