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Kalter Krieg zwischen Moskau und Duschanbe

Russland weist nach Verurteilung zweier Piloten tadshikische Arbeitsmigranten aus

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Als »reinen Zufall« bezeichnete Präsident Dmitri Medwedjew die zeitliche Nähe der Verkündung des Urteils gegen zwei russische Piloten in Ta-dshikistan und der Massenabschiebungen tadshikischer Arbeitsmigranten aus dem Moskauer Umland. Das Urteil, so Medwedjew, werde sich jedoch auf die russisch-tadshikischen Beziehungen auswirken.

Zwei Maschinen einer russischen Fluggesellschaft, die in Afghanistan Hilfsgüter transportierte, hatten im März auf dem Rückflug nach Moskau wegen Treibstoffmangels in Tadshikistan landen müssen. Ein Gericht in der Hauptstadt Duschanbe verurteilte sie jetzt wegen unerlaubten Grenzübertritts und Schmuggels - eine der Maschinen hatte ein Ersatztriebwerk an Bord - zu achteinhalb Jahren Haft. Das russische Konsulat kümmerte sich allerdings erst um den Fall, als das Staatsfernsehen ihn an die große Glocke gehängt hatte.

Am Tag nach der Urteilsverkündung wurden im Moskauer Umland die ersten 100 tadshikischen Gastarbeiter in Abschiebehaft genommen. Weitere Ausweisungen sollen folgen. Begründung: illegale Einreise und fehlende Registrierung. Am Montag forderte Gennadi Onischtschenko, Russlands oberster Amtsarzt, ein generelles Beschäftigungsverbot für tadshikische Arbeitsmigranten in Russland. Viele würden an Aids, Tuberkulose und anderen gefährlichen Krankheiten leiden, erklärte Onischtschenko, der schon 2006 berühmt wurde, als er ein mit Qualitätsmängeln begründetes Einfuhrverbot für georgische und moldauische Weine verhängte. Beobachter vermuteten politische Hintergründe. Ebenso für die Massenausweisung georgischer Gastarbeiter nach einem Spionageskandal.

Die Maßnahmen trafen beide Staaten hart: Erlöse aus Agrarexporten nach Russland und Geldüberweisungen dort tätiger Gastarbeiter sind wichtige Posten in deren Haushalt. Noch härter trifft es jetzt das bitterarme Tadshikistan. Eine Million Tadshiken - fast jeder sechste - arbeitet in Russland, viele illegal, nicht versichert und lausig bezahlt. Sie und die beiden russischen Piloten sind allerdings nur Pfänder in einem großen geopolitischen Spiel. Mit dem harten Urteil will Tadshikistan Moskau vor allem eine höhere Pacht für russische Militärbasen abpressen. Das Stationierungsabkommen läuft 2012 aus, Moskau möchte es um weitere 49 Jahre verlängern. Allerdings haben auch die USA Interesse an den Basen signalisiert. Duschanbe versucht daher, beide Mächte gegeneinander auszuspielen. Moskau machte Tadshikistan jedoch schnell klar, wer dabei Hund und wer Schwanz ist, wie ein Experte formulierte.

Auch im Fall der Piloten sucht Duschanbe offenbar bereits nach Möglichkeiten für einen geordneten Rückzug ohne Gesichtsverlust. Kenner tippen auf baldige Auslieferung der Gefangenen an Russland zwecks Verbüßung ihrer Strafen im Heimatland. Dmitri Medwedjew dürfte sie dann umgehend begnadigen.

* Aus: neues deutschland, 15. November 2011


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