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Thailands Bauern in Not

Ein großangelegtes staatliches Reisaufkaufprogramm war als Hilfsmaßnahme gedacht. Jetzt schuldet die Regierung Betroffenen enorme Summen

Von Thomas Berger *

Bei Pensinee Thongchoi nahm die Verzweiflung überhand. Am Montag morgen (Ortszeit) erhängte sich die 38jährige Bäuerin in ihrem Haus in einem Dorf der zentralthailändischen Provinz Sukhothai. Damit ist sie das dritte Selbstmordopfer, das der anhaltende Streit zwischen protestierenden Reisbauern und der Regierung in Bangkok um ausstehende Zahlungen gefordert hat. Wieviel Geld genau Pensinee zu erwarten hatte, wurde nicht bekannt. Fakt ist, es kam nicht. Rund eine Million ländliche Haushalte hoffen derzeit noch auf ihnen zustehende Überweisungen des Staates, der ihnen ihre Reisernte abgekauft hat.

Daß dies zu höheren als den marktüblichen Preisen geschieht, hat seit 2011 System: Mit dem gigantischen Hilfsprogramm wollten Premierministerin Yingluck Shinawatra und ihre regierende Pheu Thai Party (PT) das Einkommen der Farmer steigern. Bei der Abnahme des Reises durch den Staat werden etwa 40 Prozent mehr gezahlt. Das Problem allerdings ist, daß das Geld ausbleibt. Seit Dezember ist der Geldfluß an die Bauern versiegt. Ursache dafür sind die vorgezogenen Neuwahlen Anfang dieses Monats: Seinerzeit hatte die Regierungschefin das Parlament aufgelöst. Sie wollte damit den wochenlangen Massenprotesten der radikalen Opposition in Bangkok wenigstens ein wenig den Boden entziehen. Damit ist Yinglucks Kabinett seit rund zwei Monaten nur noch geschäftsführend im Amt, was laut Gesetz wiederum bedeutet, daß es finanziell nur noch eingeschränkt handlungsfähig ist. Die Vorschriften untersagen alle besonderen Ausgaben, die eine Last für die Nachfolgeadministration bedeuten würden.

Dies führte zu einer prekären Situation beim eigentlich mit guten Intentionen gestarteten Hilfsprogramm. Die Bauern haben ihre jüngste Ernte bereits verkauft, das Geld dafür aber in den meisten Fällen nicht gesehen. Zwar wurden bereits 60 Milliarden Baht, umgerechnet knapp anderthalb Milliarden Euro, ausgereicht. Die Schulden des Staates bei den verärgerten und zunehmend verzweifelten Reisfarmern allerdings belaufen sich auf das Doppelte: Zwischen 110 bis 130 Milliarden Baht betragen nach unterschiedlichen Angaben die Forderungen derer, die das Geld dringend für die Ernährung ihrer Familien, für neues Saatgut und weitere Ausgaben brauchen. Selbst eine Überbrückungsfinanzierung, um wenigstens einen Teil der Summe abtragen zu können, hat die Regierung bisher nicht zu Wege gebracht.

Seit Tagen schon sind Vertreter der Bauernbewegung zu einer Protestaktion in der Hauptstadt, um auf ihre unhaltbare Situation aufmerksam zu machen. Auch ein Gespräch am Montag mit drei hochrangigen Regierungsvertretern – einschließlich eines von Yinglucks Stellvertretern – blieb ergebnislos. Die Banken haben sich einem Aufruf zur Bereitstellung kurzfristiger Sonderkredite verweigert, ebenso mauern die Verantwortlichen der staatlichen Sozialversicherung, von der sich Kabinettsmitglieder eine Art Sonderanleihe erhofft hatten. Keine freien Mittel in dieser Größenordnung, hieß es abwehrend, während juristische Experten zugleich vehement verfassungsrechtliche Bedenken ob eines solchen Vorstoßes geltend machen. Die Idee könnte nicht nur betroffene Regierungsmitglieder, sondern auch Verantwortliche der Sozialversicherung vor Gericht bringen.

Als noch nicht gänzlich verworfener Lösungsansatz bleibt damit nur ein möglicher Verkauf der Reismengen aus den übervollen staatlichen Lagern. Mit den dabei zu erzielenden Einnahmen, so das Gedankenspiel, könnte am laufenden Haushalt vorbei ein Teil der Schulden bei den Bauern getilgt werden. Doch bereits die Frage, ob dies generell machbar wäre, ist ungeklärt. Zudem sind gute Preise derzeit kaum zu erzielen. Dies könnte die Regierung ebenfalls juristisch angreifbar machen. Der Vorwurf, bewußt zu Lasten der finanziellen Interessen des Landes zu handeln, stünde im Raum. Dies könnte Medienberichten zufolge von den Anwälten der radikalen Opposition genutzt werden, Yingluck und ihre Mitstreiter. vor den Kadi zu bringen. Ohnehin läuft wegen Unregelmäßigkeiten beim Reisprogramm bereits eine Untersuchung, die in einer Amtsenthebung der Premierministerin münden könnte. Während den leidenden Bauern die Zeit davonläuft und weitere Verzweiflungstaten drohen, ist gänzlich ungewiß, wann es eine neue, finanziell dann wieder voll handlungsfähige Regierung geben kann. Die Wahl war in etlichen Gebieten gestört, bis zum Vorliegen eines amtlichen Endergebnisses, der Konstituierung des neuen Parlaments und der Einsetzung der künftigen Administration – wenngleich vermutlich sogar wieder unter Yingluck Shinawatra – könnten im ungünstigsten Fall noch Monate verstreichen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Februar 2014


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