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Kein Frieden im Süden Thailands

In den Unruheprovinzen hält die Gewalt unvermindert an

Von Thomas Berger *

Seit acht Jahren kämpfen im äußersten Süden Thailands islamische Separatisten gegen die thailändische Armee. Auch 2012 ist kein Ende des Konflikts in Sicht.

Als am 4. Januar 2004 eine bis dato unbekannte Gruppe bei einem Überfall auf ein Waffendepot in Narathiwat Hunderte Schusswaffen samt Munition erbeutete, konnte niemand ahnen, für welche Entwicklung dieser Vorfall der Auftakt war. Seither nämlich sind die drei südlichsten Provinzen Thailands im Grenzgebiet zu Malaysia – Pattani, Yala und Narathiwat – nicht mehr zur Ruhe gekommen. Keine Woche vergeht, in der es nicht Anschläge und Kämpfe gibt, die Verletzte und Tote unter Soldaten, Militanten und vor allem unter der Zivilbevölkerung fordern. 5243 Tote und knapp 9000 Verletzte haben die acht Jahre faktischen Bürgerkriegs laut offizieller Statistik gekostet.

Wer in irgendeiner Weise für den Staat tätig ist, und sei es, indem er als Lehrer Kindern Lesen und Schreiben beibringt, muss in Thailands Süden auf der Hut sein. Er könnte zur Zielscheibe werden, wenn wieder einmal Bewaffnete von einem fahrenden Moped Schüsse abgeben. Umkehrt leben gerade Angehörige der islamischen Geistlichkeit – das Gebiet ist muslimisch dominiert – in Sorge, von den Sicherheitskräften ohne triftigen Grund der Zusammenarbeit mit der Untergrundbewegung verdächtigt zu werden.

»Der Untergrund«, das ist vielleicht die treffendste Umschreibung dafür, was die Armee mit zahlenmäßig großer Präsenz in den drei Provinzen zu bekämpfen versucht. Denn der »Feind« ist in der Regel unsichtbar. Zwar kursieren ein paar Namen von Gruppen, doch niemand weiß genau, wer sich dahinter wirklich verbirgt, wie stark sie sind, ob es mehr ist als nur ein Phantom. Früher einmal waren die Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat ein eigenständiges Sultanat, bevor sie dem Königreich Siam – dem heutigen Thailand – angeschlossen wurden. Daran knüpfen die Aufständischen an: Rückzug des verhassten Staates mit seiner fremden buddhistischen Mehrheitskultur und Wiedererlangung der Unabhängigkeit, das ist ihr grundlegendes Ziel, das sie mit Bomben und gezielten Morden erreichen wollen. Die allgemeine Wahrnehmung, dass sich die Gewaltwelle 2011 abgeschwächt hätte, wird von der Statistik nicht gestützt. Bei 671 Vorfällen gab es 535 Tote und 1049 Verletzte, ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr, als bei 652 aktenkundigen Vorfällen 521 Menschen getötet und 941 verletzt wurden.

»Wer die Zahlen aus den vergangenen acht Jahren betrachtet, der erkennt, dass militärische Operationen nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben«, konstatierte die führende englischsprachige Tageszeitung »Bangkok Post« in einem Leitartikel. Thailand sei dem Ziel, »diesen schmutzigen Krieg für uns zu gewinnen«, kein bisschen näher gerückt. Zwar geht das Blatt nicht so weit, den weitgehenden Rückzug der Armee zu fordern. Wohl aber, ist sich die »Bangkok Post« mit namhaften Intellektuellen einig, müsse Thailands Regierung andere Antworten auf die Herausforderung im Süden finden, als nur Soldaten in Marsch zu setzen. Immerhin 161 Milliarden Baht, umgerechnet vier Milliarden Euro, hat der Konflikt inzwischen finanziell verschlungen. Ein kleiner Teil wurde für Entwicklungsprojekte in den sozioökonomisch zu den Schlusslichtern gehörenden Provinzen ausgegeben. Doch wenigstens 70 Prozent der Summe verschlang der militärische Einsatz.

Eine politische Lösung ist bisher auch daran gescheitert, dass die jeweiligen Regierenden in Bangkok, die seit 2004 mehrfach gewechselt haben, keinen greifbaren Ansprechpartner für den Beginn eines Dialogs haben. Solange nicht klar ist, welche Gruppen mit welchen konkreten Zielen in der Region operieren, ist es für die Regierung schwierig, Alternativen zu immer mehr Präsenz der Sicherheitskräfte zu entwickeln.

** Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012


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