Blutiges Wochenende in Bangkok
Thailands Regierung beantwortet die Forderung der "Rothemden" nach Neuwahlen mit Gewalt
Bei den schwersten Straßenschlachten seit 18 Jahren sind am Wochenende
in der thailändischen Hauptstadt mindestens 20 Menschen ums Leben
gekommen und über 840 verletzt worden.
Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften
in Bangkok sind am Sonnabend (10. April) eskaliert. Hundertschaften der
Polizei und mehrere tausend Soldaten versuchten, die seit vier Wochen
anhaltenden Protestkundgebungen der in Rot gekleideten Regierungsgegner
aufzulösen. Die Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer, Tränengas und
Gummigeschosse ein, trotzdem wichen die Menschen nicht zurück.
Als die Folgen der Gewaltaktion deutlich wurden, zog sich das Militär
zurück. Am Sonntag (11. April) besetzten tausende Rothemden die
Truppentransporter und Panzer, die die Soldaten bei ihrem hastigen
Rückzug zurückgelassen hatten. Die Demonstranten belagerten wie vor der
Konfrontation am Sonnabend die Phan-Fa-Brücke in der Altstadt und das
Geschäftsviertel an der Ratchaprasong-Kreuzung, wo sich auch zahlreiche
Hotels befinden.
»Dies ist eine Volksrevolution«, rief einer der Anführer der
Protestbewegung UDD, Veera Muksikpong, am Sonnabend. Er forderte
Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva erneut zum Rücktritt auf. Die Szenen
in Bangkok glichen zeitweise einem Bürgerkrieg: In der Altstadt und in
dem Geschäftsviertel kämpften tausende Soldaten mit Schilden und
Gummiknüppeln gegen die Massen der Rothemden. Über die Köpfe hinweg
schossen die Fontänen der Wasserwerfer, Tränengasgranaten nebelten die
Menschen ein. Die Rothemden schleuderten Speere, Granaten und
Molotow-Cocktails auf die Sicherheitskräfte. 5 Soldaten und 15
Zivilisten kamen ums Leben, darunter ein japanischer Fotograf der
Nachrichtenagentur Reuters. Ein Regierungssprecher wies Vorwürfe zurück,
die Soldaten hätten mit scharfer Munition geschossen. Vielmehr gebe es
Hinweise, dass die Demonstranten Granatwerfer und Sturmgewehre einsetzten.
Die Regierung versprach unterdessen eine unabhängige Untersuchung der
Vorgänge. Ein Einlenken schloss sie jedoch aus. »Wir sind entschlossen,
die Lage so schnell wie möglich zu normalisieren«, bekräftigte
Regierungssprecher Panitan Wattanayakorn. »Wir haben die Offiziere in
die Kasernen zurückbeordert, damit sie sich erholen und für die nächste
Operation fit sind, falls es nötig wird.« Abhisit denke aber nicht an
einen Rückzug, sagte sein Stellvertreter Suthep Thaugsuban. Der
Regierungschef habe weiter Rückhalt in der Koalitionsregierung.
Der linke Politikwissenschaftler Giles Ji Unpakorn kommentierte die
Vorgänge aus dem britischen Exil mit den Worten: »Der einzige Weg, auf
dem sich die derzeitige Regierung an der Macht halten kann, ist das
Niederschießen von unbewaffneten prodemokratischen Demonstranten,
verbunden mit straffer Zensur. Sie haben schlichtweg Angst vor
demokratischen Wahlen.«
Die USA riefen die Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf. Regierung und
Opposition müssten in Verhandlungen eintreten und mit friedlichen
Mitteln den Konflikt beilegen, erklärte der Sprecher des Nationalen
Sicherheitsrates, Mike Hammer, in Washington. Die US-Regierung verfolge
das Geschehen sehr genau; sowohl die Regierungsgegner als auch die
Sicherheitskräfte sollten Zurückhaltung üben. Ein Sprecher des
US-amerikanischen Außenministerium sagte, Gewalt sei »kein akzeptables
Mittel zur Beilegung politischer Differenzen«.
* Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010
Aufruhr und Schüsse statt Wahlen in Thailand
Regierung reagiert mit Gewalt auf demokratische Forderungen
Aus Bangkok berichten Lee Yu-Kyung Lee und Mark Teufel **
Nach wochenlangen Protesten der Regierungsgegner in Thailand ist die
Lage in der Hauptstadt Bangkok am Wochenende eskaliert. Bei
Straßenschlachten zwischen den sogenannten Rothemden und der Armee
starben nach Angaben von Rettungskräften mindestens 21 Menschen.
Sie kamen mit Pick-Ups, Bussen, Mopeds und Autos. Die meisten
Demonstranten gehören zu den Ärmsten des Landes, leben weit vor der
glitzernden Metropole Bangkok mit ihrem vibrierenden Nachtleben und
»Massage-Paläste« genannten Bordellen - von denen eines der Familie der
Wirtschaftsministerin gehört. Über Jahre waren sie von großen Teilen der
meist in der Hauptstadt lebenden Elite als dumm, ignorant und käuflich
bezeichnet worden. Und seit dem Militärcoup von 2006 wollte niemand die
enormen Einkommensunterschiede im Lande als Grund für soziale Unruhe
ansehen. Nun kamen die Armen zusammen mit Angestellten, Beamten,
Polizisten, Mittelständlern, die allesamt wütend über die
Ungerechtigkeit und »verdrehte« Justiz des Landes sind. Ihre Gegner
nennen sie »bezahlte Lakaien« des »kriminellen Thaksin«, des vom Militär
2006 gestürzten Ministerpräsidenten. Sie kamen, um Wahlen zu fordern, in
denen die Regierung nach dem Willen des Wählers bestimmt werden sollte.
Sie saßen auf glühendem Beton bei 40°C im Schatten vor den Bühnen und
schliefen in der Nacht auf dem Asphalt. Und als die ersten ermüdet zu
ihren Dörfern und Höfen meist im Norden und Nordosten des Landes
zurückkehrten, da übernahmen immer mehr Arbeiter, Angestellte, aber auch
Teile des »gebildeten Mittelstandes« ihren Platz und sorgten dafür, dass
die Zahl der Demonstranten über drei Wochen lang bei mehreren
Zehntausend lag, was den Sicherheitskräften eine einfache Auflösung
unmöglich machte.
Ihre Forderung, vertreten durch die Vereinigte Front für Demokratie und
gegen Diktatur (UDD), deren Markenzeichen die Farbe rot ist, war laut
und klar: Auflösung des Parlamentes und Neuwahlen! Denn die derzeitige
Regierung war eine Folge des illegalen Militärcoups von 2006, und die
von dieser Regierung begangenen Ungerechtigkeiten hatte sie eben nach
Bangkok getrieben. Aber die herrschende Clique in Thailand antwortete
mit gepanzerten Fahrzeugen und 100 000 Soldaten, die in Bangkok
zusammengezogen wurden - ein Drittel der gesamten Armee. Der 42-jährige
Kui aus der Provinz Mutahan teilte die Angstgefühle mit vielen, als er
mit seiner Frau und seinem sechs Jahre alten Sohn nach Bangkok kam. Das
Paar war in der Organisationen aktiv gewesen, die den Armen im
Kloeng-Toy-Slum in Bangkok half. Aber jetzt sind sie seit mehr als zehn
Jahren einfache Bauern.
Es ist Samstag, der Vorabend des thailändischen Neujahrfestes
»Songkran«. Gegen 15 Uhr werden Dutzende von Demonstranten durch schwer
bewaffnete Armeeangehörige davon abgehalten, zur Phan-Fa-Brücke, ihrer
Demonstrationsbühne im Regierungsviertel, zu ziehen. Die unbewaffneten
Demonstranten versuchen, die Soldaten davon zu überzeugen, sie
durchzulassen, und bedrängen sie. Plötzlich brechen sie durch, und die
Soldaten flüchten, einige in das Hauptquartier der Stadtpolizei. Aber
die Rothemden werden schon bald von der Armee überrollt, die mit
gepanzerten Fahrzeugen und Wasserwerfern anrückte. Einige Soldaten
wirken extrem verärgert, sie schlagen und bedrohen Demonstranten mit
vorgehaltener Waffe. Dann kommt der Moment, an dem die bis zu diesem
Zeitpunkt seit etwa einem Monat weitgehend disziplinierten Demonstranten
selbst gewalttätig werden. Tränengas wurde aus Hubschraubern abgeworfen.
Explosionen, Schüsse von allen Seiten. Es war unmöglich, in der
chaotischen Situation zwischen »echten« Demonstranten und »falschen« zu
unterscheiden.
Die bei Rucksacktouristen beliebte Khao San Road glich einem
Kriegsgebiet mit endlosen Blutlachen. Am Ende lagen nach offiziellen
Zahlen über 800 Verletzte in Krankenhäusern und es werden mindestens 21
Tote beklagt. Als der kommandierende General der anrückenden Soldaten
getötet wurde, stellte die Armee das Feuer ein und zog sich zurück. Die
Demonstranten behaupten, dass viele Tote und Gefangene von den Soldaten
an unbekannte Orte verbracht worden seien. In der Vergangenheit blieben
viele angeblich Abtransportierte für immer verschwunden.
Für den linken Politikwissenschaftler Giles Ji Unpakorn kam der
Gewaltausbruch nicht unerwartet. »Der einzige Weg, auf dem sich die
derzeitige Regierung an der Macht halten kann, ist das Niederschießen
von unbewaffneten Demonstranten, verbunden mit straffer Zensur. Sie
haben schlichtweg Angst vor demokratischen Wahlen.« Er sei »extrem
besorgt über den Ausnahmezustand, weil im Vorjahr auch nach seiner
Ausrufung ausufernden Gewalt begann«, sagte Chaturon Chaesaeng, der
einstige Vize-Vorsitzende der Thai Rak Thai, der vom Militär aufgelösten
»roten« Partei, gegenüber ND.
Die Regierung erklärt, dass Wahlen erst stattfinden könnten, wenn das
Land beruhigt sei - eine Bedingung, die aber jederzeit durch die mit der
Regierung sympathisierende extremnationalistisch-monarchistische
Volksallianz für Demokratie (PAD), die heute den Außenminister stellt,
wie schon im Jahr 2008 mit der Besetzung der Flughäfen bewiesen, ins
Endlose verzögert werden könnte. Weshalb die Weigerung der Regierung,
Wahlen abzuhalten, nichts anderes ist als die Fortsetzung des
Militärcoups von 2006.
** Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010
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