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"Falscher Abklatsch" von Demokratie

Massendemonstration in Thailands Hauptstadt Bangkok fordert Rücktritt der Regierung

Von Mark Teufel, Bangkok *

Zehntausende Thailänder protestierten am Mittwoch (8. April) in Bangkok gegen die Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva, die sie als illegitim und demokratiefeindlich betrachten.

Es ist der 14. Tag eines Dauerprotestes gegen die Auswirkungen des Militärputsches von 2006 in Thailand. Eines Coups, in dessen Gefolge eine gewählte Regierung gestürzt und die Verfassung für ungültig erklärt wurde. Inzwischen sehen sich 220 Politiker mit Berufsverbot belegt, die Meinungsfreiheit ist drastisch eingeschränkt, die Schlüsselpositionen in Justiz und Militär wurden mit Vertretern einer antidemokratischen, monarchistischen Gesinnung besetzt, die Hälfte des Oberhauses, das die Gesetzgebung kontrolliert, wurde mit Vertrauensleuten des Militärs ausgestattet und neue Sicherheitsgesetze verleihen der Streitkräfteführung noch größere Macht.

Doch am Mittwoch (8. April) strömten sie aus dem ganzen Land nach Bangkok. Einige sprechen gegen Mittag von 60 000 Demonstranten, andere von 100 000, gegen 17 Uhr sind es 150 000, die Veranstalter rechnen bis zum Abend mit 200 000. So viele gab es in der Geschichte Thailands bisher nur drei Mal – und jedes Mal wurde die Demonstration blutig niedergeschlagen.

Aber diesmal sieht alles anders aus. Polizei und Demonstranten scheinen wie Freunde miteinander umzugehen. Denn der Widerstand gegen die Regierung hat inzwischen alle gesellschaftlichen Kreise erfasst, auch die Polizisten, die im vergangenen Jahr durch nationalistisch-monarchistische Demonstranten in gelben T-Shirts zu Prügelknaben gemacht worden waren.

Die derzeitige Regierung kam mit Hilfe der Armee und von Überläufern aus der vorherigen Regierungskoalition im Dezember 2008 an die Macht, nachdem eine Volksallianz für Demokratie (PAD) das Land monatelang in Chaos und Anarchie gestürzt hatte – mit personeller und logistischer Unterstützung von Militärs, Teilen des Großunternehmertums und der Monarchie. Statt für ihren mit Waffengewalt betriebenen Terror bestraft zu werden, wurden die PAD-Redner für ihre Hilfe belohnt. Einer der wichtigen Unterstützer der PAD wurde sogar Außenminister.

Diejenigen, die jetzt trotz etlicher Behinderungen in Bangkok demonstrieren, um zu verlangen, dass man ihnen ihre Rechte zurück gibt, werden von den derzeitigen Machthabern als »Anhänger des korrupten und verurteilten Expremiers Thaksin Shinawatra« beschrieben, obwohl die Bewegung längst über die Unterstützung Thaksins hinaus geht. Selbst einer der prominentesten Kritiker des 2006 gestürzten Regierungschefs, der linke Politikwissenschaftler Giles Ji Ungpakorn, der kürzlich aus Thailand fliehen musste, solidarisiert sich mit der Bewegung der so genannten Rothemden.

Sunai, ein freundlich lächelnder Mann, der noch unlängst erfolgreicher Creative Director war, hat als bekennender Demokrat seinen Job verloren und verkauft jetzt Broschüren und rote T-Shirts, um die Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) zu unterstützen. Auf die Frage nach den Zielen entgegnet er: »Echte Demokratie, nicht so ein falscher Abklatsch von Demokratie, wie er derzeit bei uns vorgeführt wird. Wir wollen die demokratische Verfassung von 1997 wieder haben, aber daran einige kleinere Dinge ändern, die 1997 von den Bürokraten eingebracht worden waren, zum Beispiel die Bestimmung, dass man einen Bachelor-Abschluss haben muss, um Parlamentsabgeordneter zu werden. Und wir wollen freie und faire Wahlen, ohne Einmischung durch irgendjemanden.«

Die schärfste Waffe der gegenwärtigen Machthaber Thailands ist die Institution der Monarchie. Der Putsch von 2006 wurde unter den Porträts von König und der Königin damit begründet, dass Thaksin Shinawatra angeblich eine Republik ausrufen wollte. Das ist mittlerweile als Lüge entlarvt. Als im vergangenen Jahr aus den PAD-Reihen auf unbewaffnete Gegendemonstranten geschossen wurde, hielt einer der PAD-Anhänger hinter dem Schützen das Bild von König Bhumibol Adulyadej hoch. Das symbolträchtige Foto ging um die Welt. Und nachdem die neue Regierung Ende 2008 durch einen »stillen Coup« an die Macht gekommen war, wurde die Verfolgung angeblicher Beleidiger der »geschätzten Institution« (der Monarchie) zur vordringlichen Aufgabe erklärt. Erst in der vergangenen Woche wurde ein 37-jähriger Familienvater wegen des Versendens zweier Bilder, die als Majestätsbeleidigung angesehen wurden, zu 20 Jahren Haft verurteilt. Nach einem Geständnis erließ man ihm 10 Jahre.

Bei der Demonstration am Mittwoch (8. April) traf ich Mr. Big. Seinen wahren Namen wollte er nicht nennen. Der 44-Jährige betreibt in Bangkok eine kleine Werkstatt zur Produktion von Maschinenteilen. Er arbeite für Dissidenten-Internetseiten, erzählt er. »Wir brauchen endliche wahre Demokratie. Wir fühlen diese Ungerechtigkeit. Da gibt es Leute, die das Land illegal kontrollieren.« Ein Zug von Demonstranten zog am Mittwoch zur Residenz des königlichen Beraters Prem Tinsulanonda, der als Drahtzieher des Coups von 2006 gilt. »Wir brauchen keine Berater wie Prem mehr«, sagte einer der Anführer. Auf die Frage, ob er denn auch die Monarchie abschaffen wolle, antwortete Mr. Big: »Nein, wir versuchen nicht so weit zu gehen. Wir können mit der Monarchie leben, auch wenn es nicht einfach ist.«

Die Demonstrationen sollen noch bis Sonntag (12. April) andauern. Zum größten thailändischen Fest, Songkran, dem thailändischen Neujahr, das auch die Regenzeit einleitet, sollen sie beendet werden. Regierungschef Abhisit Vejjajiva lehnt indes sowohl einen Rücktritt als auch Neuwahlen ab. Und wenn es nötig sei, werde die Regierung hart gegen die Demonstranten durchgreifen, warnte er.

* Aus: Neues Deutschland, 9. April 2009


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