Soldaten sollen Preah Vihear verlassen
Internationaler Gerichtshof appelliert im Tempelstreit an Thailand und Kambodscha
Von Thomas Berger *
In Südostasien wachsen die Hoffnungen auf eine Beruhigung im Grenzstreit zwischen Kambodscha
und Thailand. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat in einer vorläufigen
Entscheidung beide Staaten aufgerufen, ihre Truppen unverzüglich aus dem Gebiet um den Tempel
Preah Vihear abzuziehen.
Der zu Wochenbeginn verkündete Appell an die Konfliktparteien ist noch keine Entscheidung im
Hauptverfahren. Doch auch die Richter am IGH sind sich dessen bewusst, dass in der derzeitigen
Lage ein Funke genügt, um neue Gefechte auszulösen. Bei Scharmützeln zwischen Februar und
April kamen mindestens 28 Menschen ums Leben, Tausende Bewohner des Grenzgebiets
flüchteten aus ihren Heimatdörfern. Die derzeitige Ruhe ist trügerisch. Weder Thais noch Khmer
sind gewillt, angebliche Verletzungen des eigenen Hoheitsgebietes durch Vertreter der Gegenseite
hinzunehmen. Ein Rückzug der Truppen aus dem zur entmilitarisierten Zone erklärten Gebiet um die
Tempelruine, wie sie der IGH jetzt forderte, ist deshalb das Gebot der Stunde, um auf längere Sicht
eine einvernehmliche Regelung der widerstreitenden Gebietsansprüche zu erreichen.
Unwahrscheinlich ist, dass der Internationale Gerichtshof schon bald eine Entscheidung in der
Sache fällt. Das eigentliche Heiligtum, aus dem 11. Jahrhundert stammend und dem Hindu-Gott
Vishnu gewidmet, hatte er bereits 1962 Kambodscha zugesprochen. Allerdings betraf das nach
thailändischer Auffassung nur das Bauwerk selbst, das umliegende Gebiet war weiter umstritten,
weshalb Kambodscha den IGH um eine »Interpretation« seines Urteils von 1962 bat.
Als Kambodscha 2008 einen Vorstoß unternahm, Preah Vihear auf die Welterbeliste der UNESCO
setzen zu lassen, kam es nach langer Zeit relativer Ruhe zur ersten militärischen Konfrontation, der
weitere folgten. Jedes Mal war es schwieriger, die Streithähne zur Mäßigung zu bewegen. Auch
Indonesien, das derzeit den Vorsitz im Staatenbund ASEAN einnimmt, gelang es nicht, ein
Waffenstillstandsabkommen zwischen den Streithähnen – beide Mitglieder der ASEAN – zu
vermitteln.
Allerdings stehen die Vorzeichen mittlerweile etwas günstiger. Mit der in Bildung befindlichen neuen
Regierung in Bangkok verbinden sich in Phnom Penh gewisse Hoffnungen. Der ehemalige
thailändische Premier Thaksin Shinawatra, Bruder der Wahlsiegerin Yingluck Shinawatra, ist ein
Freund des kambodschanischen Regierungschefs Hun Sen, der ihn zeitweilig zu seinem
Wirtschaftsberater gemacht hatte.
Vor allem die sogenannten Gelbhemden der thailändischen Volksallianz für Demokratie (PAD)
hatten die Auseinandersetzung in der jüngsten Vergangenheit immer wieder angeheizt und sich
besonders vehement gegen jeglichen territorialen Kompromiss gestellt. Aus Sicht dieser Radikalen,
die gewisse Fürsprecher in der scheidenden Regierung sowie in hohen Militärkreisen haben, ist
Preah Vihear ein unveräußerlicher Teil Thailands. Bei der Zuspitzung des Konflikts im April geriet
selbst der um eine Lösung bemühte Außenminister in einen kaum zu verschleiernden Streit mit der
Armeeführung, die sich lange unnachgiebig in Sachen Waffenruhe zeigte. Die meisten dieser
Offiziere sind noch immer in Amt und Würden.
Beide Regierungen haben sich immerhin zunächst bereit gezeigt, den Haager Spruch zu befolgen.
* Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2011
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