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Zurück zur Normalität

Opposition in Syrien: Bevölkerung ist kriegsmüde. Lokale Waffenstillstände halten weitgehend, nationale Versöhnung ist aber in weiter Ferne

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Das Oberkommando der syrischen Streitkräfte hat Israel vor den Konsequenzen eines Eingreifens in der entmilitarisierten UN-Pufferzone auf dem Golan gewarnt. Die israelische Armee habe am frühen Mittwoch morgen vier Raketen auf den Ort Al-Hamidijeh und eine halbe Stunde später vier Panzergranaten auf den Ort Hurrijeh abgefeuert. Außerdem seien später noch Maschinengewehrsalven auf Al-Hamidijeh abgegeben worden. Nach Behördenangaben wurden bei den Angriffen elf Soldaten und Zivilisten verletzt. Bewohner verschiedener Ortschaften in der UN-Pufferzone berichteten, daß bewaffnete Gruppen sie vertrieben und Stellung in ihren Häusern bezogen hätten. Die UN-Beobachtermission registriert das Eindringen bewaffneter Gruppen in das Gebiet mindestens seit Ende 2012.

Außer in wenigen Vororten von Damaskus scheinen die lokalen Waffenstillstände zwischen lokalen Kampfverbänden der Aufständischen auf der einen und Armee und Geheimdienst Syriens auf der anderen Seite zu halten. Aus Dschobar werden weiter Mörsergranaten auf die Hauptstadt abgeschossen, die in den mehrheitlich von Christen bewohnten Vierteln Qassa, Bab Touma und Bab Sharki einschlagen. Gekämpft wird auch in einem Teil von Adra, wo sich weiterhin Kampfverbände der Nusra- und der Islamischen Front verschanzt halten. Am Mittwoch flog die syrische Luftwaffe erneut Angriffe auf deren Stellungen. Die Nusra-Front drang wiederum in das palästinensische Flüchtlingslager Jarmuk im Süden von Damaskus ein, wodurch UN-Hilfslieferungen vorerst eingestellt werden mußten.

Journalisten konnten sich derweil davon überzeugen, wie Anwohner des Vorortes Moadamija wieder nach Hause zurückkehrten. An einem der Kontrollpunkte war es am Mittwoch möglich, mit Einwohnern und Rückkehrern zu sprechen. Die meisten der Rückkehrer hatten den Ort eineinhalb Jahre lang nicht gesehen. Sie sei nach ihrer Flucht mehrmals umgezogen, erzählte eine junge Frau, die ihr Neugeborenes im Arm hielt. »Auch wenn unser Haus an vielen Stellen zerstört ist, wollen wir zurückkehren und es wieder aufbauen.« Ein zwölfjähriger Junge, der mit seiner Mutter und einer Tante nach Moadamija zurückkehrte, strahlte über das ganze Gesicht: »Ich bin so aufgeregt und könnte vor Freude wie ein Vogel fliegen.«

Skeptisch über die Entwicklung äußerte sich indes Louay Hussein, Präsident der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen«. Die Menschen seien erschöpft von den Kämpfen und wollten nur ihren Alltag wiederherstellen, sagte er gegenüber junge Welt. Die Waffenstillstände seien »weit entfernt von einer nationalen Versöhnung«, statt dessen nutze der Staat die Lage, um seine Macht zu festigen. Für die Opposition seien die Chancen gering, politische Forderungen einzubringen. »Der vor uns liegende Weg wird immer enger und unübersichtlicher«, sagte Hussein und kritisierte scharf den Kurs der EU. Die »meisten europäischen Staaten« hätten sich dem Druck der USA untergeordnet, nur Norwegen und Schweden suchten regelmäßig das Gespräch mit der Inlandsopposition. Die vom Westen unterstützte »Nationale Koalition« (Etilaf) sei eine Gruppe, die »hier in Syrien nicht über einen einzigen Quadratmeter Kontrolle ausübt«. Er bedauerte die Entscheidung des Diplomaten Mokhtar Lamani, sich von seinen Aufgaben in Damaskus vorerst befreien zu lassen. Der vorläufige Rückzug Lamanis’, der als Stellvertreter des Syrien-Sondervermittlers Lakhdar Brahimi seit zwei Jahren mit allen Seiten um einen politischen Prozeß gerungen hatte, war Anfang März bekanntgeworden.

Auch der ehemalige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, hat sich nach 30 Jahren aus dem diplomatischen Dienst zurückgezogen. Ford hatte sein Amt in Damaskus offiziell erst 2011 aufgenommen und sich nach Beginn der Proteste gegen Präsident Baschar Al-Assad offen auf die Seite der Demonstranten gestellt. Die syrische Regierung hatte ihm mehrfach »Einmischung in innere Angelegenheiten« vorgeworfen. Der US-Amerikaner gilt als Geburtshelfer und Architekt der syrischen Opposition im Ausland, die zunächst als »Syrischer Nationalrat«, später als Etilaf bekannt wurde. Ausgestattet mit weitreichenden Befugnissen des US-Außenministeriums, war Ford mit Diplomaten aus London und Paris an der Gründung der »Freien Syrien Armee« (FSA) und des dazugehörigen »Obersten Militärrats« beteiligt. Die Einbeziehung innersyrischer Opposi­tionsgruppen in die Genfer Gespräche hatte Ford blockiert. Seine Aufgaben bezüglich Syriens werden bis auf weiteres von Staatssekretär Lawrence Silverman übernommen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. März 2014


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