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Tschad: Präsident Deby kann nicht Fuß fassen

Von Anton Holberg *

Der amtierende Präsident der Republik Tschad, Idriss Déby Itno, kam 1990 mit Unterstützung Frankreichs, Libyens und der CIA durch einen Feldzug von sudanesischem Boden aus an die Macht und genoss zu diesem Zeitpunkt eine breite Unterstützung im Land, weil er der blutigen Herrschaft Hisseine Habrés ein Ende setzte. Diese Unterstützung verflüchtigte sich allerdings in Windeseile als er sich gewissermaßen als Wiederkehrer Habrés zu entpuppen begann. Menschenrechtsorganisationen hat er während seiner 16-jährigen Herrschaft über 25.000 Bürger des Landes umbringen lassen, darunter nicht wenige durch Massaker an verschiedenen Ethnien. Seitdem ist er in periodischen Abständen mit Rebellengruppen im Norden, Süden, Osten und Westen konfrontiert. Ob nun die Tatsache, dass er im April diesen Jahres mit Unterstützung der französischen Garnison im Lande in letzter Minute den Vorstoß des Rebellenbündnisses der zumindest zu diesem Zeitpunkt vom Sudan unterstützten “Front Uni pour le Changement et la Démocratie” (FUC) auf die Hauptstadt Ndjaména abwehren und sich kurz darauf zum dritten mal zum Staatspräsidenten wählen lassen konnte, ein Zeichen seiner Stärke oder ein Vorzeichen seines anstehenden Endes war, ist nicht leicht zu beantworten.

Schon bald nach dem Vorstoß der FUC setzte die Regenzeit ein, die militärische Operationen deutlich erschwert. Diese Ruhephase hat Präsident Déby genutzt, um seine Beziehungen zum Sudan zu verbessern und um den Versuch zu starten, über die Frage der Kontrolle über die Erdölvorkommen im Land eine nationale Einheit um sich zu schaffen. Es gibt keinen ernsthaften Hinweis darauf, dass der letztgenannte Versuch besonders erfolgreich gewesen wäre. Vielmehr ist es offensichtlich so, dass die bewaffneten Oppositionmsgruppen im Land neue Kräfte gesammelt haben.

Bereits am 1. Juni war der angesehene “Africa Report” zu der Einschätzung gelangt, dass der Sieg vom April für Déby an der militärischen Front nichts gelöst habe. Am 10.September begannen denn auch umfassende militärische Auseinandersetzungen vorallem im Osten des Landes, die merkwürdigerweise von den internationalen Medien mit Ausnahme der BBC so gut wie ignoriert wurden. Bekannterweise ist die Wahrheit das erste Opfer des Krieges, und so wundert es nicht, dass die Ergebnisse dieser Kämpfe von Seiten der Rebellen und der Regierung völlig gegensätzlich dargestellt wurden. Die Tatsache allerdings, dass Deby es nötig hatte, von Überläufern aus Rebellengruppen zu reden, die offensichtlich niemals deren Mitglieder waren, deutet darauf hin, dass die Erfolge der Regierungssoldaten zumindest wesentlich geringer als behauptet waren.

Die wichtigsten Zusammenstöße fanden bei Aram Kolé 100km nördlich von von Abéché zwischen Regierungstruppen und Kräften der FUC und ab dem 15.9. in Hadjar Marfaine zwischen der Armee einerseits und Kräften der “Concorde Nationale Tchadienne”(CNT) und des “Rassemblerment des Forces Démocratiques” (RaFD) andererseits statt. Diese beiden Organisationen hatten erst am 4.9. ein militärisches Bündnis geschlossen. Bereits am 12.9. hatte die CNT/RaFD in einem Kommuniqué darauf hingewiesen, dass bei Djimeze Hamra französische Jaguars ihre Positionen überflogen hätten, die dann von Hubschraubern der tschadischen Armeer angegriffen worden seien. Im Zusammenhang mit dem Angriff der Armee auf ihre Einheiten bei Hadjer Marfaine gab sie am 17.9. bekannt, sie habe ein Flugzeug abgeschossen, dessen Piloten Südafrikaner und dessen Techniker Ukrainer gewesen seien, Söldner also. Am 19.9. meldete sie Kämpfe bei Birak und Guéréda. Offensichtlich vornehmlich gestützt auf Informationen seitens der Rebellenorganisationen legte die “Action du Tchad pour l’Unité et le Socialisme” (ACTUS) am 18.9. eine Bilanz vor, derzufolge die FUC die Stadt Addé besetzt hat. Bereits am 12.9. hatte die FUC gemeldet, dass die Armee in Aram Kolé 153 Soldaten verloren habe, darunter vier Oberste und 3 Kommandanten. Die Rebellen wiesen auch darauf hin, dass sich ihnen Oberst Moussa Ehmedi mit 40 Soldaten angeschlossen habe. Bereits am 7.9. habe sich überdies Oberst Kaliya Trawoye zusammen mit 30 Anhängern, darunter höhere Offiziere und kampferprobte Rebellenkader, der “Union des Forces du Progrès et de la Démocratie” (UFPD) angeschlossen. Er ist seit Ende der 60er Jahre ein bekannter militärischer Führer der damaligen Rebellion im Tibesti. Am 19.9. wies die Opposition gegen Déby darauf hin, dass die FUC sich in der Prefektur von Dar Sila festgesetzt habe und dass es zu allerdings nicht näher lokalisierten Zusammenstößen zwischen Armee und Kräften des “Mouvement pour la Democratie et le Développement” (MDD) im Westen des Landes gekommen sei. Laut FUC fanden weitere intensive Kämpfe bei Aram Kolé noch am 22.9. statt.

Jenseits der kaum zu kontrollierenden Erfolgsmeldungen der einen oder anderen Seite scheint einer der wichtigste Aspekt der jüngsten Ereignisse in der Zusammenarbeit der Rebellengruppen zu bestehen. Nach der Niederlage der FUC-Kräfte vor Ndjaména waren bestehende Widersprüche um deren Präsidenten Mahamat Nour zum Ausbruch gekommen und haben sich seitdem immer mehr zugespitzt. Ihm werden insbesondere diktatorische Methoden und die Ermordung oppositioneller FUC-Führer vorgeworfen. Idriss Déby war bei der jüngsten Großoffensive der Armee offensichtlich davon ausgegangen, dass die Opposition gespalten sei.

In der Tat lebt der Tschad wie andere von den Kolonialmächten künstlich geschaffene Staaten seit jeher mit großen internen Widersprüchen auf religiöser und ethnischer Ebene, zwischen dem animistischen und christlichen Süden und dem etwa 51 Prozent der Bevölkerung stellenden islamischen Nordteil, zwischen den zu unterschiedlichen Sprachfamilien und einst zu unterschiedlichen vorkolonialen Staaten gehörenden Völkern sowie vorallem im islamischen Teil zwischen Bauern und mehr oder weniger nomadisierenden Viehzüchern. So gilt die Herrschaft Débys heute vorallem als die eines der Clans der im Nordosten lebenden Zaghawa, während sich die FUC angeblich in erster Linie auf die Tubu im Tibesti und die südlich der Zaghawa lebenden Tama stützt. Die Zaghawa gehören zusammen mit den Tubu sprachlich zur Kanuri-Familie, die Tama zum Dagu-Zweig der Ostsudanesischen Sprachfamilie, während die Mehrzahl der Völker in Wadai, wo die jüngsten Kämpfe mit der CNT/RaFD überwiegend stattfanden, zur Maban-Familie gehörende Sprachen sprechen. Die bis dahin allgemein als wichtigste Rebellenbewegung unter den Tubu betrachtete Gruppe ist allerdings die 1998 von Debys ehemaligem Verteidigungsminister Youssouf Togoimi gegründete “Mouvement pour la Démocratie et la Justice au Tchad”(MDJT). Die RaFD unter dem früheren Kabinettsdirektor Débys, Timan Erdimi, hat ihre Basis hauptsächlich unter den Zaghawa. Das gilt auch für das von zwei Neffen Debys geführte Bündnis der SCUD, die bei den jüngsten Kämpfen – vielleicht wegen ihrer Aversion gegen die FUC Mahamat Nours, dem sie Zusammenarbeit mit den sudanesischen Janjaweed vorwirft – durch Abwesenheit glänzte. Aus der Gerüchteküche anderer Oppositionskreise stammt die “Information”, dass es innerhalb der FUC einen Widerspruch zwischen dem Tama Mahamat Nour und den Wadaiern gebe.

Es ist deutlich, dass die ethnischen Zuordnungen eine Rolle, aber nur eine relative spielen. In der Tat haben diese Unterschiede nicht verhindert, dass sich Debys Truppen am 19.9. in Hadj Marfain unerwartet nicht nur den Kräften der CNT/RafD, sondern auch der UFDP von General Mahamat Nouri und zwei Fraktionen der FUC unter Führung von Mahamat Nour Abdelkerim und Oberst Ahmat Soleyman gegenübersahen. Dem stewht allerdings die trotz ähnlicher offizieller Programme mangelnde politische Einheit gegenüber. Was immer auch an den Vorwürfen gegen Nour dran sein mag, ungeachtet der von ihr beanspruchten jüngsten militärischer Erfolge, haben sich in der zweiten Septemberhälfte mehrere Organisationen aus dem Bündnis zurückgezogen , um in Gestalt des “Rassemblement Nationale Démocratique” (RND) ein neues Bündnis zu gründen. Der zweite wichtige Aspekt der jüngsten Auseinandersetzungen ist die Tatsache, dass Frankreich sich abermals militärisch für Debys Machterhalt stark gemacht hat. Der Grund dürfte weniger eine besondere Sympathie für ihn sein als vielmehr die Einschätzung, dass die bewaffnete Opposition – von der zivilen ganz zu schweigen – noch keine reale Alternative zu Deby darstellt. Das kann sich schnell ändern. Ob die von Timane Edrimi, dem Chef der RaFD, ausgesprochene Drohung gegen die französischen Staatsbürger im Tschad, sie würden in Zukunft als Söldner und folglich legitime Angriffsziele des Widerstands gelten, wenn die französische Armee weiterhin Deby unterstütze, in Paris zu einem Umdenken oder zur Verhärtung der bisherigen Position führen wird, ist noch offen.

* Quelle: Internetzeitung "Weltexpress", 30. September 2006;
www.weltexpress.info



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