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"Tanz der Präsidenten"

Erdölförderung im Tschad - Musterprojekt der Weltbank

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der kritischen Schweizer Wochenzeitung WoZ (www.woz.ch), der sich mit der Erdölförderung in der zentralafrikanischen Republik Tschad befasst.


Von Y. Bégoto Oulatar, N’Djaména

In Begleitung von vier Staatschefs feierte der tschadische Präsident Idriss Déby den Beginn des Exports von tschadischem Erdöl. Aus dem Niger, aus Kongo-Brazzaville, aus dem Sudan waren sie angereist, und zugegen war auch François Bozizé aus Zentralafrika. Zwei weitere Staatschefs, die im Oktober 2000 bei der Grundsteinlegung der Bauarbeiten noch dabei waren, kamen am 10. Oktober 2003 nicht mehr: Ange-Félix Patassé und Paul Biya. Patassé wurde unterdessen von Bozizé gestürzt – dank der tätigen Mithilfe tschadischer Truppen. Was den kamerunischen Präsidenten Biya betrifft, durch dessen Land der grösste Teil der Pipeline aus dem Tschad verläuft, so nimmt man hier an, dass er wie schon oft kein Interesse an einer Feier hat, die ihm keinen persönlichen Vorteil bringt. Der 10. Oktober war also ein grosser Tag für den Tschad, aber vor allem für Idriss Déby, der dieses Projekt mit einer Entschlossenheit realisierte, die ihm in anderen Bereichen oft abging. Der tschadische Erdölexport beginnt mit einem Vorsprung von mehr als sechs Monaten auf den ursprünglichen Zeitplan.

Die für den Tschad in den nächsten 25 Jahren erwarteten Einnahmen aus dem Ölexport belaufen sich auf zwei Milliarden US-Dollar, für das Transitland Kamerun auf 500 Millionen. Dies bei einem Erdölpreis von siebzehn Dollar pro Barrel. Hält sich der derzeitig hohe Ölpreis von ungefähr dreissig Dollar, so werden auch die Einnahmen signifikant höher liegen. Mehr als 7500 Menschen arbeiteten am Bau dieses Projekts, rund 76 Prozent davon waren TschaderInnen. Etwa 650 Millionen Dollar flossen an die rund 2000 tschadischen und kamerunischen Unternehmen, die Material und Arbeit lieferten. Doch die tschadischen Unternehmer beklagen sich bei jeder Gelegenheit, dass sie vom Projekt nicht profitierten. Dabei waren sie zweifellos zu wenig darauf vorbereitet.

Für immer im Tschad

Die geschätzten tschadischen Ölreserven liegen bei einer Milliarde Barrel. Darin eingerechnet sind nur die bereits bekannten Felder bei Miandoum, Bologo und Komé. Andere Probebohrungen sind derzeit im Gange, und einigen Indiskretionen zufolge seien die Felder von Bongor und Mandoul viel versprechend. Das scheint schlüssig, denn es ist zu vermuten, dass es sich ein Konsortium nicht leisten kann, fast vier Milliarden Dollar für ein Projekt zu investieren, das nicht einmal dreissig Jahre laufen wird. Ausserdem hat eine Vertragspartnerin des Konsortiums (die weltweit operierende Firma Schlumberger) zu verstehen gegeben, dass sie für immer im Tschad sei. Darüber hinaus könnte das neu errichtete Transportsystem in den Nachbarländern Interesse erwecken. In diesem Zusammenhang ist auch die frühere Polemik zwischen Déby und dem früheren zentralafrikanischen Präsidenten Patassé zu sehen. Patassé beschuldigte den Tschad, es auf das Öl im Norden der zentralafrikanischen Republik abgesehen zu haben, während die zentralafrikanischen Behörden eine gemeinsame Fördergesellschaft wünschten, die beidseits der Grenze arbeitet.

Als unmittelbaren Effekt des Ölexports kann der Tschad – einer der zehn ärmsten Staaten der Welt – sein Budget verdoppeln. Die zusätzlichen Einnahmen sollen der Armutsbekämpfung dienen. Achtzig Prozent davon sollen ins Gesundheits- und Erziehungswesen sowie die ländliche Entwicklung und Infrastrukturprojekte fliessen. Fünfzehn Prozent sollen die anfallenden Investitionen und die laufenden Kosten decken, davon sind fünf Prozent für regionale Behörden und einen Fonds für zukünftige Generationen reserviert. Die restlichen fünf Prozent gehen direkt ins Fördergebiet. Dieser gesetzlich festgeschriebene Verteilschlüssel soll nigerianische Zustände verhindern, wo das eigentliche Fördergebiet komplett vernachlässigt wurde und von der Förderung überhaupt nicht profitierte. Gerade die ländliche Entwicklung ist im Tschad bitter nötig – es gibt in diesem riesigen Land beispielsweise nur 500 Kilometer asphaltierte Strassen.

Um die Ölförderung im Tschad – die grösste Investition überhaupt südlich der Sahara – wurde heftig gestritten. Tschadische Menschenrechtsgruppen führten gemeinsam mit internationalen nichtstaatlichen Organisationen eine grosse Kampagne, die das ursprüngliche Projekt wesentlich verbessern konnte. Dabei ging es vorab um Umweltschutzfragen und die Entschädigung der von der Förderung und der Pipeline betroffenen Menschen im Tschad und in Kamerun. Die Kampagne führte auch dazu, dass das Konsortium die Weltbank am Projekt beteiligte. Der Einbezug der Weltbank soll garantieren, dass die Einnahmen ausschliesslich der Armutsbekämpfung dienen. Mit ihrem Einstieg wollte die Weltbank ihrerseits ein beispielhaftes Projekt schaffen, sowohl bezüglich Umweltschutz als auch der sinnvollen Verwendung von staatlichen Einnahmen. Das Regime von Idriss Déby, der die Macht 1990 übernahm, zeichnete sich nicht eben durch grossen Respekt vor den Menschenrechten aus. Gerade die rebellischen Ölfördergebiete leiden unter wiederholter brutaler Repression. Auch die wirtschaftliche Führung des Landes war unter Déby bisher katastrophal.

Unterschlagungen und Korruption gehörten genauso dazu wie Falschgeldaffären und Drogenschmuggel, in den hochrangige Behördenmitglieder involviert waren. Die wenig transparente Geschäftsführung der Regierung zeigte sich auch in der so genannten Bonusaffäre. Ein Teil des Eintrittspreises ins Konsortium, den Chevron und Petronas zahlen mussten, floss direkt in Rüstungsgeschäfte, obschon es zwingend für Entwicklungsprojekte hätte gebraucht werden müssen. Die heftige Reaktion der Öffentlichkeit auf diesen Missbrauch ermöglichte es, den verbleibenden Betrag zu blockieren und unter die Fittiche des Kontroll- und Überwachungsgremiums für die Verwendung der Öleinnahmen zu bringen. Diesem mit Unterstützung der Weltbank geschaffene Rat gehören neun Mitglieder an, die Parlament, Gesellschaft und die religiösen Gemeinschaften vertreten, sowie der Schatzmeister und der nationale Direktor der Zentralbank der zentralafrikanischen Staaten. Die Bank führt auch das Sekretariat des Gremiums.

Die meisten TschaderInnen anerkennen die löblichen Ziele der Finanzgesetzgebung und des Kontrollgremiums. Doch sie glauben nicht an die Fähigkeit und noch weniger an den Willen der Behörden, die Erfüllung dieser Ziele zu ermöglichen. Zahlreiche Präzedenzfälle zeigen, dass sich die Regierung im Namen der nationalen Souveränität über die geltenden Gesetze hinweg setzen wird. Und sie denken, dass diese neuartigen, für manche geradezu revolutionären Gesetze nur erlassen wurden, weil sich die Regierung dadurch die Bürgschaft der Weltbank verschaffen konnte, und deren Beamte, die den Argumenten der ProjektkritikerInnen zum Teil Gehör schenkten, zu beruhigen vermochte. Zweifel hegen auch Oppositionspolitiker: So sagte der seinerzeitige Parlamentspräsident und heutige oppositionelle Abgeordnete Wadal Abdelkader Kamougué schon drei Tage nach der Verabschiedung der Gesetze, dass er diese bedaure. Die gesellschaftlichen Kräfte seien im Kontrollrat nicht genügend vertreten, und nichts könne die in Unterschlagungen geübte Regierung an weiteren Unterschlagungen hindern.

Am 3. Oktober lief der erste Tanker mit tschadischem Rohöl aus, beladen mit rund 9 500 000 Fass. Sofort begannen viele TschaderInnen, auf ihren Taschenrechnern die Geschäfte nachzurechnen. Oft reichte die Zahl der Stellen auf den Rechnern nicht aus, und viele Leute kamen ins Träumen. Doch in den Fördergebieten merkten viele, dass es sich um einen Traum handelte. Bereits wird Öl gefördert, aber die zahlreichen Versprechungen sind noch lange nicht erfüllt. Sicher, die meisten Entschädigungen wurden ausbezahlt. Nur bewirkten sie wenig. Die Städte Doba und Bébédja haben weiterhin ländlichen Charakter. Die versprochene Elektrifizierung blieb aus. Die verwitterten Naturstrassen wurden nicht asphaltiert. Eine Müllabfuhr gibt es nicht. Mit dem Ende der Bauarbeiten und der Entlassung zahlreicher Arbeiter nehmen Alkoholismus und Delinquenz zu. Die kommenden sozialen Probleme sind absehbar, denn selbst Arbeiter mit guten Löhnen haben sich nicht für die Zeit danach umschulen lassen. Und die verschiedenen regionalen Entwicklungspläne, die die Bauarbeiten hätten begleiten müssen, sind immer noch nicht angefertigt. Das alles bestätigt den Eindruck, dass die offiziellen BeobachterInnen weitgehend resigniert haben, im Wissen darum, dass das Projekt mit zwei Geschwindigkeiten vorangeht. Das Konsortium hat heute seinen Teil des Vertrages erfüllt, doch die Begleitmassnahmen und die Verpflichtungen des tschadischen Staates, die das Leben der tschadischen BürgerInnen verbessern sollen, sind noch weit von der Umsetzung entfernt.

N’Djaména im Dunkeln

Es mangelt dramatisch an menschlichen Ressourcen und seriösen Projekten. Ironischerweise leidet auch der jetzt ölexportierende Tschad unter einer schweren, schon fünf Jahre andauernden Energiekrise. Während die Präsidenten in Komé feierten, waren die Quartiere der Hauptstadt N’Djaména in nächtliche Dunkelheit getaucht. Diese Dunkelheit ist eine Ursache der allgemeinen Unsicherheit, die immer mehr Haushalte bedroht. Niemand kann heute sagen, wann das Elektrizitätsproblem gelöst werden könnte. Obschon neuerdings der französische Strommulti Vivendi präsent ist, verschlimmert sich die Situtation nur. Die Weltbank ist der tschadischen Wasser- und Stromversorgung mit einem grossen Kredit zur Seite gesprungen, doch die TschaderInnen zweifeln, dass dies etwas nützt, denn die verschiedenen Pläne und Versuche der letzten fünf Jahre haben keinerlei Resultat gebracht.

Während die Mächtigen auf grossem Fuss und mit sechshundert geladenen Gästen die Pipeline einweihten, riefen die Menschenrechtsgruppen zu einem Tag der Trauer und der Besinnung auf. Am gleichen 10. Oktober protestierten sie gegen die Weigerung der Regierung, eine Demonstration gegen die Unsicherheit und den Strommangel zu erlauben.

Das Musterprojekt der Weltbank

Etwa 3,7 Milliarden US-Dollar hat ein Konsortium der Erdölriesen ExxonMobil, Petronas und Chevron in die Ölförderung im Tschad und die Pipeline zum kamerunischen Hochseehafen Kribi investiert. Dem Druck von Menschenrechts- und Umweltorganisationen ist es zu verdanken, dass die Weltbank zur Finanzierung des Projekts beigezogen wurde. Dabei sollte das – präzedenzlose – Engagement der Weltbank den Beweis erbringen, dass die Korruption in Afrika überwunden werden kann und die Öleinnahmen allen BürgerInnen zugute kommen. Mit ihren Krediten von knapp 200 Millionen US-Dollar fungiert die Weltbank als politische Garantin des Projekts. Nun hat die Förderung begonnen – und die Weltbank ist den Beweis bislang schuldig geblieben. Auch die Swisspeace-Jahreskonferenz am 30. Oktober in Bern macht die Erdölförderung im Tschad zum Thema. Unter der Leitung des Swissaid-Verantwortlichen im Tschad, Soumaine Adoum, diskutieren der Schweizer Gregor Binkert (Vertreter der Weltbank im Tschad) und Gilbert Maoundonodji (Koordinator einer alternativen Monitoring-Gruppe im Tschad).

Aus: Wochenzeitung WoZ, 16. Oktober 2003


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