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Thailand droht in einen Bürgerkrieg abzugleiten

Premier Abhisit lehnt Kompromissvorschlag der Rothemden ab

Von Lee Yu Kyung und Mark Teufel *

Thailands Regierungschef Abhisit Vejjajiva heizte am Sonntag den Konflikt mit seinen Gegnern an: An der Seite des Armeechefs drohte er in einer Fernsehansprache mit der Räumung des Geschäftsviertels von Bangkok, das die »Rothemden« seit Wochen besetzt halten. Das Land droht in einen Bürgerkrieg abzugleiten.

Am Freitag (23. April) hatte Veera Musikhapong, einer der Anführer der Rothemden, nach Gesprächen mit ausländischen Diplomaten einen Kompromissvorschlag verkündet, um »den Verlust weiterer Menschenleben zu vermeiden«: Das Parlament müsse nicht sofort, sondern innerhalb von 30 Tagen aufgelöst werden, Neuwahlen sollten binnen drei Monaten stattfinden. Keine Rede mehr davon, dass Premierminister Abhisit »das Land sofort verlassen« müsse. Die Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) hatte diese Forderung erhoben, nachdem bei einem Blutbad am 10. April 25 Menschen getötet und mehr als 800 verletzt worden waren.

Die Rothemden wollten mit ihrem Vorschlag den Weg zu neuen Verhandlungen öffnen. Tags zuvor war bei Granatenanschlägen, von denen die Regierung behauptet, dass sie von Demonstranten ausgegangen seien, eine weitere Frau ums Leben gekommen. Die UDD fordert eine unabhängige Untersuchungskommission, die sowohl die Vorgänge am 10. April als auch die Anschläge am vergangenen Donnerstag aufklären soll. Immerhin fiel auf, dass die Granaten nur Stunden nach dem Urteil eines Zivilgerichts explodierten, das die Regierung eindringlich aufgefordert hatte, bei Auflösung der Demonstration »angemessene Mittel« zu benutzen, was schwere Waffen ausschließt, solange von den Demonstranten keine Gewalt ausgeht.

Regierungschef Abhisit aber lehnt nicht nur unabhängige Ermittlungen, sondern auch jede Verhandlung mit der UDD ab. Deren Angebot sei nur dazu gedacht, »die Aufmerksamkeit der ausländischen Medien zu erregen«, sagte der Premier, ohne seinerseits irgendeinen Vorschlag zu machen.

Obwohl Armeechef Anupong Paochinda vor Tagen eine gewaltsame Niederschlagung der Demonstration ausgeschlossen und eine »politische Lösung für ein politisches Problem« gefordert hatte, verlautete aus Regierungsquellen Gegensätzliches. Oberst Sansern Kaewkamnerd, Sprecher des »Zentrums für die Lösung der Probleme des Ausnahmezustands«, erklärte beispielsweise, die Armee warte nur nur auf einen geeigneten Augenblick, um zuzuschlagen.

Da der Premier die Tür für Verhandlungen zugeschlagen hat, wächst in Bangkok die Angst vor einem neuerlichen Blutbad. Zehntausende von Demonstranten haben bisher dem Ausnahmezustand getrotzt und sich hinter Barrikaden vor einer Bühne versammelt, um Reden und Musik zu hören. In der Nacht zum Sonntag errichteten Sympathisanten der Rothemden in Teilen des Landes Straßensperren, um zu verhindern, dass Armee und Polizei in Bangkok weiter verstärkt werden. Bisher sollen bereits über 80 000 Bewaffnete in der Hauptstadt zusammengezogen worden sein. Ein neuerlicher Angriff der »Ordnungskräfte«, gegen die sich die Rothemden mit Bambusstangen, Steinen, Flaschen und Schleudern zur Wehr setzen, könnte das Fanal für den Ausbruch eines Bürgerkrieges werden. Die Demonstranten haben auch unter den Uniformierten viele Anhänger, eine Spaltung der Sicherheitskräfte wird von Beobachtern nicht ausgeschlossen.

»Wir sind hier, um für Pracha Tipatai (Demokratie des Volkes) zu kämpfen«, erklärte eine 67-jährige Frau aus der Provinz Chaiyaphum im Nordosten Thailands. Gemeinsam mit Gleichgesinnten kam sie am 18. April nach Bangkok, eine Woche nach dem blutigen Angriff der Armee auf die Demonstranten. Die Frauen sind sich bewusst, dass sie ihr Leben riskieren, wenn die Regierung ihre Schergen mit Waffengewalt vorschickt. »Aber nicht heute Nacht«, hofft eine der Frauen und lächelt dabei.

Die Armee hat inzwischen offen erklärt, dass sie scharfe Munition verwendet. Einige der Soldaten tragen auffällig Gurte mit großkalibrigen Patronen, wie man sie bisher auf den Straßen Bangkoks nicht gesehen hat. Die Anführer der Demonstranten haben dagegen ein striktes Waffenverbot verhängt und übergeben jeden, der bei Kontrollen mit einer Waffe ertappt wird, den Behörden. Mehrmals wurden Zuwiderhandelnde auch öffentlich auf der Bühne vorgeführt, da man in ihnen Provokateure im Auftrag der Regierung vermutete. »Wir sind friedliche Demonstranten, und was wir tun, dient nur zur Selbstverteidigung, weil wir den brutalen Angriff am 10. April erlebt haben«, sagt einer aus den Reihen der Rothemden, der seinen Namen nicht nennen will und ein selbstgebautes Holzschild trägt. Er arbeite tagsüber auf dem Bau, erklärt er, diene aber jede Nacht bei den Demonstranten als Wache. »Ich schlafe nicht mehr als drei Stunden«, sagt er und fügt warnend hinzu: »Ich fürchte, die Menschen werden sehr wütend werden, und dann wird die Gewaltlosigkeit auf der Strecke bleiben.«

Inzwischen haben sich »ordnungsliebende« Anwohner als »Bunthemden« versammelt, um selbst gegen die Rothemden vorzugehen, falls die Armee tatenlos bleibt. Ironischerweise traten sie auf, nachdem die Armee wieder auf der Szene erschienen ist. So kommt es jetzt fast täglich zu Auseinandersetzungen zwischen den Lagern, bei denen Steine und Flaschen fliegen. Am Donnerstag dauerte so eine Schlacht zwei Stunden. Passanten, in denen die Regierungsanhänger Sympathisanten der Rothemden vermuten, werden geschlagen, Autos mit Aufklebern der Roten werden demoliert. Obwohl die »Bunten« ebenso gegen den Ausnahmezustand und das Versammlungsverbot verstoßen, unternimmt die Armee nichts gegen sie.

Um die Soldaten zu verwirren, haben die Anführer der Rothemden alle Demonstranten aufgefordert, ab sofort bunte Hemden zu tragen und alles Rote abzulegen. Thailand schwebt am Rande eines Bürgerkriegs. Nach der Fernsehansprache Abhisits erwarten Beobachter den Angriff der Armee innerhalb der nächsten zwei Tage.

* Aus: Neues Deutschland, 26. April 2010


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