Bangkok im Ausnahmezustand
Proteste gegen Regierung in Thailand gehen weiter / Todesopfer bei Zusammenstößen
Von Daniel Kestenholz, Bangkok *
Nach einer Nacht der blutigen Straßenkämpfe zwischen Regierungsanhängern und
Regierungsgegnern mit einem Todesopfer hat der thailändische Premier Samak Sudaravej gestern
den Notstand über Bangkok ausgerufen.
Der Premier behält die Kontrolle: Armeechef Anupong Paochinda wurde beauftragt, Ruhe und
Ordnung wiederherzustellen. Eine Ausgangssperre wurde allerdings nicht verhängt. General
Anupong versicherte, seine Truppen blieben unbewaffnet, seine Aufgabe sei, neue Kämpfe zu
vermeiden. »Gespräche, keine Gewalt«, so Anupong, während die Demonstranten der Volksallianz
für Demokratie (PAD) am Dienstag (2. September) weiteren Zulauf erhielten.
Die »Dharma Armee« der erzbuddhistischen Santi Asoke Sekte, die das Rückgrat der PAD bildet,
errichtete neue Zelte am belagerten Amtssitz des Regierungschefs. Es scheint möglich, dass bald
Samaks letzte Stunde als Premier schlägt und sich die Streitkräfte auf die Seite des »Volkes«
schlagen.
Auf den Monat genau zwei Jahre nach dem Putsch 2006 geht in Thailand das Gespenst eines
neuen Versuchs um, eine gewählte Zivilregierung zu entmachten. Premier Samak betonte, das
öffentliche Leben »geht normal weiter«, er werde das Notstandsrecht »in ein paar Tagen wieder
aufheben«. Tatsächlich ist Samak hilflos. Jetzt gab er der Armee die Instrumente in die Hand, mit
der um sich greifenden Anarchie aufzuräumen. Öffentliche Schulen in Bangkok schlossen gestern,
Gewerkschaften kündigten an, aus Solidarität mit der PAD ab heute mit Streiks das öffentliche
Leben zum Erliegen zu bringen. Erste Staaten wie Großbritannien, Kanada und Australien erließen
Reisewarnungen. Deutschland und die Schweiz mahnten ihre Bürger, Menschenansammlungen in
Bangkok zu meiden. Unter dem Notrecht wird jede Versammlung von mehr als fünf Personen
verboten. Auch die Medienberichterstattung wird eingeschränkt, doch vorerst konnten
Fernsehstationen und Printmedien ohne Auflagen berichten.
Mit Messern, Macheten und Metallstangen bewaffnete Regierungsanhänger waren in der Nacht zum
Dienstag gegen das seit einer Woche von Regierungsgegnern belagerte »Government House«
losgegangen. Es war der Zeitpunkt, als die gewaltige Kluft zwischen der städtischen PAD und der
ländlichen Bevölkerung aufbrach. Als sich die rot gekleideten Regierungsanhänger den »gelben«
Regierungsgegnern näherten, wich die Polizei zurück. Eine mittelalterliche Schlacht mit Gekreische
und Blutlachen brach aus – bis Schüsse fielen. Es waren die schlimmsten Unruhen in Bangkok seit
dem Aufstand 1992. Premier Samak holte den Armeechef aus dem Bett und erklärte den Notstand.
Der belagerte Regierungssitz gleicht nach der einwöchigen Okkupation indes einem Slum. Doch die
Belagerer scheinen auch nach 101 Tagen des Protestes entschlossener denn je, ihre Aktionen
fortzusetzen.
Abgesehen davon war vorerst in Thailands Hauptstadt vom Ausnahmezustand wenig zu spüren. Der
Verkehr war schwächer, Randalierer beider Seiten hatten sich nach Sonnenaufgang zurückgezogen.
Die Widerstandsführer der PAD in dem von Stacheldraht und Autoreifen verbarrikadierten
Government House gaben sich soweit unbeeindruckt. »Es gibt gar nicht genug Gefängnisse, uns da
alle hineinzuwerfen«, sagte Protestführer Chamlong Srimuang, der die Bevölkerung aufrief, sich den
Aktionen anzuschließen, während sich die Regierungsanhänger der Demokratischen Allianz gegen
Diktatur (DAAD) auflösten. »Wir haben hier nichts mehr zu tun«, erklärte ein DAAD-Führer. »Mit
dem Notrecht hat die Regierung jetzt weiter die Kontrolle.«
Die von Liberalen, Intellektuellen, der Mittelschicht und einer Bangkoker Elite getragene PAD
verlangt ein neues, für Thailand »besser geeignetes« politisches System, das Direktwahlen durch
die Ernennung von Bürokraten, Akademikern und auch Generälen ersetzen soll. Die arme
Bevölkerung in den Provinzen wähle bloß korrupte Führer. Der in den Provinzen populäre Samak,
dessen Volksmachtpartei PPP im Dezember einen deutlichen Wahlsieg errang, weist dies als neoelitäre
Autokratie zurück. Zwar ist der Stimmenkauf in Thailands Provinzen tatsächlich ungezügelt –
als eine Art Patronage. Im Austausch für die gekaufte Stimme sichert der Patron, der Politiker,
Schutz und Unterstützung zu. Die scheinbar unausrottbare Praxis des Stimmenkaufs wirft jedoch die
legitime Frage auf, welche Art von Demokratie das Land brauche.
Weitere Sorgen bescherte dem Premier die gestrige Ankündigung der nationalen Wahlkommission,
ausgerechnet jetzt die Auflösung der regierenden Volksmachtpartei PPP wegen Wahlbetrugs zu
empfehlen. Der Fall geht nun vor das Verfassungsgericht. Zwar bezieht er sich nur auf ein einzelnes
Wahlvergehen, wofür laut Gesetz aber die ganze Partei zur Verantwortung gezogen werden kann.
* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2008
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