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Sieg für Thaksin-Lager

Opposition gewinnt trotz Einschüchterung Thailands Parlamentswahl

Von Thomas Berger *

Thailand wird demnächst erstmals von einer Frau regiert. Yingluck Shinawatra, die jüngste Schwester des 2006 vom Militär gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra hat sich als Spitzenkandidatin der Oppositionspartei Puea Thai zur Siegerin der Parlamentswahlen erklärt. Das Volk habe ihr eine Chance gegeben, sagte die 44jährige am Sonntag in Bangkok. Zuvor hatte Amtsinhaber Abhisit Vejjajiva bereits seine Niederlage eingeräumt und ihr zum Wahlsieg gratuliert. Er rief das Land zu Einheit und Versöhnung auf.

Nach Auszählung von 92 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt ihre Partei 260 der 500 Sitze im Parlament, Abhisits regierende Demokratische Partei kam auf lediglich 163 Mandate. Damit verfügt dort das dem Expräsidenten Thaksin nahestehende sogenannte rote Lager über eine deutliche Mehrheit.

Das Resultat ist ein Schlag ins Gesicht der traditionellen Eliten des Landes, vor allem der engen Berater des Königs, der Militärspitze und wirtschaftlich dominanten Kreise aus der Hauptstadt Bangkok. Wiederholt hatte insbesondere Armeechef General Prayudh Chan-ocha die Wähler unmißverständlich, wenn auch ohne Namensnennung, dazu aufgerufen, nicht für Puea Thai zu stimmen und damit die verfassungsmäßige Neutralitätspflicht der Armee verletzt. Zudem war er maßgeblich für die regelrechte Hexenjagd auf Oppositionelle während des Wahlkampfes verantwortlich: Noch mehr als ohnehin schon wurden Oppositionelle, kritische Journalisten und Intellektuelle wegen angeblicher Majestätsbeleidigung angezeigt und teils verhaftet. Die »Verunglimpfung« des Königshauses ist in Thailand seit über 100 Jahren ein Straftatbestand. Auf Veranlassung des Generals hatte auch die nominell unabhängige Wahlkommission verfügt, daß im Vorfeld der Wahlen Parteivertreter in Reden keinen Bezug auf die Monarchie nehmen durften.

Doch diese Maßnahmen halfen am Ende nichts. Die zuletzt regierende Demokratische Partei (DP) hat wiederholt gezeigt, daß sie augenscheinlich nicht in der Lage ist, bei Wahlen zu punkten. Seit rund einem Jahrzehnt haben Thaksin und seine Getreuen bei keiner mehr oder minder freien Wahl verloren.

2009 konnte die DP nur an die Regierung gelangen, nachdem die Vorgängerpartei des Thaksin-Lagers (Peoples Power Party/PPP) wie zuvor bereits deren Vorläuferin Thai Rak Thai (TRT) zwangsaufgelöst worden waren und einige kleinere Gruppen die Seiten wechselten, um mit der DP eine Koalition einzugehen.

Der beim unblutigen Militärputsch 2006 gestürzte Expremier, der seither mit nur kurzer Unterbrechung zwischen London, den Golfstaaten, dem Balkan, der Südsee und anderen Weltgegenden jettet, hält die Zügel der siegreichen Partei auch weiterhin fest in der Hand. Das wurde zuletzt bei der Nominierung seiner politisch völlig unerfahrenen Schwester als Spitzenkandidatin deutlich, bei der etliche bewährte Mitstreiter übergangen wurden.

* Aus: junge Welt, 4. Juli 2011


Yingluck hat die besten Chancen

Thaksins Schwester gilt als große Favoritin

Von Lee Yu Kyung, Bangkok und Ratchaburi **


Der ehemalige Ministerpräsident Thaksin Shinawatra lebt seit dem Putsch gegen ihn im Exil in Dubai. Seine Schwester Yingluck Shinawatra hat nun beste Aussichten, Thailands erste Ministerpräsidentin zu werden

Viele sehen Yingluck Shinawatra nur als verlängerten Arm ihres beliebten wie gehassten Bruders Thaksin, obwohl sie stets ihre »Unabhängigkeit« betont. Nach einem Monat Wahlkampf zeigt sie sich als professionelle Politikerin, die mit niemals versiegendem Lächeln und Freundlichkeit in die Kameras schaut und zu den Menschen spricht.

»Meiner Meinung nach arbeitet sie hart und lernt schnell«, sagt Pnpaka Ngamsom, erfahrene Journalistin der unabhängigen Onlinezeitung »Prachatai«. »Zunächst war ich von ihren Reden enttäuscht, aber als ich jetzt genauer zuhörte, war ich erstaunt, wie sehr sie ihren ganzen Auftritt und ihre Ausdrucksfähigkeit verbessert hat.«

Vetternwirtschaft spielt für Menschen wie den 63-jährigen Somsak (Name geändert), einen Anhänger der Rothemden keine Rolle. »Uns kümmert nicht, wessen Schwester sie ist – unser Interesse gilt dem, der am besten in der Lage ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.«

Es ist eine teuer erkaufte Wahl, denn fast 100 Menschen, die meisten davon Rothemden, haben für diese einfache Forderung nach demokratischen Wahlen in den letzten zwei Jahren mit ihrem Leben bezahlen müssen.

»Ich werde in meinen Heimatort in der Provinz Karasin reisen, um für die Nr. 1 (Pheu Thai Partei, PTP) zu wählen«, sagt der 53-jährige Suvin Arunmat. »Ich werde durch diese Reise viel Geld, unter anderem auch meinen ganzen Tageslohn, verlieren. Aber ich werde fahren«, bekräftigte der Taxifahrer mit echter Begeisterung.

»Die Erwartungen im Nordosten, der Hochburg der Rothemden, sind hoch«, berichtet Aktivist Sarayut Tangprasert, der seit über einem Jahrzehnt in der Region lebt. Darauf angesprochen, ob die PTP unter Verzicht auf Wahrhaftigkeit und Aufarbeitung Kompromissen mit dem Establishment zustimmen könnte, antwortete er: »Das ist meine größte Sorge.« Auf die gleiche Frage antwortete Thida Thanvornseth, eine Vorsitzende der UDD (Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur), die die größte Massenbewegung innerhalb der Rothemden darstellt, ohne Umschweife: »Wir werden kämpfen.«

Als Yingluck in Ratchaburi auf der Bühne eine nur kurze Rede hielt, um dann ein Bad in der Menge zu nehmen, führte dies zu wahren Jubelstürmen in der Menschenmenge. Diese Strategie des Aufbaus von Persönlichkeitskult folgt Thaksins bewährtem Schema. Sie versprach, die populäre Politik fortzusetzen und weitere Forderungen wie die Anhebung des Mindestlohns in ihre Kampagne aufzunehmen.

»In der Vergangenheit starben die Armen auf den Fluren der Krankenhäuser, weil sie die Kosten nicht bezahlen konnten. Es war Thaksin, der diese Zustände beendet hat. Ich hatte niemals in meinem Leben einen solchen Premierminister gesehen«, sagte Chirapar Batsapanurat, eine 65-jährige Frau aus der wachsenden Mittelsschicht in Silom, dem Geschäftsviertel der Hauptstadt.

Selbst im Süden des Landes, in dem viele Muslime leben, die unter der Hinterlassenschaft der eisernen Faust Thaksins zu leiden haben, wurde Yingluck von dort ansässigen Muslimen willkommen geheißen. Thaksin hatte sich vor der Wahl zum ersten Mal für sein hartes Vorgehen im Süden des Landes entschuldigt.

Die dort im Unruhegebiet wohnende Noi Tamma stellt dazu fest: »Überraschenderweise wird die PTP als Alternative zur DP mit ihrem Regierungschef Abhisit angesehen, weil dieser seine Versprechungen nicht eingehalten hat.« Dies spielt Yingluck in die Karten.

** Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2011


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