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Thailands Armeechef: "Das ist kein Putsch!"

Nach monatelanger politischer Konfrontation ruft General Prayuth Chan-ocha das Kriegsrecht aus

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Monatelang hatte sich Thailands Militär zurückgehalten. Vor einer absehbaren Zuspitzung der politischen Konfrontation schritt sie am Dienstagmorgen doch ein – und verhängte das Kriegsrecht übers Land.

Am Dienstag um 3 Uhr früh unterbrachen Thailands Fernsehsender das Programm. Groß im Bild, etwas nervös, verlas Armeechef Prayuth Chan-ocha eine Erklärung vom Papier. Im Land herrsche ab sofort das Kriegsrecht. Die Bevölkerung solle nicht in Panik ausbrechen, sondern wie gewöhnlich zur Arbeit gehen.

Dem folgten weitere Erklärungen der Armee, verkündet wurde die Schließung rivalisierender Fernsehsender, um die Verbreitung von Unwahrheiten und Hasspropaganda zu unterbinden. »Das ist kein Putsch«, versicherte Prayuth. Es herrsche keine nächtliche Ausgangssperre, doch nach monatelangen blutigen Protesten gegen die Regierung stehe die nationale Sicherheit auf dem Spiel. Er könne kein weiteres Blutvergießen dulden. Die Übergangsregierung bleibe im Amt, es gehe allein um die Wiederherstellung von Recht und Ordnung. »Wir sind dabei, beide Seiten zu Gesprächen einzuladen«, sagte Prayuth.

Im protestmüden Volk machte sich gewisse Erleichterung darüber breit, dass sich die Lage auf Bangkoks Straßen endlich wieder zu normalisieren verspricht. Passanten knipsten »Selfies« an der Seite von Soldaten, die vor Panzerwagen unsicher in Kameras lächelten. Der oppositionelle Volksrat für Reformen (PDRC) räumte widerstandslos den belagerten Regierungssitz. Am ersten Tag des Kriegsrechts kam es zu keinem einzigen Zwischenfall oder Protest.

Doch unter der Oberfläche brodelt es in Bangkok weiter. Der Zeitpunkt des Eingreifens der Armeeführung ist bezeichnend: Die Gefahr einer Zuspitzung der politischen Konfrontation wuchs. Sicherheitskräfte hatten in den vergangenen Tagen einige Waffenarsenale in gegnerischen Lagern ausgehoben. Nach einem Dutzend erfolgloser »letzter Schlachten« wollten die Regierungsgegner am Wochenende endlich nach dem Sieg greifen, an den sie selbst nicht mehr zu glauben schienen, nachdem die ersehnte Hilfe der Armee ausgeblieben war. Wenigstens hatte ihnen das Verfassungsgericht vor zwei Wochen mit der Amtsenthebung von Premierministerin Yingluck Shinawatra Schützenhilfe geleistet.

Nun verlangt General Prayuth, dass sich die Restregierung unter Niwattumrong Boonsongpaisan und deren Gegner an einen Tisch setzen. Notfalls werde er weitere Maßnahmen verfügen, die er jedoch nicht näher erläuterte. Prayuth sieht sich als Vermittler. Doch Oppositionsführer Suthep Thaugsuban, der sich um die Regeln der Demokratie nicht schert, will alles oder nichts, er will den Shinawatra-Clan und vor allem dessen Oberhaupt, den exilierten ehemaligen Regierungschef Thaksin Shinawatra, »ausrotten«. Sutheps sogenannter Reformrat PDRC, der die wohlhabenden städtischen Eliten des Königreichs vertritt, werde weiter demonstrieren, hieß es, während prominente Stimmen vor einem schleichenden Putsch warnten: »Prayuths Nicht-Coup riecht, schmeckt und sieht aus wie ein Coup«, meldete sich der linke Akademiker und Aktivist Giles Ji Ungpakorn aus Großbritannien. Der De-facto-Coup ebne den Weg für einen ernannten Übergangspremier, sodass »ungewählte Kräfte jegliche künftige Regierung kontrollieren können«.

General Prayuth hat sich auf eine Gratwanderung begeben. Offenbar will er nicht als Anführer des 19. Militärputsches seit 1932 in die thailändische Geschichte eingehen. Doch Politiker haben das Land auf den Weg zum gescheiterten Staat manövriert. Seit November vergangenen Jahres protestierten Sutheps »Demokraten« gegen Yinglucks Regierung. Die wird von der ärmeren Landbevölkerung im Norden und Nordosten des Landes getragen, die von Programmen zur Armutsbekämpfung profitiert hatte.

Zwar hat Prayuth immer wieder betont, Politik sei Sache von Politikern, nicht von Generälen, doch nicht alle billigen ihm ehrenwerte Motive zu. Der kaschierte Putsch solle den »politischen Status der Elite bewahren«, sagt der Südostasien-Experte Pavin Chachavalpongpun von der Universität Kyoto. »Ob wir es mögen oder nicht«, warnt sein Kollege Kasian Tejapira von Bangkoks Thammasat-Universität, »Wahlen unter Aufsicht des Militärs werden Teil eines möglichen Deals sein. Dabei wird Druck ausgeübt, um einen der Opposition genehmeren Übergangspremier durchzusetzen.«

Klar ist, dass die Ausrufung des Kriegsrechts die politischen Probleme nicht löst. Zunächst blieb sogar unklar, ob General Prayuth überhaupt gewillt ist, das Recht durchzusetzen und Protestführer gegebenenfalls zu verhaften. Kurz nach der Räumung kehrte Sutheps Mob in den vereinsamten Regierungssitz zurück, ohne dass sich ihm Truppen entgegenstellten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 21. Mai 2014


»Kein Putsch«

Militär verhängt Kriegsrecht über Thailand, um drohende neue Eskalation zu verhindern

Von Thomas Berger, Bangkok **


Gegen drei Uhr Ortszeit am Dienstag hat das Militär über ganz Thailand das Kriegsrecht verhängt. Die Maßnahme sei kein weiterer Putsch, sondern diene in der äußerst angespannten Lage nur dazu, die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten, betonte Armeechef General Prayuth Chan-ocha am Morgen in einer live vom Fernsehen übertragenen Ansprache. Das normale Leben der Menschen sei von dem Schritt nicht betroffen. Die Aktivisten der verfeindeten politischen Lager – radikale Regierungsgegner unter Führung von Suthep Thangsuban und seines Volkdemokratischen Reformkomitees (PDRC) im Zentrum Bangkoks, mit der geschäftsführenden Regierung verbündete »Rothemden« der Vereinten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) an einer Ausfallstraße in den westlichen Vororten – rief Prayuth auf, sich vorerst auf ihre Camps zu beschränken.

Mit der Kriegsrechtsverhängung übernimmt die Armee sämtliche Entscheidungsbefugnisse in Sicherheitsfragen, während die Regierung im Amt und für alle anderen Aspekte zuständig bleibt. Die »sanftere Version« eines militärischen Eingreifens in den politischen Dauerkonflikt fußt auf einem Gesetz von 1914, das allerdings die Fälle äußerer Aggression oder Aufstände im Inland als Grundlage für einen solchen Schritt hat. Rechtsexperten äußerten bereits unterschiedliche Ansichten, wie weit die gegenwärtige Krisensituation durch diesen Rahmen abgedeckt ist. Auf alle Fälle ist der Armeechef mit seinem Einschreiten, das er über Monate hinweg nie ganz ausgeschlossen hatte, einer neuen Eskalation ab Donnerstag zuvorgekommen.

Für kommenden Montag hatten Suthep und die PDRC-Führung ihre »allerletzte Schlacht« angekündigt, um die gegenwärtige Regierung zu entmachten. Im Vorfeld sollten ab Donnerstag die Mitarbeiter staatlicher Institutionen und Unternehmen in den Streik treten, nachdem sich die Dachorganisation von 46 Einzelgewerkschaften dieses Sektors öffentlich mit den Regierungsgegnern verbündet hatte. Die geplante Aktion hätte neben weitreichenden Arbeitsniederlegungen vermutlich auch zur Unterbrechung der Wasser- und Stromversorgung in Ministerien geführt, um das Restkabinett weiter unter Druck zu setzen. Am Montag hatten PDRC-Unterstützer bereits versucht, Minister direkt aufzusuchen und zur Unterzeichnung ihres Rücktritts zu bewegen.

Rund um das Democracy Monument, wo entlang der Ratchdamnoen Avenue – normalerweise eine der belebtesten Hauptstraßen Bangkoks – seit dem Umzug hierher vor zehn Tagen das rund 300 Meter lange Camp der Regierungsgegner beginnt, war am Dienstag vormittag kein einziger Soldat zu sehen. Die PDRC-Aktivisten und Mitläufer zeigten sich in gelockerter Stimmung: »Ich bin froh, daß die Armee eingeschritten ist, das wird gut für uns sein«, zeigt sich Roch, eine Mittvierzigerin, überzeugt. Die meisten anderen sehen das ähnlich: »Sehr gut ist das. Die Polizei ist schlecht, aber die Armee wird es richten«, sagt auch Di, eine Frau um die 50, und die nahe stehenden Wachposten nicken zustimmend. Das Kriegsrecht hat in erster Instanz dazu geführt, daß das aus Regierungs- und Polizeivertretern gebildete Sicherheitsgremium CAPO aufgelöst wurde.

Während man beim PDRC und verbündeten Gruppen hofft, eine Absetzung der bekämpften Übergangsregierung könnte doch noch folgen, hat UDD-Führer Jatuporn Prompan die Armee aufgefordert, nun baldige Neuwahlen anzustreben und einen direkten Dialog der gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich PDRC und seiner Rothemden, zu initiieren. Der Schritt des Militärs sei vom Gesetz gedeckt, zumindest für den Moment werde sich die UDD auch auf ihr Gelände an der Aksa Road beschränken.

Derweil hat das von der Armee neu eingesetzte Kommandozentrum zur Friedenssicherung (PKCC) zehn Satelliten-Fernsehstationen geschlossen, die einer der beiden Seiten nahe stehen. Darunter ist auch der Kanal Bluesky, dessen Übertragungen der Hetzreden führender Vertreter des PDRC bisher auf den Großbildschirmen in dessen Camp liefen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Mai 2014


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