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Drei Kandidaten

Die Syrer stimmen mitten im Krieg über einen neuen Präsidenten ab

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Von wo kommen Sie, aus Europa?« Der Taxifahrer steckt die 200 Syrischen Pfund ein, die er für die kurze Fahrt vom Ommaijaden-Platz in Damaskus bis zum syrischen Informationsministerium kassiert hat. Während andere seiner Kollegen den Preis für ausländische Fahrgäste in diesen Tagen in schwindelnde Höhen schrauben, scheint diesen Mann etwas anderes zu beschäftigen. »Aus Deutschland kommen Sie? Dann will ich Ihnen mal etwas sagen. Hier haben wir das Medienzentrum in Damaskus, und Sie und Hunderte andere Journalisten sind frei, hierherzukommen und von hier zu berichten, aber Ihre Medien, was berichten die aus Syrien?!« Ohne Luft zu holen und ohne Punkt und Komma bringt der Mann seine Kritik an der Haltung Europas gegenüber Syrien vor: die Sanktionen, die Unterstützung für Leute, die anderen die Kehle durchschneiden oder sie köpfen. Dabei sei es Syrien, wo Menschen aller Religionen friedlich zusammengelebt hätten: »Sunniten, Schiiten, Alawiten, Ismaeliten, Christen – ich frage Sie, warum führt Ihre Regierung Krieg gegen uns?!«

»Jedes Land gestaltet seine Außenpolitik nach inneren Interessen«, sagt gelassen Anas, der im syrischen Fernsehen arbeitet und sich noch an die Ausbildungskurse erinnert, die die Deutsche Welle vor einigen Jahren für syrische Journalisten durchführte. »Damals wollten sie was von Syrien, und weil sie das nicht bekommen haben, haben sie ihre Politik geändert und schicken jetzt Kämpfer hierher.« Doch das werde sich wieder ändern, die Vereinbarung mit der syrischen Regierung über den Abtransport der chemischen Waffen zeige, daß Syrien nicht länger der Feind, sondern ein Partner geworden sei.

Das Zentrum von Damaskus ist über und über mit Transparenten und haushohen Bildern von Baschar Al-Assad behängt, vor öffentlichen Gebäuden sind Wimpel in den syrischen Nationalfarben Schwarz-Weiß-Rot gespannt. Der Jugendverband der Baath-Partei, Firmen und Geschäftsleute haben Transparente zur Unterstützung von Assad gestaltet, Flugblätter kleben an Laternenpfählen. Trotz der überwältigenden Werbung für Assad treten bei den heutigen Wahlen noch zwei weitere Kandidaten an. Es ist das erste Mal seit einem halben Jahrhundert, daß die Syrer sich bei Wahlen zwischen Kandidaten entscheiden können.

Der aus Aleppo stammende unabhängige Parlamentsabgeordnete Maher Abdel Hafis Hadschar ist ein früheres Mitglied der Kommunistischen Partei. Er kritisiert den Präsidenten vor allem für dessen mangelhaften Umgang mit den Protesten, die im Jahre 2011 gewaltfrei und aus ernsthaften Gründen begonnen hätten. Die Reaktion sei ein Fehler gewesen, nun müsse man aus den Erfahrungen die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts versickerten in Korruption und Vetternwirtschaft, so Hadschar. Sollte er Präsident werden, werde er dafür sorgen, daß diese 30 Prozent in soziale und wirtschaftliche Projekte zum Wohl der Bevölkerung fließen.

Der dritte Kandidat ist Hassan Al-Nuri, ein ehemaliger Minister sowohl unter Hafis als auch unter Baschar Al-Assad. Al-Nuri war Präsident der Damaszener Handelskammer, aber auch vielbeschäftigter Berater internationaler Universitäten und Konferenzen. Sollte er in einer zukünftigen Regierung eine Rolle spielen, könne er sich das am besten im Bereich des Wiederaufbaus von Syrien vorstellen, sagt Al-Nuri im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. 60 Milliarden US-Dollar werde der Wiederaufbau des Landes kosten, und damit der Regierung keine Fehler dabei unterliefen, wolle er dabei eine Rolle spielen. Vieles verbinde ihn mit dem amtierenden Präsidenten Baschar Al-Assad, doch dessen bisherige Wirtschaftspolitik – insbesondere die ungebremste Öffnung des Landes gegenüber der Türkei – sei eine Katastrophe gewesen. Viele lokale und nationale Firmen habe das in den Ruin getrieben.

Von den rund 23 Millionen Syrern sind nach Angaben des Innenministeriums 15845575 Personen wahlberechtigt. Landesweit stehen 9601 Wahlzentren mit 11776 Wahlurnen zur Verfügung. Wahlberechtigte können bei Vorlage ihres Personalausweises überall wählen, was vor allem für die rund 6,5 Millionen Inlandsvertriebenen wichtig ist. Bewaffnete Gruppen haben Angriffe auf Wähler angekündigt. In Flugblättern warnten sie die Bevölkerung, heute ihre Häuser nicht zu verlassen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Juni 2014


Sie setzten auf Gewalt, statt auf die Demonstranten zuzugehen

Der Geschäftsmann aus Damaskus: »Vielleicht gibt es einen guten zweiten oder dritten Platz für mich« **

Assad hat zwei Gegenkandidaten – die möglicherweise schon bald von ihm ins nächste Kabinett berufen werden.

Der »Wahlkampf« zu den Präsidentschaftswahlen in Syrien war kurz. Erst Mitte Mai war klar, wer von den 23 Bewerbern die von der Regierung verlangten Voraussetzungen erfüllte und das Rennen mitmachen durfte. Drei Kandidaten sind es nun insgesamt: neben dem amtierenden Präsidenten Baschar al-Assad sind der Abgeordnete Maher al-Hadschar und der Privatier Hassan al-Nuri angetreten. Es ist das erste Mal seit einem halben Jahrhundert, dass sich die Syrer zwischen mehreren Kandidaten entscheiden können.

Nuri ist ein Geschäftsmann aus Damaskus, war bereits zwei Mal Minister und Präsident der Handelskammer von Damaskus. Er zählt sich selber zur Opposition, wie er gegenüber »nd« am Sonntag in Damaskus erklärte. Er wisse zwar, dass er die Wahlen nicht gewinnen werde, aber »vielleicht gibt es einen guten zweiten oder dritten Platz für mich«. In den Medien und Diskussionsrunden unter Syrern wird vermutet, dass Nuri nach den Wahlen einen wichtigen Posten im nächsten Kabinett einnehmen könnte. Am Sieg von Assad zweifelt niemand.

Er stehe hinter Assad, weil dieser die Armee und die Verwaltung im Kampf gegen den Terror vereint habe, so Nuri. Doch habe Assad seine angekündigten Reformen zu zögerlich umgesetzt. Wirtschaftlich habe er große Fehler gemacht. Einer sei gewesen, dass Syrien sich der Türkei völlig geöffnet hatte, das habe zur Zerstörung ganzer Wirtschaftszweige in Syrien geführt. Nuri will die Mittelklasse stärken, er kündigte der Korruption den Kampf an und verspricht Transparenz. Für den Wiederaufbau in Syrien hat er 60 Milliarden Dollar angekündigt. Wichtig sei, syrische Investoren wieder ins Land zurückzubringen.

Hadschar ist ein unabhängiger Abgeordneter und war früher Mitglied der Kommunistischen Partei. In einem längeren Gespräch, das die Nachrichtenagentur SANA veröffentlichte, erklärte der aus Aleppo stammende Hadschar, Syrien brauche einen Präsidenten, der eine größere Mehrheit vertreten könne. Er wolle das sein. Der »Arabische Frühling « habe seine Berechtigung gehabt, die Menschen, die anfangs auf die Straße gegangen seien, »haben von niemandem Befehle erhalten«.

Ursache der Krise in den arabischen Staaten sei soziale Ungerechtigkeit gewesen, auf die die Regierungen, auch die syrische Führung nicht richtig reagiert hätten. Anstatt auf die Demonstranten zuzugehen, sei Gewalt eingesetzt worden. Reformen seien zu spät gekommen und zu wenig umgesetzt worden, schließlich seien die Volksbewegungen von interessierten Kreisen in den Golfstaaten »übernommen« worden.

Jetzt müsse man aus den Erfahrungen lernen und nach vorne schauen. Hadschar kritisierte die von der Türkei aus operierende Nationale Koalition, die das syrische Volk vertreten wolle, aber nicht einmal ein Programm vorgelegt habe. Hadschar tadelt die Regierung, weil sie ohne klare wirtschaftliche und politische Vision angetreten sei. Ausdrücklich ausgenommen davon werden von ihm das Außenministerium und die Armee. Den syrischen Medien warf er vor, die drei Kandidaten unterschiedlich ausführlich darzustellen.

Assad wirbt vor allem auf den überall zu findenden unzähligen Plakaten und Transparenten für seine Wiederwahl. »Zusammen« ist darauf zu lesen oder »Für die Rückkehr Syriens «. Assad appelliert an den Wunsch einer Mehrheit der Syrer für ein Ende des Krieges und den Wiederaufbau. Gleichzeitig wird er auf vielen Plakaten als starker militärischer Führer porträtiert und als den Opfern zugewandt, wenn er mit Kindern getöteter Soldaten gezeigt wird.

Auch über Facebook und Twitter läuft eine Werbekampagne für Assad. Im Zentrum der Hauptstadt schmücken gigantische Plakate ganze Häuserwände. Auf einigen ist zu lesen, dass sie von Firmen oder Betrieben oder »von den Bürgern Syriens « aufgehängt wurden. Auf einem Plakat nahe der Zentralbank steht: «Wir werden unsere Augen nicht schließen, bevor wir nicht Ja zu dem Augenarzt gesagt haben«. Assad ist ausgebildeter Augenarzt.

Karin Leukefeld, Damaskus

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juni 2014


Exilanten nicht zugelassen

Gewählt wird nur in zwei Fünfteln des Staatsgebiets

Das syrische Innenministerium behandelt die anstehende Präsidentenwahl wie einen normalen Wahlgang und fordert die 15,8 Millionen Wahlberechtigten auf, am Dienstag zwischen 7.00 Uhr und 19.00 Uhr (6.00 und 18.00 Uhr MESZ) ihre Stimme abzugeben. Gewählt werden kann aber nur in zwei Fünfteln des Staatsgebiets, ohne einen Kandidaten der Auslandsopposition und bei ungewisser Beteiligung der über neun Millionen Flüchtlinge im Ausland.

Für eine Kandidatur wurden hohe Hürden errichtet. Ausgeschlossen wurden alle Exilsyrer. Wer kandidieren wollte, brauchte zudem die Zustimmung von mindestens 35 Abgeordneten des syrischen Parlaments. Dieses Wahlverfahren ist aus Sicht der Opposition eine »Farce«.

Die 2,8 Millionen Flüchtlinge im Ausland waren von der Regierung in Damaskus aufgefordert worden, bereits eine Woche vor dem offiziellen Termin ihre Stimme abzugeben. Doch einige westliche Staaten, zum Beispiel Belgien, Deutschland und Frankreich verweigerten die Möglichkeit einer Stimmabgabe in ihren Ländern. In Schlussfolgerungen des EU-Rats von Mitte April hieß es, Präsidentschaftswahlen in einer Situation, in der Millionen Syrer aus ihren Häusern vertrieben seien, wären »eine Parodie der Demokratie « und daher »in keiner Weise glaubwürdig«. Die Vereinten Nationen und die arabischen Monarchien am Persischen Golf sowie im Nachbarland Jordanien hatten sich gegen die Wahl ausgesprochen.

Das betrifft aber nicht alle arabischen Länder. In der libanesischen Hauptstadt Beirut beispielsweise reihten sich Tausende in die Warteschlange vor der Botschaft. Dies wird als Unterstützung für Assads Kurs gewertet.

Nach Einschätzung des französischen Geographen Fabrice Balanche kontrollieren die Regierungstruppen derzeit rund 40 Prozent des Staatsgebiets – und damit die Heimat von rund 60 Prozent der Bevölkerung. Das Innenministerium in Damaskus erließ deshalb die Order, dass Wähler sich eines der über 9000 Wahllokale landesweit aussuchen können. Alle Binnenflüchtlinge sollten damit die Chance zur Stimmabgabe erhalten. Im Ausland haben es 200 000 Syrer trotz gegenteiliger administrativer Maßnahmen wie in Deutschland geschafft, sich in die Wählerlisten einzutragen. (nd, 3. Juni 2014)




Assads Hoffnung

Roland Etzel zu den Umständen der Wahl in Syrien ***

Als freie, geheime, gleiche Wahl kann das, was heute in Syrien stattfindet, nicht gelten. Krieg, Millionen Flüchtlinge und massive Restriktionen für Wahlbewerber wie Wähler. Was immer am Ende herauskommt – es ist nicht das Votum des syrischen Volkes. Da haben die Kritiker von Ankara bis Berlin recht. Allerdings wären viele von ihnen um einiges glaubwürdiger, bestünden sie auch in anderen Fällen auf jene Schärfe der von ihnen an Syrien angelegten Kriterien.

Zum Beispiel in Ägypten, wo vor einer Woche gewählt wurde – obwohl die Opposition die Gefängnisse füllt, einschließlich des seit einem Jahr ohne Anklage oder gar Urteil weggeschlossenen gewählten Präsidenten. Auch in Kairo gab es wie in Damaskus zahlreiche Ausschlusskriterien für Kandidaten wie Wähler. Doch gegenüber dem nun völlig allein regierenden ägyptische Ex- General lässt man demonstrative Milde walten.

Darauf darf Assad nicht hoffen, egal welches Wahlresultat er bekanntgeben lässt. Wenn er trotzdem hat wählen lassen, dann dürfte dennoch nicht royaleske Eitelkeit der Hauptgrund gewesen sein. Die Syrer sind gewiss mehr als kriegsmüde, aber er hat guten Grund zu der Annahme, dass gerade deshalb für ihn eine Art akklamative Zustimmung zustande kommt. Oder warum sonst verweigert man in Berlin eine mögliche Stimmabgabe für Assad?

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juni 2014 (Kommentar)


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