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Die Rendite aus dem Wasserhahn

Tansania: Weltbank setzt Wasserprivatisierung durch

Die Privatisierung öffentlicher Dienste setzt sich in den Entwicklungsländern immer mehr durch, woran die Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds einen erheblichen Anteil hat. Am Beispiel von Tansania erläuterte Gerhard Klas in der Schweizer Wochenzeitung WoZ die Mechanismen und Folgen dieser Entwicklung. Wir dokumentieren den Artikel gekürzt.


Von Gerhard Klas, Dar es Salaam

(...) Lowassa ist Minister für Wasser und Viehhaltung und war vor einiger Zeit in Washington, um dort mit der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und potenziellen InvestorInnen über die Vergabe eines zehnjährigen Leasingvertrags der Wasserversorgung in Dar es Salaam zu verhandeln. Damit hat er eine Auflage erfüllt, die der IWF an einen Teilschuldenerlass für die tansanische Regierung knüpft. Doch was bei der Wasserversorgung noch ansteht – Massenentlassungen und eine Preiserhöhung von mindestens dreissig Prozent –, hat in anderen Sektoren schon für erhebliche Unruhe gesorgt.

Zum Beispiel bei der Stromversorgung. Edgar Maokola-Majogo, Lowassas Kabinettskollege im Energieministerium, hat schlechte Erfahrungen mit den ArbeiterInnen des staatlichen Energieversorgungsunternehmens Tanesco gemacht. Transparenz, für die Weltbank und andere Institutionen integraler Bestandteil einer «guten Regierungsführung», hat sich im Falle von Tanesco für die tansanische Regierung nicht ausgezahlt. Als potenzielle KäuferInnen ankündigten, bei der Übernahme des Staatsbetriebs müsste die Hälfte der Belegschaft gehen, und als sich das Ministerium anschickte, die angesparten Pensionsfonds für die Abfindungen zu verplanen, platzte den Beschäftigten der Kragen. Einige von ihnen kündigten an, Generatoren, Leitungen und Umspannwerke zu zerstören, sollten die Pläne umgesetzt werden.

Zunächst schien der Minister einzulenken. Nun hat er die südafrikanische Firma Net Group Solutions damit beauftragt, das Tanesco-Management zu übernehmen. Weil das südafrikanische Unternehmen aber nach wie vor an den Massenentlassungen festhält, haben die Beschäftigten ihre Drohungen erneuert. «Ihr habt die Geduld der Regierung aufs Äusserste strapaziert, es reicht», echauffierte sich daraufhin Energieminister Maokola-Majogo. Die Regierung liess Sondereinsatzkommandos der Polizei an allen grösseren Knotenpunkten der Stromversorgung aufmarschieren. Kurzfristig wurde so eine Revolte verhindert, aber kein einziges Problem gelöst.

Für den Verkauf der staatlichen Betriebe zuständig ist die Reformkommission des Präsidenten (PSRC). Sie wird intensiv vom neoliberalen Adam Smith Institute aus Grossbritannien betreut und ist auskunftsfreudiger als der Wasserminister. Die Wasserversorgung sei einfach verheerend, beklagt der zuständige Sachbearbeiter Nshoya Magotti. Die Dar es Salaam Water and Sewerage Authority (Dawasa) verwaltet ein Versorgungsnetz von 824 Kilometern Länge und ein Abwasserkanalsystem von 170 Kilometern Länge – «viel zu wenig für eine Stadt dieser Grössenordnung». Ausserdem befinden sich die Leitungen in einem schlechten Zustand. Magotti schätzt die Tageskapazität an Leitungswasser auf 300 Millionen Liter. Allerdings versickere fast ein Drittel davon auf dem Weg zum Endverbraucher im Boden. Was letztlich in Dar es Salaam aus dem Wasserhahn läuft, muss vor dem Trinken noch abgekocht werden.

Laut Angaben der Weltbank haben knapp siebzig Prozent der schätzungsweise fünf Millionen EinwohnerInnen von Dar es Salaam «Zugang zu Leitungswasser». Doch die meisten von ihnen müssen täglich einige Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle zurücklegen, um ihren Tagesbedarf zu decken. Und so sieht man in der ganzen Stadt Frauen, die mit Wassereimern auf dem Kopf staubige Wege gehen. Ganz abhängig von Zulieferern sind jene BewohnerInnen Dar es Salaams, die vor kurzem in die Stadt gezogen sind und in Blech- und Holzhüttensiedlungen hausen. Nach offiziellen Angaben wächst die Bevölkerung der Millionenstadt jährlich um eine zweistellige Prozentzahl. In einigen dieser Siedlungen gibt es unter- oder oberirdische Wassertanks, die täglich von Lastwagen gefüllt werden. Das letzte Glied in der Lieferkette sind StrassenverkäuferInnen, die auf ihren Handwagen Zwanzig-Liter-Kanister feilbieten.

Verdoppelung der Preise

Ein privates Unternehmen soll nun dafür sorgen, dass sich die Situation verbessert. Ministerium und Reformkommission setzen auf den Sachverstand der Weltbank, deren Vertreter, ein Franzose, bei allen Verhandlungen mit am Tisch sitzt und das letzte Wort hat. Drei Unternehmen sind in die engere Auswahl gekommen: General des Eaux und Saur International aus Frankreich, die mittlerweile zusammen weltweit vierzig Prozent der privaten Wasserversorgungen kontrollieren, sowie ein britisch-deutsches Joint Venture, bestehend aus der Beratungsfirma Gauff Ingenieure und dem britischen Konzern Biwater.

Diese drei Bewerber haben Investitionen in den Grundversorgungsbereich zugesagt, aber auch eine Verteuerung des Wassers in Aussicht gestellt. Ein Eimer Wasser kostet heute zwanzig Tansanische Schilling, rund drei Rappen. Zunächst soll der Preis um ein Drittel und mittelfristig auf das Doppelte steigen.

Schon vor einer Entscheidung über die Bewerbungen und den Übernahmetermin haben nun Bauarbeiter begonnen, vor allem in den besseren Quartieren neue Wasserleitungen zu verlegen. Die Weltbank hat die Wasserbehörde Dawasa darauf verpflichtet, die Infrastruktur noch vor der Privatisierung zu verbessern; die potenziellen Investoren hatten diese Vorbedingung erhoben. Dawasa musste dafür einen Kredit in Höhe von zwanzig Millionen US-Dollar aufnehmen und ist allein dafür verantwortlich, dass diese Schulden an die Kreditgeber – Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank, Europäische Investitionsbank und Französische Entwicklungsbank – zurückbezahlt werden.

Halbierung der Belegschaft

Aber wie soll das gehen? Die Privatfirmen werden vor allem Zähler bei den EndverbraucherInnen anbringen, das Rechnungswesen betreiben und um eine «bessere Zahlungsmoral» besorgt sein. Weltbank und tansanische Regierung verlangen von dem Investor lediglich 2,5 Millionen US-Dollar Einstiegskapital und eine monatliche Mietgebühr von 50.000 Dollar. Dafür darf das Unternehmen siebzig Prozent der Endgebühren behalten. Ein Millionengeschäft: Bei einem Verbrauch von rund 300 Millionen Litern täglich und der angekündigten Preiserhöhung beläuft sich der monatliche Umsatz – den Wasserverlust eingerechnet – auf mehr als eine Million US-Dollar. Von dieser Summe bleiben dem Privatunternehmer rein rechnerisch etwa 700.000 US-Dollar abzüglich der Leitungsmiete und der Kosten für Messtechnik, Rechnungswesen und Löhne (umgerechnet 60 US-Dollar im Monat). Nach Angaben von Magotti sollen von den 1400 Dawasa-ArbeiterInnen nur 700 ihren Arbeitsplatz behalten. Somit dürfte der Reingewinn mindestens die Hälfte des Umsatzes betragen – eine halbe Million US-Dollar monatlich bei minimalen Vorleistungen.

Für neue Leitungen und die Wartung der bestehenden bleiben nur noch dreissig Prozent übrig, mit denen Dawasa auch noch die neuen Schulden abbezahlen soll. Dafür wissen die Privaten bereits, wie sie mit «zahlungsunwilligen» KonsumentInnen umgehen wollen. Gauff Ingenieure – sie haben schon in mehreren afrikanischen Ländern wie Kenia und Uganda Erfahrungen gesammelt – kündigen ein «konsequentes Vorgehen» an. Die «Zahlungsmoral» werde sich schon bessern, so Wolfgang Chalet, Leiter der Afrika-Abteilung bei Gauff Ingenieure, wenn man den Leuten «rigoros das Wasser abstellt».

Von wegen Transparenz

Auch bei der Wasserprivatisierung werde, versichert Regierungsmann Magotti, grösster Wert auf Bürgerbeteiligung und Transparenz gelegt. Julio Rutatina, Generalsekretär der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, hat davon wenig mitbekommen. Weder seine Gewerkschaft noch die Dawasa-Belegschaft seien über die anstehende Übernahme informiert worden, sagt er. «Die ganze Angelegenheit ist eine Geheimsache zwischen Regierung und Weltbank.» Aber selbst wenn sie davon gewusst hätten, hätten die «schwachen» Gewerkschaften, so der 57-jährige Gewerkschaftssekretär, kaum Widerstand gewagt. Rutatina zweifelt wie viele andere an den neoliberalen Politikkonzepten, aber sich der Regierungspartei entgegenzustellen, trauen sich die Organisationen nicht so recht. Von 1961, der Unabhängigkeit, bis 1995 regierte Chama Cha Mapinduzi (CCM) als Einheitspartei. Die CCM betrachtete die Gewerkschaften als Vorfeldorganisationen der Partei. Jetzt hat Tansania ein Mehrparteiensystem, aber die Wahlen gewinnt noch immer die CCM. Die ehemalige Einheitspartei hat zwar im Jahr 2000 die Rahmenbedingungen für die Gewerkschaften etwas gelockert und die Gründung unabhängiger Gewerkschaften zugelassen. Doch nach wie vor behält sich die Regierung das Recht vor, einer einmal zugelassenen Gewerkschaft die Genehmigung auch wieder zu entziehen.

«In Tansania haben wir keine Kultur der Militanz, deshalb können wir nicht streiken», sagt Rutatina. Die derzeitige Situation bereitet nicht nur GewerkschaftsvertreterInnen Kopfzerbrechen. Nach Lösungen sucht auch die Tanzania Coalition on Debt and Development, ein Bündnis zum Thema Schulden und Entwicklung. Die Koalition wird getragen vom Dachverband der nichtstaatlichen Organisationen, von der nach dem Begründer des afrikanischen Sozialismus benannten Julius-Nyerere-Stiftung, vom islamischen Dachverband Bakwata und von der evangelisch-lutherianischen Kirche. Die Koalition hält die Auslandsverschuldung für eines der grössten Probleme Tansanias und macht sie für den Einzug der neoliberalen Wirtschaftspolitik verantwortlich.

«Wir haben bereits viel mehr zurückbezahlt, als wir zurückbezahlen müssten», klagt Rebecca Muna. Die 29-jährige Volkswirtin arbeitet als vollamtliche Kraft für die tansanische Schuldenkoalition in Dar es Salaam und plädiert für eine hundertprozentige Streichung der Schulden – dies sei eine Voraussetzung, um überhaupt eine eigene Wirtschaft aufbauen zu können. IWF, Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO betreiben aber das Gegenteil und zwingen, so Muna, das hoch verschuldete Tansania, seine Märkte für Produkte und Investoren aus dem Ausland zu öffnen. (...)

Aus: Schweizer Wochenzeitung WoZ, 14. November 2002


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