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Thailands Rothemden erheben sich wieder

Aktivisten trotzen dem Ausnahmezustand

Von Lee Yu Kyung, Bangkok *

Ein halbes Jahr nach der blutigen Niederschlagung wochenlanger Proteste von Regierungsgegnern in Bangkok brütet die Bewegung der Rothemden neue Slogans aus.

Wochenlang hatten die Rothemden – in ihrer Mehrheit Thailänder aus dem ärmeren Norden und Nordosten des Landes – die Ratchaprasong-Allee im Zentrum Bangkoks besetzt. Im Mai war ihr Protest blutig niedergewalzt worden. 90 Menschen kamen zu Tode, Angst und Verzweiflung machten sich breit, doch zugleich gärte die Wut unter den Geschlagenen. »Einen Monat nach der Niederschlagung der Demonstrationen wollte ich rote Schleifen an das Straßenschild ›Ratchaprasong‹ hängen«, berichtet der 42-jährige Sombat Boonngamanong. »Ich schlug anderen vor, das Gleiche zu tun.« Die Polizei verhaftete Sombat und hielt ihn zwei Wochen lang fest. Doch nach seiner Freilassung organisierte der Aktivist weitere Aktionen, darunter »Rotes Aerobic« und »Die-ins« – das Totstellen auf öffentlichen Plätzen. Sombat erregte Aufmerksamkeit und zog mehr und mehr Menschen an. Ein halbes Jahr nach dem Ratchaprasong-Massaker strömten erneut mehrere Zehntausend Rothemden ins Zentrum Bangkoks und setzten sich damit über den Ausnahmezustand hinweg, den Regierung und Militär seit Monaten aufrecht erhalten. Es kam zu Mahnwachen, Massengesängen, Tänzen und stundenlangen Sprechchören: »Hier starben Menschen!«

Gegen Ende der Demonstrationen hörte man aber auch »Ai Hia Sung Kha, E-ha Sung Ying«, was so viel heißt wie »Der Bastard befahl das Töten, der Bastard befahl das Schießen«. Dazu wurde von Graffiti berichtet, die gegen das drakonische Gesetz zum Schutz des Ansehens der Monarchie verstießen. Offene Agitation und Widerstand gegen das mittelalterlich anmutende Gesetz gegen Majestätsbeleidigung wären vor einem halben Jahr undenkbar gewesen.

Die wieder aktiv gewordenen Rothemden treten inzwischen oft in kleineren Gruppen auf. Dies sei »ein besserer Weg für die Zukunft der Bewegung«, erläuterte ein Aktivist, der anonym bleiben wollte. »Eine zentrale Führung kann einfach verhaftet werden, wodurch die Bewegung geschwächt wird.« Man müsse abwarten, wie sich die Rothemden ohne entwickeln, eines sei jedoch sicher: Sie seien eine verschworene, widerständige Gemeinschaft geworden.

»Nicht nur Thaksin Shinawatra (der 2006 von den Militärs gestürzte Premier, auf den sich viele der Rothemden beriefen – d.Red.), sondern auch die Anführer der Proteste im Frühjahr sind jetzt nicht mehr so wichtig. Die Menschen beziehen ihre Motivation mehr als früher aus sich selbst«, glaubt der Aktivist Sombat. »Unser Ziel ist es, die Geisteshaltung der thailändischen Bevölkerung zu ändern, nach der es ›Eigentümer‹ und ›Chefs‹ gibt, während die Menschen an der Basis wie ›Besucher‹ oder ›Bürger zweiter Klasse‹ behandelt werden.«

Armeechef Prayut Chan-O-Cha hatte im November gewarnt, im Ausnahmezustand sei es verboten, »Kleidung, Sandalen oder Fotografien« mit sich zu führen, die zur »Spaltung des Landes beitragen« könnten. »Die Polizei wird über konkrete Fälle entscheiden«, erklärte Oberst Sansern Kaewkumnerd, Sprecher des »Zentrums zur Auflösung der Ausnahmesituation« (CRES), das den Ausnahmezustand überwacht. Bis zu zwei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 1000 Euro drohen bei einem Verstoß gegen die Anordnung. Einige Verkäufer von Sandalen wurden bereits verhaftet, weil darauf das Porträt von Premierminister Abhisit Vejjajiva abgebildet war.

Die Zeitung »Bangkok Post« überschrieb daraufhin einen Leitartikel: »Demokratien verbieten nicht, was zur freien Meinungsäußerung gehört«. Der Kommentator fragte: »Mit welchem Recht wird dem Militär, in diesem Fall durch das CRES, die Macht verliehen, darüber zu entscheiden, was erlaubt ist und was verboten, und darauf auch noch Strafen auszusetzen?« Selbst Premierminister Abhisit missbilligte die Anordnung.

Das Königreich Thailand wird also offenbar vom Militär kontrolliert, das über dem zivilen Premierminister und seiner Regierung steht. Vizepremier Suthep Thaugsuban erklärte jedoch: »Das CRES versucht nicht, die Macht zu übernehmen oder einen Coup durchzuführen, wenn es Spezialgesetze erlässt. Es will damit doch nur die Ordnung aufrecht erhalten …« Durchaus möglich ist aber, dass sich die Bewegung der Rothemden aufgrund solcher Verbote weiter radikalisiert.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2010


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