Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Expremier unter Anklage

Thailand: Einstige Regierungsvertreter wegen Toten bei Unruhen 2010 vorgeladen

Von Thomas Berger *

Thailands Sonderermittlungsbehörde DSI hat formell Anklage gegen Expremier Abhisit Vejjajiva von der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) erhoben. Sowohl der ehemalige Regierungschef als auch Suthep Thaugsuban, der seinerzeit als sein Vize und Verantwortlicher für Sicherheitsfragen agierte, müssen am morgigen Mittwoch einer Vorladung Folge leisten. Die Behörde hat ihr Vorgehen mit Polizei und Staatsanwaltschaft abgestimmt – es erfolge nicht auf Druck seitens heutiger Regierungsvertreter, wie ein Sprecher solcherlei Vorwürfe aus oppositionellen Kreisen zurückwies.

Die beiden ehemaligen Spitzenpolitiker sollen sich wegen des ungeklärten Todes eines 44jährigen Taxifahrers in der Hauptstadt verantworten. Phan Khampong war am 14. Mai von Soldaten erschossen worden, die das Feuer auf einen verdächtigen Kleinbus in einer Sicherheitszone eröffnet hatten. Das Opfer war unmittelbar daneben als Fußgänger unterwegs und wurde von einer Kugel getroffen, die den Untersuchungen zufolge nur in Waffen vorkommt, wie sie das Militär verwendet. Daß die Sicherheitskräfte unmittelbar für Phans Tod verantwortlich sind, hatte der thailändische Strafgerichtshof bereits am 17. September dieses Jahres festgestellt. Laut geltender Gesetzgebung können sich die Schützen aber auf Befehlsnotstand berufen, ihnen droht deshalb keine Anklage. Dafür werden nun offenbar jene vor dem Kadi landen, die seinerzeit das harte Durchgreifen gegen die damalige außerparlamentarische Oppositionsbewegung, deren politischer Arm heute die Regierung stellt, angeordnet hatten.

Rot gegen Gelb, so lautet in der politischen Farbenlehre des südostasiatischen Landes seit mehr als einem halben Jahrzehnt die Frontstellung. Gelb, das sind die Angehörigen der traditionellen Elite, die durch besonders enge Bindung an die Monarchie gekennzeichnet ist. Rot hingegen ist die Farbe jener, die sich eher auf den im Exil lebenden Expremier Thaksin Shinawatra berufen, der im September 2006 beim unblutigen Militärputsch gestürzt wurde. Nicht alle in der »roten« Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) kämpfen allerdings zuvorderst für die amnestiegesicherte Rückkehr des schillerndsten und umstrittensten Politikers, den Thailand in jüngerer Zeit hervorgebracht hat. Die Bewegung vereint auch Fraktionen aus linken Intellektuellenkreisen, die einen umfassenden Neuanfang und gesellschaftlichen Umbau zum Ziel haben.

Im April und Mai 2010 hatte sich die Konfrontation so zugespitzt, daß es zur gewaltsamen Eskalation kam. Nachdem bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten der UDD und den Sicherheitskräften schon in den Wochen zuvor mehrere Menschen getötet worden waren, gab es allein über 90 Tote zu beklagen, als am 19. Mai die Armee auf Befehl der Politik das von den Oppositionellen besetzte Geschäftsviertel im Herzen der Hauptstadt stürmte.

Die aktuelle Anklage gegen den Expremier wird von DP-Politikern als Rachefeldzug von UDD und der heutigen Premierministerin Yingluck Shinawatra, eine jüngere Schwester Thaksins, bezeichnet. Die Situation für Abhisit und Suthep allerdings ist ernst, auch wenn ihnen am Mittwoch keine unmittelbare Verhaftung droht. Sie müssen lediglich bei der DSI erscheinen, wo sie offiziell Kenntnis von der Anklage erhalten, können danach wieder gehen.

Den Sonderermittlern Parteilichkeit vorzuwerfen, wie es die Getreuen der Angeklagten tun, greift allerdings zu kurz. Die Behörde hat auch 213 Anklagen gegen »Rothemden« der UDD auf den Weg gebracht. Besonders ernst sind 62 Fällen, in denen es um den Vorwurf des Terrorismus geht.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Dezember 2012


Zurück zur Thailand-Seite

Zurück zur Homepage