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Tage des Putsches

Erinnerungsfoto mit Panzern: Eindrücke aus Thailands Metropole nach dem Einmarsch der Armee

Von Thomas Berger, Bangkok *

Es ist der Tag zwei nach dem Putsch. »Seid ihr Österreicher?« Erwartungsvoll blickt der Mann vom ORF-Fernsehen auf der Suche nach Landsleuten, die er zu ihren Erlebnissen am 19. September interviewen kann, die beiden Frauen am vordersten Tisch im »Prakorb’s Café« an. Doch die schütteln über ihren halbvollen Biergläsern den Kopf. Schweizerinnen, also wieder Fehlanzeige, so daß der TV-Reporter mit Kamera und Mikrofon bepackt eilig weiterzieht. Irgendwo entlang der Khaosan Road, dem Absteigeort für die meisten Rucksacktouristen in Bangkok, wird er zweifellos fündig werden. Ob seine Gesprächspartner viel zu sagen haben werden, steht indes auf einem anderen Blatt: Den meisten Urlaubern war nur wichtig, daß sie selbst unbehelligt blieben am Dienstag vor einer Woche, als das Militär den Präsidenten Thaksin Shinawatra stürzte. Und daß dieser zwanzigste Putsch in Thailands jüngerer Geschichte gänzlich unblutig verlaufen möge und ihre persönlichen Reisepläne somit keinen Schaden nehmen würden.

Der Bettler vor dem »Royal«

»Es ist gut, daß Thaksin weg ist. Und ich glaube, fast jeder hier in Bangkok sieht das so wie ich«, sagt der 17jährige Worathan. Der junge Mann sitzt auf einem Mauervorsprung, neben sich seine Freundin, und macht aus seiner Überzeugung keinen Hehl. Als Kunststudent gehört er zu denen, die mit dem schwerreichen Selfmademan, korrupten Amateurpolitiker und doch begnadeten Populisten Thaksin ohnehin nie viel anfangen konnten. Ein anderer Student, allerdings fast doppelt so alt wie Worathan, stößt ins selbe Horn. »Ich glaube, es kann nur gut sein, daß es jetzt einen Neuanfang gibt«, sagt der Mann, den seine Eltern nach der beliebten braunen Brause »Pepsi« genannt haben. Wie die Zukunftsaussichten unter einer militärischen Übergangsregierung sind, dazu vermag er allerdings nichts zu sagen.

Träge fließt einige hundert Meter entfernt der Chao Praya dahin. Boote überqueren den Fluß, der das heutige Bangkok vom auf der gegenüberliegenden Seite befindlichen Thonburi trennt, welches früher einmal die Hauptstadt war. Ein kleines, motorstarkes Gefährt zieht einen langen Lastkahn hinter sich her. Fotomotiv für drei junge Damen auf der mächtigen Brücke namens Somdet Phra Pin Klao. Aus dem Norden des Landes kommend, sind sie in der Stadt zu Besuch. Thaksin? Militärputsch? Nein, dazu haben sie keine richtige Meinung. »Es hat sicher seine guten und schlechten Seiten«, sagt die eine noch. Die beiden anderen kichern, während zwei Meter entfernt der Verkehr mehrspurig über die Brücke Richtung Innenstadt donnert. Langsam angesichts der einsetzenden Rushhour, aber lärmend und stinkend.

Dem Bettler vor dem noblen »Royal Hotel« sind die Ereignisse egal. Viele Regierungen hat er kommen und gehen sehen in seinem Leben, und keine hat seine Lage spürbar besser gemacht. Nicht um Politik muß er sich einen Kopf machen, sondern darum, ob wenigstens an diesem Tag ein paar mehr Münzen in dem Becher landen, den er bittend den Passanten entgegenstreckt. Die meisten hasten vorbei, ohne den Greis eines Blickes zu würdigen. Eine Figur, die vor dem »Royal« denkbar deplaziert wirkt und die Kontraste verdeutlicht, die sich auch in der Regierungszeit von Thaksin nicht abgemildert haben – im Gegenteil. Der gestürzte Premier mag vor Jahren einigen Armen im Land eine reguläre Krankenversicherung verschafft haben, doch letztlich galt auch diese Maßnahme lediglich dem Fang von Wählerstimmen. Thaksin, der Multimilliardär und zweitreichste Mann im Lande, war alles andere als ein Sozialreformer. Er ließ schon mal Bettler wie die Straßenköter aus Bangkoks Zentrum in die Außenbezirke verfrachten – wie 2003 zum asiatisch-pazifischen Wirtschaftsgipfel (APEC): Die Eindrücke der hochrangigen Gäste aus dem Ausland sollten nicht vom Alltagselend der zehn oder zwölf Millionen Einwohner zählende Metropole getrübt werden.

Auf dem Sanam Luang, der großen Wiese zwischen Nationaltheater und der berauschenden Tempelanlage Wat Phra Keo, haben sich wie üblich zur Feierabendzeit viele Leute eingefunden. Bangkok hat so gut wie keine Parks, also kommt man hierher, um anderen beim Fußballspielen und Drachensteigen zuzusehen, ein Nickerchen zu machen oder sich von einer der Masseurinnen am Rande des Areals die verspannten Muskeln fachkundig durchkneten zu lassen. Ein einsamer Jogger dreht seine Runde trotz schwüler 30 Grad, ein Mönch in grelloranger Robe greift zu seinem klingelnden Handy. Eine friedvolle Szenerie, die so gar nicht dazu passen will, daß derzeit die Männer in Uniform alle demokratischen Institutionen suspendiert haben und insbesondere in den sozial benachteiligten, muslimisch geprägten Südprovinzen schon mal brutal von der Waffe Gebrauch machen.

Bangkok heißt »Krungthep«

Bangkok dagegen ist längst zur Normalität zurückgekehrt – nur ganz punktuell verraten Details, daß nicht alles so ist wie vorher. Am Democracy Monument mit seinen vier hohen Eckpfeilern stehen Soldaten verteilt entlang des Kreisverkehrs. Drei sind mit MP über der Schulter vor dem piekfeinen Restaurant »Sorndaeng« postiert, das die beste Thai-Küche in der Stadt verspricht. Die hier Speisenden scheint deren Anblick nicht zu stören, und auch einen Viertelkreis weiter verdirbt die Aussicht auf vier khakifarbene Gestalten einschließlich des Offiziers den Gästen in der McDonald’s-Filiale nicht den Appetit.

Das Denkmal wird von den Militärs offenbar als Risikogebiet betrachtet, so wie sonst vielleicht das Regierungsviertel. Hier, entlang des Prachtboulevards Ratchdamnoen Klang, sammelte sich in den siebziger Jahren die studentisch geprägte Demokratiebewegung. Die kleine Gedenkstätte eine Kreuzung weiter ist bis heute einer der Orte, an dem Kundgebungen stattfinden, und die neuen Machthaber haben gewisse Sorge, daß sich trotz des verhängten Versammlungsverbotes einige Aufrechte wie Unerschrockene vielleicht doch zu einer Protestaktion einfinden könnten – in dem Wissen, daß Putschführer Sonthi Boonyaratglin nicht zu trauen ist. Dieser hatte behauptet, mit den bisherigen reaktionären Militärdiktaturen, die im Bedarfsfall Widerstände blutig niedergeschlagen hatten, nichts gemein zu haben. Die überwiegende Mehrheit der Bangkoker nimmt ihm und seinen Getreuen solche Beteuerungen ab. Die Soldaten rund um das Denkmal stehen lässig, einige ins Gespräch mit Passanten vertieft.

Der Tag zwei nach dem Putsch neigt sich seinem Ende entgegen. Bangkok, in der Landessprache »Krungthep«, wird nicht so schnell zur Ruhe kommen: Die »Stadt der Engel« gilt als die quirligste Metropole Südostasiens. Als »Venedig des Ostens« war sie einst wegen ihrer vielen Khlongs (Kanäle) bekannt. Die meisten davon haben den breiten, teilweise zweigeschossigen Schnellstraßen weichen müssen. Gerade einmal 7000 Menschen bevölkerten die Siedlung, als 1782 der im Feldzug gegen die Khmer siegreiche General Chakri hier die Hauptstadt des neuen Siam errichten und sich selbst als Begründer der bis heute herrschenden Dynastie als Rama I. zum König krönen ließ. Auch der Urahn des heutigen Monarchen Bhumipol Adulyadej, der seit 1946 auf dem Thron sitzt, war somit ein Mann des Militärs.

Seit damals haben hohe Offiziere immer wieder nach der Macht gegriffen, die Oberhoheit der Könige jedoch nie in Frage gestellt. Die Monarchie war bei manchen Turbulenzen wie ein Fels in der Brandung, trug durch geschicktes Lavieren zwischen Briten und Franzosen Anteil daran, daß Thailand nicht kolonial erobert wurde. Seit der Verfassungsgebung von 1932 in den Machtbefugnissen eingeschränkt, blieb der König doch eine starke Autorität in der Gesellschaft Thailands. Gleichwohl ließ er selbst so zwielichtige Junta-Chefs wie Phibul Songgram, der das Land an der Seite Japans in den Zweiten Weltkrieg führte, fast ungehindert wirken. Als sein älterer Bruder Ananda (Rama VIII.) 1946 unter ungeklärten Umständen starb und tot im Palast aufgefunden wurde, krönte man den kaum 19jährigen Bhumipol, der in den USA studiert hatte, zum neuen König namens Rama IX.

Die Bilder seines 60jährigen Thronjubiläums im Sommer sind aus den Straßen Bangkoks noch nicht verschwunden, und einmal mehr ist es Bhumipol, der einem Putsch sozusagen royale Legitimation verschafft hat. Nicht zum erstenmal dürfen sich Anführer einer militärischen Machtergreifung dieses Ritterschlages erfreuen. Doch es war auch Bhumipol, der hinter den Kulissen nach der blutigen Eskalation der letzten Militärdiktatur 1992 maßgeblich deren Ende und die Rückkehr demokratischer Verhältnisse in die Wege leitete.

Der dritte Tag

Am Tag drei nach dem Einmarsch der Militärs in die Stadt stehen noch acht Panzer vor der Chulalongkorn-Statue am Parlamentsgebäude. Vier links, vier rechts, militärisch exakt in Reih und Glied – und nunmehr eine Touristenattraktion. Blumenbehängt die schweren Fahrzeuge, die Besatzungen vollauf damit beschäftigt, Fotowünschen nachzukommen. Noch einmal mit der jungen Frau, dann gemeinsam mit Mutter und quäkendem Kind. Panzer in der Innenstadt, das haben die Jüngeren noch nie gesehen. Fotoapparate und Handykameras halten das eigentümliche Bild zur Erinnerung fest, und der Soldat hat seinen Platz noch immer nicht in Richtung seiner Kameraden verlassen können, weil er ständig von neuen Panzertouristen zu Fotozwecken vereinnahmt wird.

Für Rathana, eine zierliche Endvierzigerin, ist es ein guter Tag. Die Fotowütigen bekommen Durst, und das steigert den Umsatz der Getränkeverkäuferin, die Cola, Wasser und Säfte verkauft. Auch sie vertritt den Standpunkt, daß der Putsch gerechtfertigt war: »Ich glaube, es ist besser, daß jetzt erst mal die Armee das Sagen hat. Es ist ja im Interesse der Leute«, meint sie zwischen der Abfertigung zweier Kunden. »Ich denke, daraus können sich für die Zukunft positive Entwicklungen ergeben.« Ein Stück weiter am Tempel stehen ein Panzer und ein Armeelastwagen, während vor dem Außenministerium nur die normalen Wachposten Dienst schieben. Der alte Hausherr ist ebenso wie seine übrigen Kabinettskollegen abgesetzt worden, wann ein neuer einzieht, ist nicht bekannt. Bis dahin arbeiten selbst die Diplomaten auf Sparflamme. Dabei gäbe es für sie einiges zu tun – das Ausland hat allgemein eher mit Ablehnung und Kritik auf den Putsch reagiert. Selbst die südostasiatischen Nachbarn äußerten sich, und Mely Caballero-Anthony vom Institut für Verteidigung und Strategische Studien in Singapur sprach vor Reportern sogar von einem herben Rückschlag für den Demokratisierungsprozeß in der ganzen Region.

Von solchen Analysen wollen viele Leute in Khlong Teoy nichts wissen. In einem von Bangkoks ärmsten Stadtvierteln kämpfen die Menschen ums tägliche Überleben. Zwar liegt das Queen Sirikit Convention Centre, nach dem die benachbarte Station der neuen U-Bahn benannt ist, ebenso wie einige noble Hochhäuser fast nebenan. Doch die meisten Gebäude in Khlong Toey sind kaum dreistöckig, schäbig und wahre Bruchbuden im Vergleich zur übrigen Stadt, wo alles nicht genug protzen und glänzen kann. Ein paar Kinder spielen Fußball – die einzige Abwechslung in einem ansonsten eher tristen Leben ohne große Zukunftsaussichten.

Skeptische Marktfrauen

»Es ist nicht gut, daß Thaksin gestürzt wurde«, sagt die Frau, die an ihrem Stand Schweineköpfe feilbietet. Sie ist damit eine der wenigen, die sich offen für den Expremier aussprechen – 80 Prozent der Thais, glaubt man einer an diesem Tag veröffentlichten Umfrage, stehen hinter der Militäraktion. Selbst im Norden, der immer als stärkste Bastion des Regierungschefs galt. Hier, auf der Schattenseite der Glitzermetropole Bangkok, gibt es keinen Jubel über das Ende eines korrupten Systems, sondern in aller Regel nachdenkliche Töne.

Die Männer und Frauen, die hier stehen, bieten alles an, was die Hausfrau daheim so im Laufe der Woche auf den Tisch bringt: Fangfrischer Fisch, der angesichts der tropischen Temperaturen immer wieder mit Eis überschüttet wird. Handtellergroße Krabben versuchen, dem Gewirr der Fäden zu entkommen, mit denen man sie an ihren Scheren zusammengebunden hat, und in viel zu kleinen Käfigen zusammengepferchte Hühner und Enten dürfen live verfolgen, wie ihre Artgenossen geschlachtet und gleich anschließend über offenem Feuer gebraten werden. Bis die Reihe an ihnen ist. »Thaksin war ein Gauner«, nimmt eine Wurstverkäuferin kein Blatt vor den Mund. »Es ist gut, daß der weg ist. Schließlich hat er sich doch nur für die großen Wirtschaftsbosse eingesetzt.« Sie hoffe, daß sich nun etwas ändere in der Politik, doch bei anderen scheint diese Erwartungshaltung weniger ausgeprägt. Eine ältere Kundin und zwei Händlerkolleginnen fallen ins Gespräch ein. Kaum jemand mochte Thaksin wirklich, niemand in diesem Stadtteil hat von seiner Regierungszeit profitieren können.

Ob der Regierungssturz einen Politikwechsel bringen wird? Nicht nur die Marktfrauen in Khlong Toey zeigen sich skeptisch. Bisher führte, wer immer das Sagen hatte, grundsätzlich den Stil seiner Vorgänger weiter. Sorgte dafür, daß noch mehr hochmoderne Einkaufstempel und mondäne Hotels gebaut, das Elend aber nicht verringert wurde. Es waren auch nicht die Unterprivilegierten, die im Frühjahr mit Massendemonstrationen Thaksins Rücktritt erzwingen wollten, sondern vorrangig die Leute der urbanen Mittelklasse, die von der Vetternwirtschaft und zunehmenden Arroganz einer kleinen Clique die Nase voll hatten.

Nun hat ihnen die Armee die Arbeit abgenommen. Ein Putsch von oben, aus dem System heraus, keine breite Volksbewegung. Keine Revolution, nicht einmal einmal ein Anflug davon, sondern nur ein Personalwechsel von Männern in Anzug und Krawatte zu Männern in ordenbehängter Uniform. Am Tag drei nach dem Putsch regt sich erster zaghafter Widerstand gegen die neuen Machthaber. Eine neugegründete Studentengruppe, nach dem Datum der rollenden Panzer »19. September« benannt, wagt es, dem Versammlungsverbot zu trotzen und am Siam-Einkaufskomplex eine kleine Protestkundgebung zu veranstalten. Das Militär läßt sie gewähren.

Am Folgetag ist eine ungewöhnliche Anordnung des Militärrates an alle Soldaten in den Zeitungen nachzulesen: Bitte weiterhin lächeln.

* Aus: junge Welt, 30. September 2006 (Wochenendbeilage)


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