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Thaksin – Meister des Vertuschens

Thailands Regierungschef sorgt sich vorrangig ums Geschäft und seine Wiederwahl

Von Dario Azzellini, Surat Thani*

In zwei Monaten werde Thailands Stränden nichts mehr vom Albtraum des 26. Dezembers anzumerken sein, versprach Ministerpräsident Thaksin Shinawatra bei einem Besuch in Phuket. Nur wenige Kilometer entfernt bleiben Bewohner von Fischerdörfern ihrem Überlebenskampf überlassen. Sie klagen, dass nur den ausländischen Touristen geholfen wird.

In dem kleinen Restaurant läuft der Fernseher den ganzen Tag, abwechselnd BBC und CNN. Touristen setzen sich gebannt an die kleinen Tische der »Sandee Familiy«. Aber auch viele Thais bleiben stehen und schauen sich die Berichte der internationalen Fernsehkanäle an. »Im Thai-Fernsehen wird nicht viel berichtet und auch stets abgewiegelt«, erzählt Lee, Mitte 30 und Mutter eines achtjährigen Jungen. »Und in den Zeitungen steht auch nicht viel, die meisten Medien gehören doch Thaksin oder stehen unter seiner Kontrolle.«

Thaksin Shinawatra ist Thailands Regierungschef. Nicht nur das: Der Multimillionär ist eine Art thailändischer Berlusconi. Ihm gehören Fernsehanstalten, Zeitungen, Satelliten-Netzwerke, Supermarktketten und vieles mehr. Und da Thailand vom Tourismus lebt und Thaksin letztlich auch, wird verschwiegen, was sich verschweigen lässt. Gewiss kennt niemand die genaue Zahl der Opfer. Aber Thailands Regierung sprach zunächst von nur 200 Toten, während andere Staaten ihre Zahlen sehr bald hoch ansetzten und auf das wahrscheinlich schreckliche Ausmaß des Unglücks verwiesen, das viel mehr Opfer erwarten lasse.

Bis 31. Dezember mussten offizielle thailändische Stellen 3689 Tote bestätigen. Laut Anuwat Maytheevibulwut, Gouverneur der am stärksten betroffenen Provinz Phangnga, waren davon 2027 Ausländer und 1662 Thailänder. Außerdem aber sprach die Regierung von 7000 Vermissten und Premier Thaksin räumte ein: »Wir gehen davon aus, dass 80 Prozent der als verschwunden gemeldeten Personen tot sind.« Und selbst diese Zahlen verdienen Misstrauen.

Shinawatra, den die meisten seiner Landsleute nur bei seinem Vornamen Thaksin nennen, hatte die Wahlen im Jahre 2001 mit seiner rechtspopulistischen Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais) haushoch gewonnen. Versprochen hatte er, dass alle so reich werden könnten wie er selbst. Seitdem geht es allerdings mit den ohnehin beschränkten demokratischen Rechten und der begrenzten Pressefreiheit im Lande bergab. Derweil stolperte Shinawatra von Vertuschungsskandal zu Vertuschungsskandal, und im vergangenen Jahr verschärften sich die Spannungen durch das brutale Vorgehen der Armee auf der Suche nach vermeintlichen Al-Qaida-Ablegern im mehrheitlich muslimischen Süden des Landes. Selbst friedliche Demonstrationen wurden mit Gewalt aufgelöst, und im Oktober starben verhaftete Demonstranten, nachdem sie in Lkw zusammengepfercht worden waren. Eine offizielle Untersuchungskommission stellte fest, dass die Armee keine Schuld am Tod hunderter Menschen traf: Sie waren »einfach erstickt«. Unglückliche Umstände eben.

Als Meister der Vertuschung hatten sich Thaksin und sein Kabinett schon erwiesen, als Südostasien Ende 2003 von der Vogelgrippe erfasst wurde. Während in Vietnam und Kambodscha Hühnerfarmen geschlossen, der Verkauf von Geflügel vorrübergehend eingeschränkt und Informationskampagnen gestartet wurden, schien in Thailand alles bestens. Die Regierung leugnete die Präsenz des Virus im Land. Die Menschen, die ihm erlagen, starben offiziell aus anderen Gründen. Touristen sollten nicht verschreckt und Thailands Geflügelexporte nicht gefährdet werden.

Erst nach zwei Monaten gab die Regierung das vereinzelte Auftauchen des Virus im Land zu. »Thaksin musste erst seine Hühnerfarmen verkaufen und seine Investitionen umschichten«, erklärt Lee, »für ihn ist alles nur Geschäft, die Menschen interessieren ihn nicht.« Offiziell soll die Geflügelgrippe in Thailand nur 40 Menschenleben gefordert haben. Das Eingeständnis ihrer Existenz hatte Thaksin mit der Drohung verbunden, alle verantwortlichen Minister zu entlassen, wenn »die Epidemie nicht innerhalb von einem Monat ausgelöscht« wird. Seither verlor er kein Wort mehr darüber, Monate sind vergangenen, die Minister sind noch auf ihren Posten.

Ebenso versucht die thailändische Regierung derzeit die wahren Ausmaße des Unglücks zu verschweigen. Mittlerweile weiß man, dass nicht nur die Insel Phuket (wie zunächst behauptet), und einige weitere Orte und Inseln vom Tsunami betroffen waren. Die gesamte Westküste, von der Grenze zu Malaysia bis hinauf zur Grenze nach Myanmar (Burma), wurde in Mitleidenschaft gezogen. Ganze Regionen wurden jedoch in Stich gelassen. In einigen Orten gruben die Überlebenden tagelang mit bloßen Händen nach Vermissten und Verschütteten. Dabei verfügt Thailand durchaus über Mittel und Ausrüstungen für ein schnelles Eingreifen.

Im Februar finden in Thailand Wahlen statt und Premier Thaksin macht sich Sorgen um seine Wiederwahl. »Keiner weiß, ob er noch mal Regierungschef wird, aber jeder weiß, dass er sich wohl ins Ausland absetzen wird, wenn es nicht klappt. Ohne Protektion von höchster Stelle ist er bei seinen ganzen obskuren Machenschaften nicht mehr sicher in Thailand«, erzählt Lee. Denn trotz aller Katastrophen, die Thailand während seiner Amtszeit heimsuchten, stiegen die Aktien der familieneigenen Holding um satte 70 Prozent.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2005


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