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Kriegspräsident

Obama plant Luftangriffe gegen syrische Ziele. Gegner könnten neben den Islamisten auch die Regierungstruppen sein

Von Knut Mellenthin *

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hat am Dienstag vor der geplanten Ausweitung der US-Luftangriffe auf Syrien gewarnt. Es gebe Gründe für die Annahme, daß diese Militärschläge sich nicht nur gegen die vom »Islamischen Staat« (IS) kontrollierten Gebiete richten würden, sondern auch gegen die syrischen Regierungstruppen. Eine solche Entwicklung würde zu einer gewaltigen Eskalation der Konflikte im Nahen Osten und in Nordafrika führen, sagte Lawrow.

Alle großen Medien der USA waren sich schon seit Montag einig, daß Barack Obama in seiner Fernsehrede am Mittwoch abend die Einbeziehung Syriens in die Bekämpfung des IS ankündigen werde. Entsprechende eindeutige Hinweise ergaben sich zum einen aus Interview-Äußerungen des Präsidenten, aber darüber hinaus auch aus Berichten von Kongreßmitgliedern, die am Dienstag in Obamas Pläne eingeweiht wurden.

Aus allen offiziellen Aussagen geht klar hervor, daß die USA ihre Luftangriffe gegen Ziele in Syrien nicht mit dessen Regierung beraten und koordinieren werden. Darüber hinaus wird Obama die Eröffnung des Luftkriegs gegen syrisches Territorium mit neuen Waffen-, Finanz- und Ausbildungshilfen an nicht genau definierte Rebellenkreise verbinden, die scheinheilig als »gemäßigte Opposition« bezeichnet werden. Dafür hatte der Präsident schon vor mehreren Monaten 500 Millionen Dollar – für diesen Zweck eine erstaunlich hohe Summe – beantragt. Über die Freigabe hat der Kongreß noch nicht entschieden, doch wird das jetzt wahrscheinlich im Eiltempo nachgeholt. Obamas offizielle Argumentation ist denkbar schlicht: Die Islamisten seien allein mit Luftangriffen nicht zu schlagen. Es müßten »Boots on the ground«, also Bodentruppen, hinzukommen. Das würden aber keine »amerikanischen Stiefel« sein, verspricht der Präsident seinen Untertanen, sondern syrische.

Aber welche syrischen Kräfte die USA jetzt als staatlich geprüfte Edelrebellen aufrüsten wollen, ist vorerst nicht zu erkennen. Über die bisher von Washington protegierte »Freie Syrische Armee« (FSA) äußerte Obama sich in einem Interview mit Thomas L. Friedman, das die New York Times am 8. August veröffentlichte, ausgesprochen desillusioniert und geradezu zynisch: Die Vorstellung, daß die Entwicklung anders verlaufen wäre, wenn die USA frühzeitig die »gemäßigten Rebellen« massiv bewaffnet hätten, sei »immer ein Phantasiegebilde« gewesen. Diese Opposition bestehe »im wesentlichen aus ehemaligen Ärzten, Bauern, Apothekern und dergleichen«. Es sei gegenwärtig schwierig, einen ausreichend großen Kader von »säkulären syrischen Rebellen« zu finden, auszubilden und auszurüsten. »Da gibt es nicht so viele Kapazitäten, wie man hoffen möchte.«

Obamas Skepsis wird durch Berichte unterstützt, die am Wochenende in der Washington Post und im britischen Guardian erschienen. Danach gehören zum Waffenarsenal des IS unter anderem in den USA hergestellte Handfeuerwaffen, chinesische Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen aus Kroatien. Das Kriegsmaterial war im vorigen Jahr in Absprache mit den USA von Saudi-Arabien an die FSA geliefert worden. Auf welche Weise die Waffen zum IS gelangten, ist nicht bekannt.

Die großen Medien der USA vermuten mehrheitlich, daß die Luftangriffe gegen Syrien nicht sofort beginnen werden, sondern erst in der zweiten Phase eines Dreistufenplans. Zunächst könnte der Versuch, die »gemäßigten Rebellen« neu zu formieren, ihr Waffenarsenal aufzufrischen und ihnen ein besseres Image zu geben, im Vordergrund stehen. Das Ziel ist, daß Gebiete in Syrien, aus denen sich der IS vielleicht künftig unter dem Druck US-amerikanischer Luftangriffe zurückziehen muß, nicht von Regierungstruppen, sondern von Rebellenkräften, die im Dienst der USA stehen, besetzt werden. Der nächste Schritt, nämlich der syrischen Regierung mit Luftangriffen zu drohen, falls sie ihre Truppen in die vom IS geräumten Gebiete vorrücken läßt, liegt auf der Hand.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 11. September 2014

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