Furcht vor neuem Bürgerkrieg in Tadshikistan
Tagelange Kämpfe im unwegsamen Gebiet Berg-Badachschan
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Selbst nach offizieller Darstellung
forderten die Kämpfe zwischen Regierungstruppen
und islamischer Opposition
in Chorog, der Hauptstadt
des zu Tadshikistan gehörenden Autonomen
Gebietes Berg-Badachschan,
bisher 42 Tote.
Einwohner Chorogs, die ihre Häuser
nicht verlassen dürfen, behaupten,
es habe auch zahlreiche
Opfer unter der Zivilbevölkerung
gegeben. Sie wollen neben
Schusswechseln auch Kanonendonner
und Kampfflugzeuge gehört
haben. Kenner der Region wie
Arkadi Dubnow, der für die Wochenzeitung
»Moskowskije nowosti
« arbeitet, fürchten eine neue
Runde des fünfjährigen tadshikischen
Bürgerkriegs, den 1997 ein
Friedensabkommen beendete.
Offizieller Anlass für den neuerlichen
Schlagabtausch war die
Ermordung des Geheimdienstchefs
der Region, Abdullo Nasarow,
am vergangenen Sonnabend: Den 56-jährigen General sollen
Grenzschützer umgebracht haben.
Die Siedlung Eschkaschim am
Grenzfluss Pjandsch, von der ein
Teil zu Afghanistan gehört, gilt als
Umschlagplatz für Drogen- und Edelsteinschmuggel.
Ermittler tippen bei dem Mord auf einen Interessenkonflikt rivalisierender Gruppen.
Aus Sicht Dubnows liegen die Ursachen tiefer.
Die unter UN-Ägide ausgehandelten Friedensabkommen,
die eine Beteiligung der islamischen
Opposition an der Regierung
und die Integration ihrer bewaffneten Einheiten
in die regulären Streitkräfte
Tadshikistans vorsahen, seien gescheitert.
Staatspräsident Emomali
Rachmon, den der Bürgerkrieg an
die Macht spülte, sei nicht bereit,
auch nur einen Zipfel davon aus
der Hand zu geben, seine zahlreiche
Sippe habe zudem die gesamte
Wirtschaft privatisiert.
Zwar gelang es Rachmon, den
Widerstand gegen seine Herrschaft
in anderen Regionen relativ schnell
zu brechen. Nicht so aber in Berg-
Badachschan. Dessen etwa
250 000 Bewohner, die in den Tälern
des Pamir unter Extrembedingungen
mühsam ihren Lebensunterhalt
fristen, sind wie die afghanischen
Paschtunen ethnische
Ostiraner, während die eigentlichen
Tadshiken zum Westzweig
der Völkerfamilie gehören und sich
zur Sunna bekennen. Die Pamiri
dagegen sind Ismailiten, Anhänger
einer Seitenrichtung des schiitischen
Islam.
Von der Zentralregierung ohnehin
nie vollständig kontrolliert,
war Berg-Badachschan im Bürgerkrieg
Zentrum des Widerstands.
Eng mit dem afghanischen
Paschtunenführer Gulbuddin
Hekmatyar vernetzt, wich die islamische
Opposition auf dessen
Herrschaftsgebiet aus, wenn es
brenzlig wurde. Nach Ende des
Bürgerkriegs wurde Berg-Badachschan
Rückzugsgebiet für den
radikalen Teil der Opposition, der
den Frieden nicht mittrug. In entlegenen
Bergdörfern wächst bereits
die zweite Generation heran,
die Konflikte allein mit Gewalt
auszutragen gelernt hat.
Den neuerlichen Ausbruch der
Spannungen erklärt Dubnow vor
allem mit den im nächsten Jahr
fälligen Präsidentenwahlen. Sollten
sich die Kämpfe tatsächlich zu
einem neuen Bürgerkrieg auswachsen,
hätte das aber auch katastrophale
Folgen für die Operation
der NATO in Afghanistan und
den 2014 geplanten Beginn des
Abzugs. Auch und gerade für
Deutschland, denn im afghanischen
Teil Badachschans sollte die
Bundeswehr für Sicherheit sorgen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. Juli 2012
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