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Politische Dauerkrise

Hintergrund. In Thailand stehen Wahlen an. Die Konflikte zwischen den verschiedenen Lagern spitzen sich zu

Von Thomas Berger *

Ende Juni oder Anfang Juli werden die Thais wieder einmal an die Wahlurnen gerufen. Schon jetzt bringen sich die Parteien dafür in Stellung: Kandidatenlisten werden erstellt, Mitgliedschaften mit Aussicht auf ein besseres Abschneiden noch schnell gewechselt, der Ton in der Auseinandersetzung zwischen den Konkurrenten noch einmal verschärft. Insofern nichts Außerordentliches. Vielleicht ist nicht einmal der Umstand ungewöhnlich, daß auch die nationale Wahlkommission, ein formell von der jeweiligen Regierung unabhängiges Gremium, noch einmal die Regeln überprüft und dabei einige verschärft hat.

Die Besonderheit liegt allerdings darin, daß von solchen Verschärfungen vor allem ein Punkt betroffen ist: Das Königshaus, ohnehin vor jeglichen verbalen Angriffen geschützt, soll im bevorstehenden Wahlkampf erst gar nicht Erwähnung finden. Dahingehend wollen die Wahlwächter auch noch einmal die Spitzenvertreter aller antretenden Gruppierungen instruieren.

Der Vorgang zeigt, wie unabhängig die Kommission tatsächlich ist. Denn es waren zunächst namhafte Vertreter der die Regierungskoalition anführenden Demokratischen Partei (DP) wie auch leitende Militärs, die vor der Presse lautstark die Forderung erhoben, die Monarchie im Vorfeld des Urnengangs mit keinem Wort zu erwähnen und jegliche Zuwiderhandlungen scharf zu ahnden. Obwohl sie nachdrücklich ihre Eigenständigkeit hervorhoben, haben sich die Mitglieder der Wahlkommission mindestens zum Erfüllungsgehilfen solcher Eiferer gemacht. Diese gewinnen gerade immer weiter Oberwasser: So viele Vorwürfe wegen angeblicher Majestätsbeleidigung wie in den zurückliegenden Wochen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Mitglieder der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Opposition werden regelrecht mit Anzeigen überzogen, auch gegen kritische Intellektuelle und Journalisten wird dieses Geschütz in Stellung gebracht. Tausende Webseiten sind gesperrt.

Kritik am König verboten

Majestätsbeleidigung ist inzwischen seit gut 100 Jahren ein Tatbestand im thailändischen Strafgesetzbuch. Erstmals aufgenommen 1908, als die Vertreter der Chakri-Dynastie noch beinahe allmächtig über das damalige Siam herrschten, hat sich auch in den späteren Zeiten der konstitutionellen Monarchie nichts an dem Umstand geändert, daß jegliche Kritik am Königshaus bei Strafe untersagt ist. 1932 wurde dieses Verbot gar in die Verfassung geschrieben und hat seither jegliche Grundgesetzänderungen überdauert, so tiefgreifend diese sonst im Einzelfall gewesen sein mögen.

Eines der jüngsten Opfer des umstrittenen Artikels 112 Strafgesetzbuch – oder zumindest der unverhohlenen Drohung damit – ist Somsak Jaemteerasakul. Im Dezember vergangenen Jahres hatte der Dozent für Geschichte an der renommierten Thammasat-Universität der Hauptstadt Bangkok ein Acht-Punkte-Paket mit Vorschlägen unterbreitet, wie die Institution der thailändischen Monarchie reformiert werden könnte. Das an sich völlig unverfängliche Diskussionspapier soll nun, knapp ein halbes Jahr später, als Beweisstück für einen angeblichen Fall von Majestätsbeleidigung herhalten. Offenbar warten bestimmte Stellen nur noch auf den passenden Zeitpunkt, in entsprechender Weise Anzeige gegen Somsak zu erstatten. Armeechef General Prayuth ­Cha­nocha hatte bereits in einem Interview im April von einem »Intellektuellen, der die Monarchie zerstören will«, gesprochen. Eine Äußerung, die ungeachtet fehlender Namensnennung ganz offensichtlich auf den Historiker gemünzt war.

Schon jetzt ist in diesem Fall eine besondere Solidarisierungswelle zu beobachten. Am Osterwochenende fanden sich etwa 500 Intellektuelle, Diplomaten, Medienvertreter und Sozialaktivisten an der Thammasat-Uni ein, um dem Bedrängten Rückendeckung zu geben. »Herr Somsak nimmt wie andere nur seine akademische Aufgabe wahr, den Platz für freies, demokratisches Denken zu verteidigen«, sagte Worachet Pakeerut, Professor für öffentliches Recht an der gleichen Hochschule und Mitglied der »Enlightened Jurists«, einer Gruppe kritischer Jura-Experten.

Somsak erhält per Telefon anonyme Drohungen. Viele werten das als gefährliches Zeichen dafür, daß unangenehme Stimmen durch Einschüchterungsversuche oder Schlimmeres zum Verstummen gebracht werden sollen. Unvergessen ist der Fall Giles Ji Ungpakorn: Der Politologe, ebenfalls von der Universität Thammasat, war 2009 vor einer drohenden Verhaftung ins Exil gegangen. Ähnlich wie dieser gehört Somsak zu den kritischen Intellektuellen, die unerschrocken gegen Tabus ankämpfen. Der Historiker war Mitglied der linken Studentenbewegung von 1976, deren Protest seinerzeit blutig niedergeschlagen wurde.

Einige der damaligen Aktivisten sind heute in der sogenannten Rothemdenbewegung aktiv. Während die Vereinigte Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) aber vor allem als ferngelenkte Massenorganisation in Solidarität mit dem im Exil lebenden Ex-Premier Thaksin Shinawatra wahrgenommen wird, gehen die kritischen Intellektuellen zum Teil über einfache Forderungen– wie die nach der Rückkehr des ehemaligen Premiers – hinaus und denken über die Neugestaltung der thailändischen Gesellschaft nach wahrhaft demokratischen Regeln nach. Gerade dies ist der herrschenden Elite ein Dorn im Auge. Der Name Thaksin mag ein Schreckgespenst sein, doch noch mehr fürchten einflußreiche Kreise in Bangkok jegliche Überlegungen zu einer tiefgreifenden Staatsreform.

»Auch ein König macht Fehler«

Der Straftatbestand Majestätsbeleidigung ist eine Waffe, zu deren Mißbrauch gerade Wahlkampfzeiten besonders einladen. Denn ob jemand die Institution der Monarchie in einer Äußerung diffamiert, dazu kann nicht etwa vom König und seinen Angehörigen selbst, sondern nur von anderen Personen Anzeige erstattet werden. Insbesondere Vertreter der Armeeführung – allen vorweg General Prayuth – haben sich neuerdings offenbar in zugespitzter Form zu Kreuzrittern des Herrschers aufgeschwungen. Zwar fällt den Streitkräften ohnehin die Verteidigung der Monarchie zu. Eine solche Hexenjagd wie aktuell hat es aber lange nicht gegeben. Nicht einmal Vertreter der Regierung, sondern Prayuth & Co. waren es auch, die Anzeigen wegen Majestätsbeleidigung gegen Jatuporn Prompan und weitere namhafte Anführer der UDD gestellt haben. Da Jatuporn, zudem Abgeordneter der oppositionellen Partei Puea Thai, und seine Kollegen nur auf Bewährung auf freiem Fuß sind, sind die Vorwürfe hier besonders effektiv. Bis zu zwei Dutzend Vertreter aus der Spitze der Bewegung könnten damit bis zum Beginn eines ordentlichen Gerichtsverfahrens zur Prüfung der zur Last gelegten Vergehen in Untersuchungshaft kommen.

Dabei hatte sogar der Monarch anläßlich seines Geburtstages einmal höchstselbst Kritik an seiner Person grundsätzlich für zulässig erklärt. »Auch ein König macht Fehler«, so die Einsicht von Bhumipol Adulyadej, und nur wenn andere ihn darauf hinwiesen, sei es ihm schließlich möglich, falsches Verhalten zu korrigieren. Bei allem, was man ihm sonst vorhalten mag, dürfte der greise Herrscher dies sogar ganz ehrlich gemeint haben. Der Straftatbestand bleibt aber bestehen; die Aufforderung zu konstruktiver Kritik wird insofern hinfällig, wenn unter Berufung auf das Staatsoberhaupt andere in inquisitorischer Weise jede Äußerung in dieser Hinsicht mit Macht unterdrücken.

Der König, laut Verfassung über der Politik stehend, ist so zur Projektionsfläche einer zugespitzten politischen Auseinandersetzung geworden. Seit Monaten ist er mit angegriffenem Gesundheitszustand im Krankenhaus. Und auch, wenn er Äußerungen seiner Tochter zufolge seine Staatsgeschäfte wahrnimmt und »täglich arbeitet«, fehlt eben seine wahrnehmbare Autorität. Wie lange der dienstälteste Monarch der Welt noch auf dem Thron sitzt, ist die große Frage. Sollte er demnächst sterben und der ungeliebte Kronprinz das Zepter übernehmen, wären dem Mißbrauch bestimmter Regularien durch reaktionäre Kreise erst recht Tür und Tor geöffnet.

Staatsstreich gegen Thaksin

Seit nunmehr fünf Jahren kommt Thailand, einst einer der Tigerstaaten Südostasiens, aus seiner Dauerkrise nicht heraus. Das Szenario begann mit den Massendemonstrationen gegen den damaligen Premier Thaksin zu Beginn von dessen zweiter Amtszeit. Der Multimilliardär, der sein enormes Vermögen vor allem im Zuge des Booms des Telekommunikationssektors angehäuft hatte, polarisierte schon damals die Gesellschaft: Ausgerechnet ehemalige Mitstreiter waren es, die sich an die Spitze der Gegenbewegung stellten, die im Frühjahr 2006 seine Absetzung forderte. Der Medienunternehmer Sondhi Limtongkul gehört bis heute zu den Anführern der sogenannten Gelbhemden der »Volksallianz für Demokratie« (PAD). Er und Thaksin hatten sich 2006 gegenseitig mit Anzeigen wegen Majestätsbeleidigung überzogen – der einschlägige Paragraph 112 ist als Instrument der Auseinandersetzung, um Kontrahenten kaltzustellen, alles andere als neu.

Es waren allerdings nicht die Demonstranten im Herzen der Hauptstadt, sondern das Militär, welches Thaksin schließlich entmachtete. Am 19. September 2006 nutzten Thailands höchstrangige Offiziere die Gelegenheit, daß der Premier zum UN-Gipfel in New York weilte, für einen unblutigen Putsch gegen den zwar umstrittenen, gleichwohl durch einen deutlichen Wahlsieg demokratisch legitimierten Regierungschef. Es war der damalige Chef der Landstreitkräfte, Sonthi Boonyaratglin, der den Coup anführte und seine Kollegen an der Spitze von Luftwaffe, Marine und Polizei sowie den Oberkommandierenden der gesamten Armee mit einbezog. Letzterer mag zwar sein Vorgesetzter sein – doch das Amt hat keine direkte Machtbasis, da mit ihm nicht der unmittelbare Zugriff auf einzelne Einheiten verbunden ist.

Das gilt auch heute: »Es wird keinen Putsch geben«, hatte der Oberkommandierende, Songkitti Jaggabatara, Anfang April bei einer Pressekonferenz verkündet, während der die Anführer der einzelnen Teilstreitkräfte sowie der thailändischen Polizei neben dem Oberkommandierenden standen. Armeechef Prayuth wirkte sogar etwas überrascht: Inwiefern Songkitti seine Aktion mit den anderen im Detail vorher abgestimmt hatte, darüber wird in Bangkok bis heute gerätselt. Allerdings war es das erste Dementi möglicher Putschpläne, das tatsächlich ernstgenommen wurde. Gerade Prayuth hatte zuvor schon mehrfach vor Reportern versichert, das Militär werde nicht erneut nach der Macht greifen – überzeugen konnte er damit nicht. Und noch immer ist die Gefahr nicht völlig gebannt: Rund um Ostern machten erneut Putschgerüchte die Runde.

Sie sind eines der Indizien, daß es um die politische Lage im Königreich auch derzeit nicht zum besten bestellt ist. Die bevorstehenden Wahlen finden auf alle Fälle noch immer in einer aufgeheizten Stimmung statt: Die beiden Lager stehen sich so unversöhnlich gegenüber wie eh und je in den vergangenen Jahren. Für die »Rothemden« sind gerade diese Wochen von besonderer Anspannung geprägt. Erstmalig jähren sich die dramatischen Ereignisse vom vergangenen Frühjahr, die 93 Menschen das Leben gekostet hatten. Dutzende weitere wurden verwundet, als die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften einmal mehr eskalierten. Die Zeit zwischen dem 10. April und dem 19. Mai 2010 wird einen bleibenden Platz in den thailändischen Geschichtsbüchern finden.

Nachdem sich die Proteste zunächst in der Gegend rund um das Demokratiemonument im Stadtteil Banglamphu in Sichtweite der vorwiegend bei Rucksacktouristen beliebten Khaosan Road konzentriert hatten, setzten sich die UDD-Aktivisten schließlich im größten Geschäftsviertel der Hauptstadt fest. Weit mehr als 1000 Rot­hemden verbarrikadierten sich in dem Block am Shoppingcenter Central World, das schließlich wie andere Einrichtungen am 19. Mai in Rauch und Flammen aufging, als die Armee auf Geheiß der Regierung das Protestlager gewaltsam räumte. Die meisten Toten und Verletzten der Zeitspanne waren an diesem Tag zu verzeichnen, auch der Sachschaden war beträchtlich. Aus Frust über das Vorgehen des Staates stürmten radikale Rothemden in etlichen Orten des Nordens und Nordostens des Landes Rathäuser und andere Objekte der Regierungsmacht.

Milliardär als Volksheld

Noch immer ist im Detail nicht aufgearbeitet, was sich da alles vor einem Jahr ereignete und vor allem, wer für die Gewaltexzesse verantwortlich zu machen ist. Während die Justiz gegen mehr als ein Dutzend Anführer der UDD Ermittlungen bis hin zum Terrorismusvorwurf aufgenommen hat, wurden die Befehlsketten zwischen offi­zieller Politik und Sicherheitskräften noch nicht unter die Lupe genommen. Dabei macht sogar das Ausland Druck: In Tokio wurde am Jahrestag gefordert, die Umstände des Todes von Hiroyuki Muramoto genau aufzuklären. Der japanische Kameramann, der für die Agentur Reuters arbeitete, war am 10.April 2010 erschossen worden – einer von zwei internationalen Journalisten, die bei den dramatischen Ereignissen ums Leben kamen.

Premierminister Abhisit Vejjajiva hat zu keinem Zeitpunkt die politisch-moralische Verantwortung für das blutige Finale der Proteste gegen seine Regierung übernommen, obwohl er seither immer wieder eine Versöhnung zwischen den verfeindeten Lagern angemahnt hat.

Versöhnlich zeigt sich derzeit auch sein Amtsvorgänger Thaksin – selbst der Expremier spricht von der Notwendigkeit, sich auf neuer Grundlage zusammenzufinden und das Kriegsbeil zu begraben. Seine Anhänger allerdings betonen, daß dies nicht ohne kritische Aufarbeitung der Geschehnisse erfolgen kann.

Thaksin – es gibt keinen Namen, der in Thailand mehr zu polarisieren vermag. Dabei lebt der vormals mächtigste Mann des Landes seit seinem Sturz 2006 mit kurzer Ausnahme an wechselnden Orten im Exil, pendelt zwischen London, Peking, der Golfregion und der Südsee, hat sich neben der montenegrinischen mindestens noch eine weitere Staatsangehörigkeit besorgt. Ein Gericht in seiner Heimat hat Thaksin zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er als Premier sein Amt mißbraucht habe, um seiner Frau zu einem lukrativen Grundstücksgeschäft zu verhelfen. Weitere Korruptionsvorwürfe gegen den Multimilliardär, dessen riesiges Vermögen zu einem guten Teil eingezogen wurde, sind anhängig.

Für Millionen Thais vor allem aus dem Norden sowie dem Isaan, dem Armenhaus im Nordosten, bleibt er ungeachtet aller juristischen Fragen aber eine Art Volksheld. Unvergessen sind populistische Programme seiner Amtszeit wie die Einführung einer Billigkrankenversicherung. Auch für die Sorgen der armen Bauern hatte er mehr Verständnis als andere Spitzenpolitiker. Jenseits seines enormen persönlichen Reichtums wird er als einer wahrgenommen, der eben nicht zur traditionellen wirtschaftlich-politischen Elite des Landes gehört. Das ist in der Tat nicht zu leugnen – der neureiche Thaksin war den meisten »Etablierten« seit seinem Aufstieg suspekt, auch wenn sich einige aus Gründen der persönlichen Karriere gern an ihn hefteten.

Rückkehrrecht und Straffreiheit für Thaksin– dafür streitet ein Großteil der »roten« Demonstranten. Noch vor einem Jahr war diese Fokussierung auf seine Person allerdings gegenüber allgemeineren Forderungen etwas in den Hintergrund getreten, doch inzwischen sorgt der Expremier selbst mit Nachdruck dafür, daß er wieder die Auseinandersetzungen dominiert. Höchstpersönlich nimmt er beispielsweise Einfluß, wen die oppositionelle Partei Puea Thai bei den bevorstehenden Wahlen ins Rennen schickt. Namhafte Mitglieder, die sich bereits große Chancen ausgerechnet hatten, wurden düpiert und seine jüngere Schwester Yingluck als Aspirantin für das Amt des Regierungschefs auf den Spitzenplatz der Kandidatenliste gehoben. Auch unter den weiteren Top Ten hat Thaksin seine Finger entsprechend im Spiel. Ein solch massiver Eingriff in den ohnehin nicht besonders basisdemokratischen parteiinternen Entscheidungsprozeß stößt selbst bei vielen Getreuen auf Kritik. Das zweifelhafte Procedere, Familienangehörige und engste Freunde in beste Ausgangspositionen zu hieven, ist nicht das beste Signal an die Öffentlichkeit. Stärker als jemals zuvor wird Puea Thai als Partei an der langen Leine des Expremiers präsentiert. Das mag einige Stimmen derer kosten, die zwar einerseits die jetzige Regierung gern in die Wüste schicken wollen, zugleich aber eine Distanz zu Thaksin pflegen. Und sogar der bisherige Parteichef ist dem ehemaligen Regierungschef abhanden gekommen. General a.D. Chavalit Yongchaiyudh, der selbst schon einmal das höchste Regierungsamt innehatte, trat zurück und aus der Puea Thai aus – für Thaksin der Verlust eines wichtigen langjährigen Weggefährten.

Unklarer Ausgang

Geht es nach Umfragewerten, könnte diese Wahl so spannend werden wie kein Urnengang in den vergangenen sechs Jahren. Die Demokraten, die die Mehrparteienkoalition unter Abhisit anführen, liegen mit der dominierenden Oppositionskraft bei jeweils etwa einem Drittel in der Wählergunst gleichauf. Während die DP im Süden ihre stärkste Bastion hat, kann sich Puea Thai wieder etlicher Wahlkreise in den nördlichen Provinzen sicher wähnen. Die Hauptstadt, sonst eher in der Hand der Demokraten, ist diesmal stärker umkämpft. Auf mindestens 260 bis 270 der 400 bei der Wahl direkt zu vergebenen Sitze (hinzu kommen 100 über Listen) und damit einen denkbaren Alleingang in der Regierungsbildung spekulieren beide große Parteien. Ein solch klares Signal in der einen oder anderen Richtung ist aber diesmal unwahrscheinlich. Die kleineren Gruppierungen, die sich gerade mit Übertritten und Zusammenschlüssen neu sortiert haben und rund um mächtige Provinzpolitiker gruppiert sind, dürften das Zünglein an der Waage bilden und den Sieger in eine Koalition nötigen.

Während einige prominente »Rote« auf vorderen Listenplätzen der Puea Thai zu finden sind und die UDD als außerparlamentarische Bewegung insgesamt die größte Oppositionspartei unterstützen wird, sieht es auf der Gegenseite ein wenig anders aus. Die Neue Politik Partei (NPP) hat sich gegen eine Wahlbeteiligung entschlossen – diese Stoßtruppe der radikalen Gelbhemden macht durch Boykott von sich reden. Die PAD wird nun versuchen, die DP unter Druck zu setzen, von jeglichen Versöhnungs- und Kompromißangeboten an das gegnerische Lager abzurücken. Die Radikalen, die sich in besonderer Weise auf den Schutz der Monarchie berufen, hatten 2008 das Regierungsviertel und beide Flughäfen der Hauptstadt besetzt. Was die Formen der Auseinandersetzung auf der Straße angeht, sind sie noch unberechenbarer als die UDD. Hardliner in der »Volksallianz für Demokratie« machen auch auf anderer Ebene der Regierung das Leben schwer – mit nationalistischen Äußerungen haben sie die nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Thailand und Kambodscha um den mittelalterlichen Tempel Preah Vihear, die Ostern erneut in Gefechten mit mehreren Toten eskalierten, weiter angeheizt. Sollte bei der Wahl Puea Thai eine Mehrheit erlangen, könnte dies erneut Massenaktionen der Gelbhemden auslösen.

* Thomas Berger arbeitet als freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Süd- und Südostasien.

Aus: junge Welt, 10. Mai 2011



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