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Thailands Armeechef zeigt Premier die Rote Karte

Militärs fordern Somchai im Fernsehinterview zum Rücktritt auf / Sechs-Parteien-Koalition bröckelt

Von Thomas Berger, Bangkok *

Nach der deutlichen Rücktrittsforderung von Thailands Armeechef Anupong Paochinda an Premierminister Somchai Wongsawat wegen des gewaltsamen Polizeieinsatzes am 7. Oktober bröckelt die Loyalität innerhalb der Sechs-Parteien-Koalition. Somchai erklärte am Freitag jedoch, sich dem wachsenden Druck auch aus der Armee nicht beugen und weiter im Amt bleiben zu wollen.

Bisher hatten die fünf kleineren Partner stets felsenfest zur Volksmacht-Partei (PPP) und ihrem Spitzenmann gehalten. Inzwischen aber schloss der Vizechef der Partei Chart Thai, mit 37 Abgeordneten wichtigster Bündnispartner der PPP, einen Rückzug nicht mehr aus, sollte die tonangebende Kraft in der Regierung den Worten des Armeechefs nicht Gehör schenken. Auch eine weitere Partei kündigte zumindest an, zum Ausstieg aus der Koalition bereit zu sein, wenn man sich allgemein darauf verständige.

Bereits zweimal hatte Armeechef Anupong Paochinda die Regierung aufgefordert, die volle Verantwortung für die Ereignisse am 7. Oktober zu übernehmen. Beim Tränengaseinsatz der Polizei gegen Demonstranten, die die Regierungserklärung im Parlament blockieren wollten, waren an jenem Tag zwei Menschen gestorben und über 400 verletzt worden.

Zwischen den Zeilen konnte jeder aus der Mahnung des Generals schon bisher den Rat an Premier Somchai lesen, sein Amt aufzugeben. Am Donnerstag sprach Anupong diesen Rat in einer Deutlichkeit aus, die keinen Zweifel mehr zuließ. Flankiert vom nationalen Polizeichef sowie den Kommandeuren von Luftwaffe und Seestreitkräften, sagte er im Fernsehen, dass eine Regierung, die für solches Blutvergießen verantwortlich sei, das Vertrauen der Bevölkerung verspielt habe. Das einstündige Interview mit den Vertretern der militärischen Führung wurde zur besten Sendezeit live übertragen. Von einer Art »Coup via TV« sprach die Zeitung »The Nation« am Freitag. Zwar seien keine Panzer gerollt, doch Anupong und die anderen hätten es geschafft, Somchais Regierung »bis ins Mark« zu erschüttern.

Der Premierminister wurde von dem Ereignis auch deshalb völlig überrascht, weil es bislang kein Zeichen von Illoyalität gegeben hatte, als er am selben Tag formell sein zweites Amt als Verteidigungsminister antrat und eine Ehrenformation abschritt.

Die Militärs, darunter auch Oberbefehlshaber General Songkitti Jakkabatra, dessen Amt in Thailand allerdings ein vorwiegend repräsentatives ist, schlossen zwar erneut einen Putsch nur zwei Jahre nach der vorangegangenen Machtergreifung der Militärs aus. Deutlicher als in dem Fernsehinterview hätten sie sich allerdings nicht von Somchai distanzieren können, der nun auf verlorenem Posten steht.

Der Druck von allen Seiten ist gewachsen. Die PPP ist wie zwei der kleineren Koalitionspartner nach wie vor von Zwangsauflösung bedroht, sollte das Gericht im Falle von Wahlfälschungsvorwürfen zu einem Schuldspruch kommen. Außerdem machen sich deutliche Risse im bisher so stabilen Gebälk der Partei bemerkbar, die als Nachfolgerin der aufgelösten Thai Rak Thai des im Londoner Exil sitzenden gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra fungiert.

Die »Bangkok Post« will erfahren haben, dass Thaksin bereits drei mögliche Kandidaten für die Nachfolge Somchais benannt habe, darunter Außenminister Sompong Amornvivat. Die Meldung könnte sich insofern als desaströs für Regierung und PPP erweisen, als sie illustrieren würde, dass es in der Tat noch immer Thaksin ist, der aus der Ferne die Fäden zieht. Genau dieses Marionettentheater werfen die Demonstranten der Volksallianz für Demokratie auf den Straßen seit Monaten den Machthabern in Bangkok vor.

Gegen den geflüchteten Expremier ist inzwischen ein sechster Haftbefehl erlassen worden, und das Gericht hat den Antrag angenommen, sein eingefrorenes Vermögen von 76 Milliarden Baht (knapp 1,7 Milliarden Euro) der Staatskasse zuzuleiten, da es auf unrechte Weise erworben wurde.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2008


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