Letzter Ausweg Illegalität
Für Zehntausende burmesische Arbeitsmigranten in Thailand laufen die Visa aus. Der Wirtschaftsboom in ihrer Heimat hat bislang nicht genügend Jobs geschaffen
Von Thomas Berger *
Während ihr Heimatland als eine der Nationen mit dem demnächst höchsten Wirtschaftswachstum gehandelt wird, stehen zahlreiche Bürger von Myanmar (Burma) vor einem großen Problem: Als Arbeitsmigranten im benachbarten Thailand tätig, laufen ihre Visa demnächst aus. Bis zu 100000 Menschen könnte dies nach Schätzung burmesischer Diplomaten in Bangkok allein bis Jahresende betreffen, mehreren zehntausend weiteren droht das gleiche im nächsten Jahr. Die ersten, die nunmehr ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung dastehen, sind bereits untergetaucht – illegal in Thailand zu verbleiben erscheint den meisten trotz der allgemeinen Aufbruchstimmung in der Heimat nach dem Ende der jahrzehntelangen Militärdiktatur immer noch ratsamer, als umgehend zurückzukehren.
Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte im Land wird auf etwa drei Millionen geschätzt, wirklich verläßliche Angaben existieren nicht. Fakt ist allerdings, daß die überwiegende Mehrheit aus dem westlichen Nachbarland Myanmar stammt. Zudem leugnet niemand, daß in etlichen Sektoren der thailändischen Wirtschaft ungelerntes Personal zu Billiglöhnen arbeitet. Darin liegt weiteres Konfliktpotential – Entlohnung und Arbeitsbedingungen sind in mehreren Branchen so skandalös, daß sich nicht nur die Einheimischen verweigern, sondern auch die Migranten um solche Jobofferten mittlerweile einen Bogen machen. Als besonderes Synonym für solche Zustände gelten die Fischerei und die fischverarbeitende Industrie an Land, wo die Beschäftigungsverhältnisse vielfach wie moderne Formen von Sklaverei anmuten.
Burmesische Arbeiter haben keine Lobby und sind im Normalfall nicht in der Position, angemessene Löhne und die Einhaltung von Mindeststandards zu fordern. Ihre Familien daheim sind auf die Überweisung der monatlichen Unterstützung angewiesen – so gering diese auch ausfallen mag, ist sie doch oft ein Vielfaches dessen, was die armen Bauern selbst verdienen können. Schnelle Rückkehr ist für die Migranten mit ablaufendem Visum oder die schon jetzt stetig wachsende Zahl der Illegalen keine Option. Obgleich Myanmars Wirtschaft in den statistischen Beschreibungen zulegt, ist reale Entwicklung doch zumeist auf die wenigen urbanen Metropolen beschränkt. Gerade auf dem flachen Land, woher die meisten der Arbeitsmigranten in Thailand stammen, gibt es keine Jobangebote. Dabei haben sich die meisten bei den Tätigkeiten im Ausland Fertigkeiten angeeignet, die in der gleichen Branche daheim prinzipiell nützlich wären.
Beim Human Development Index (HDI) nimmt Myanmar Platz 149 unter 186 dort gelisteten Ländern ein. Drei Viertel der Einwohner haben nicht einmal Zugang zu Elektrizität, und ohne Strom fällt es gerade in den Dörfern schwer, abseits der landwirtschaftlichen Produktion ökonomisch etwas anzusiedeln. Anders sieht es in den Städten aus: Die Bodenpreise in Rangun, der früheren Hauptstadt und weiterhin wichtigsten Wirtschaftsmetropole, explodieren dank der Spekulation regelrecht. Grundstückseigentümer wissen sehr wohl, wie viele ausländische Investoren nach dem Wegfall der internationalen Sanktionen und der Installation erster rechtlicher Grundlagen ernsthaft über Ansiedlungen nachdenken. Immobiliengeschäfte, Hotelgewerbe, Bergbau: Das sind Sektoren, wo das Wachstum wirklich greifbar ist. Mitsamt der Tatsache, daß nur sehr wenige davon profitieren.
Myanmars Außenhandel ist im ersten Quartal 2013 erstmals auf über sieben Milliarden US-Dollar geklettert, eine Zunahme von stolzen 15 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, wie das zuständige Ministerium mitteilte. Allein 300 Millionen Dollar Exporte steuerte die wachsende Textilbranche bei, die derzeit ihre Hauptabnehmer in Japan und Südkorea hat, aber auch in der EU zunehmend Fuß faßt. Der thailändische Konzern PTTEP hat wiederum kürzlich vermeldet, bei Bohrungen vor der Küste des Nachbarlandes auf neue Erdgasvorkommen gestoßen zu sein. Das Gebiet gilt als potentielle Goldgrube, und der frühere burmesische Energieminister Than Htay mußte bereits seinen Hut nehmen, weil bei der Vergabe einzelner Förderblocks offenbar nicht alles rechtens gelaufen war.
Große Bedeutung wird seitens der Regierung verschiedenen Infrastrukturprojekten beigemessen, um Grundlagen für den erhofften Boom zu schaffen. Die Japaner wollen jetzt eine Brücke zur besseren Anbindung der etwas außerhalb von Rangun liegenden Sonderwirtschaftszone Thilawa an das Stadtzentrum bauen. Zudem hat die Fluggesellschaft All Nippon Airways (ANA) angekündigt, ihre Verbindungen von derzeit dreimal wöchentlich stattfindenden auf tägliche Flüge auszudehnen und größere Maschinen einzusetzen. Etwa eine Million ausländische Besucher wurden 2012 gezählt – bis 2020 könnte diese Zahl auf bis zu 7,4 Millionen anwachsen. Um das logistisch zu bewältigen, ist ein neuer Großflughafen bei Hanthawaddy, 80 Kilometer nördlich von Rangun, geplant, der eine Kapazität für jährlich zwölf Millionen Passagiere haben soll. Er müßte allerdings per Autobahn und auf dem Schienenweg mit der Metropole verbunden sein, deren Einwohnerzahl sich von derzeit fünf Millionen bis 2040 verdoppeln dürfte.
* Aus: junge welt, Freitag, 13. September 2013
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