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Aufstand ohne Aussicht

Zu wenig Waffen und immer stärkere islamistische Verbände: Offiziere der "Freien Syrischen Armee" geben auf. Präsident Assad verkündet Amnestie

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Neun hochrangige Offiziere der »Freien Syrischen Armee«, die den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad mit Waffengewalt herbeizuführen sucht, haben am Samstag ihren Dienst quittiert. Sie entschuldigten sich bei den Kämpfern für ihren Rückzug, mit dem sie ihre »Verantwortung als befehlshabende Offiziere an der Front und im Hohen Militärrat« abgäben, hieß es in einer Stellungnahme, über die AFP berichtete. »Der Hohe Militärrat spielt keine Rolle mehr«, zitierte die französische Nachrichtenagentur Majorleutnant Mohammed Abboud, einen der neun aufständischen Militärs. Die Staaten, die Waffen lieferten, hätten den Militärrat »völlig übergangen« und nur bestimmte Gruppen unterstützt. Waffen – darunter auch Panzerabwehrraketen – werden von NATO-Ländern, insbesondere aber von den Golfstaaten an die Kampfverbände in Syrien geschickt. Er bedanke sich bei denen, die geholfen hätten, sagte Abboud, doch »es war wirklich unzureichend und einfach zu wenig, um den Kampf zu gewinnen«. Sie hätten sowohl gegen die syrische Armee als auch gegen die Gruppierung »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL bzw. ISIS) gekämpft, so Abboud. Dennoch seien sie zu wenig unterstützt worden. Zuletzt hatte der ehemalige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, in einem Beitrag für die New York Times mehr und explizit moderne Boden-Luft-Raketen für die »moderaten Rebellen« in Syrien gefordert (siehe Kasten).

Verschiedene Kampfverbände der Assad-Gegner hatten in den vergangenen Monaten in Homs, in den Kalamon-Bergen und im Umland von Damaskus erhebliche Niederlagen eingesteckt. Nicht zuletzt unter dem Druck der Bevölkerung hatten sie lokalen Waffenstillständen zugestimmt.

Der Vormarsch von ISIL im Nachbarland Irak wird breit in der syrischen Bevölkerung diskutiert. Joseph B., ein ehemaliger Touristenführer, geht davon aus, daß der »Islamische Staat« von Saudi-Arabien und der Türkei, mit Zustimmung der USA, der EU und Israels, aufgebaut wurde. Ziel der Truppe sei es, den Iran in einen regionalen Krieg gegen Saudi-Arabien zu ziehen und damit nachhaltig zu schwächen. Der Westen wolle »von seiner Niederlage in Syrien ablenken und im Irak nun die bekämpfen, die in Syrien unterstützt haben«. Riad S., ein pensionierter Agrarwissenschaftler, sieht als weiteren Partner von ISIL in dem bereits genannten Staatenbündnis die kurdische Regionalregierung von Masud Barsani. Dafür spreche die Einnahme von Kirkuk durch kurdische Peschmerga unmittelbar nach der Einnahme von Mossul durch ISIL. Seit langem haben die nordirakischen Kurden ihren Anspruch auf die Ölmetropole erklärt, was von der Zentralregierung in Bagdad stets zurückgewiesen wurde. Für Syrien sei die Entwicklung extrem gefährlich, da Bagdad die syrische Armee mit Aufklärung und vereinzelt auch mit Kampfverbänden (Milizen) unterstützt. Die Rechtsanwältin Louiza H. ist überzeugt, daß in den Reihen von ISIL ausgebildete Kämpfer und »Blackwater«-Söldner kämpfen. Die private Sicherheitsfirma hatte nach der US-Invasion 2003 in den Irak zentrale Aufklärungs-, Schutz- und Verteidigungsaufgaben übernommen und dabei viele Iraker getötet. »Blackwater« wurde 2009 in »Xe Services« umbe­nannt und fungiert seit 2011 unter dem Namen »Academi«. Söldner der US-Firma sollen auch in der Ukraine auf Seiten der Kiewer Truppen aktiv sein.

Der wiedergewählte Präsident Baschar Al-Assad hat derweil in Syrien eine umfassende Amnestie für Gefangene erlassen. Todesstrafen werden demnach in lebenslanges Arbeitslager verwandelt. Lebenslanges Arbeitslager wird auf 20 Jahre verkürzt, ebenso lebenslange Haft. Gefangene, die unheilbar erkrankt sind, werden freigelassen, ebenso Gefangene über 70. Ausländer, die nach Syrien gekommen sind, um sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen, profitieren von der Amnestie, wenn sie sich innerhalb eines Monats den Behörden stellen. Fahnenflüchtige Soldaten werden ebenfalls amnestiert, wenn sie zurückkehren. Die im Ausland operierende oppositionelle »Nationale Koalition« wies die Amnestie als »Falle« zurück und warnte davor, sich den syrischen Behörden zu stellen.

Der ehemalige Präsident der »Nationalen Koalition« und frühere Prediger der Ommayyaden-Moschee in Damaskus, Mouaz Al-Khatib, warf in der vergangenen Woche am Rande des »US-amerikanisch-islamischen Weltforums« in Doha (Katar) den regionalen Staaten vor, den Krieg in Syrien zu verlängern. Al-Khatib, der heute als unabhängiger Oppositioneller aktiv ist, forderte direkte Gespräche mit der syrischen Regierung. Verhandlungen seien »eine Frage des Prinzips, nicht der Taktik«, sagte er dem Internetportal Al-Monitor. »Wir sollten nicht auf internationale Konferenzen warten, die (…) den Syrern die Zeit stehlen und das Blutvergießen verlängern.«

* Aus: junge Welt, Montag, 16. Juni 2014

Mehr und bessere Waffen aus den USA

Der frühere US-Botschafter im Irak, Robert Ford, fordert mehr und bessere Waffen für »moderate Rebellen« in Syrien. Das berichtete die New York Times in ihrer Ausgabe vom 11. Juni 2014. Ford, der Regierungsgegner in Syrien nicht zuletzt durch seine Anwesenheit bei Protesten schon im Frühsommer 2011 zum Aufstand ermuntert hatte, zeigte sich im Verlauf des Konflikts zunehmend enttäuscht von der Vorgehensweise des Weißen Hauses. Seine damalige Vorgesetzte, Außenministerin Hillary Clinton, befürwortete – wie Robert Ford – die Bewaffnung der »Rebellen«, wie sie in ihrem soeben erschienen Buch »Entscheidungen« schreibt. Präsident Obama taktierte eher zurückhaltend.

Ford gilt als Schöpfer des »Syrischen Nationalrates« (SNR), der »Freien Syrischen Armee« (FSA), deren Oberkommando sowie des Nachfolgers des SNR, der »Nationalen Koalition«. Keines seiner Geschöpfe war in Syrien erfolgreich. Nach den Genfer Gesprächen quittierte der Spitzendiplomat im Februar den Dienst und ging zum Washingtoner Institut für Studien des Mittleren Ostens. »Die Freie Syrische Armee braucht militärische Hardware, Mörsergranaten und Raketen inbegriffen, um Flughäfen anzugreifen, um die Nachschubwege der Armee per Flugzeug unterbrechen zu können«, so Ford. Auch Boden-Luft-Raketen sollten geliefert werden, »vernünftige Schutzmaßnahmen vorausgesetzt«. Sollte das nicht geschehen, würde das »nur den Tag beschleunigen, an dem die US-Streitkräfte in Syrien gegen Al-Qaida eingreifen müssen«.

Die Nationale Sicherheitsberaterin in den USA, Susan Rice, hatte am 9. Juni die Vermutung bestätigt, daß Washington bewaffnete Gruppen in Syrien nicht nur humanitär und zu Verteidigungszwecken, sondern auch mit »tödlichen Waffen« unterstützt. Mit mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar helfe die Obama-Regierung »der moderaten, überprüften Opposition und leistet tödliche und nicht tödliche Unterstützung dort, wo wir sowohl die zivile als auch die militärische Opposition unterstützen können«, so Rice. (kl)



Krieg um Wasserressourcen

Von Karin Leukefeld, Damaskus **

Seit 50 Jahren hat es nicht mehr so wenig geregnet in Syrien wie im vergangenen Winter. Im vierten Kriegsjahr ist die Wasserversorgung in ohnehin umkämpften Gebieten zusammengebrochen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hatte im März und April in der Provinz Aleppo 900000 Menschen mit Wasser versorgt. Generatoren, Diesel und Pumpen wurden an Dorfgemeinschaften verteilt, damit sie aus den Brunnen wieder Wasser schöpfen können. Kämpfe um Dämme am Euphrat machen aus dem Krieg zum Sturz von Präsident Baschar Al-Assad einen um Ressourcen. Die Tanks auf den Dächern können vielerorts nicht mehr regelmäßig aus dem staatlichen Versorgungsnetz gefüllt werden, das wiederum aus den Quellen der Berge im Grenzgebiet zum Libanon und im Küstengebirge gespeist wird. Immer häufiger müssen die Syrer Wasser hinzukaufen. Da der Preis weiter staatlich subventioniert wird, kostet eine Tankfüllung – 1000 Liter – 700 Syrische Pfund, etwa 3,50 Euro.

Vor allem Kinder, Kranke und alte Menschen sind von dem Wassermangel betroffen. UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, warnte kürzlich vor einer neuen Fluchtwelle aus Syrien, dieses Mal aus Wassernot. Allerdings sind auch die Nachbarstaaten von der großen Dürre betroffen. Die Türkei hat – unter Verweis auf ausbleibenden Regen – die Durchlaufmenge des Euphrat an die südlichen Anrainerstaaten Syrien und Irak gedrosselt. Im Irak haben Kampfverbände der Gruppierung »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL) einen Damm bei Falludscha gesperrt, wodurch die Wasserversorgung im Zentral- und Südirak gefährdet ist. Die einzige Wasserquelle Jordaniens, der Jordan, wird regelmäßig von Israel »geplündert«. Wasserlieferungen Syriens an den südlichen Nachbarn bleiben infolge des Krieges aus, so daß u.a. Deutschland mit »Wasserprojekten« hilft, die Hunderttausende syrische Flüchtlinge in den Lagern versorgen sollen. Auch im Libanon, der aus seinen hohen Gebirgen mit Wasser normalerweise gut versorgt wird, muß in diesem Jahr gespart werden. Da der Winter kaum Schnee und nur wenig Regen brachte, ist Wasser auch hier knapp geworden.

UNICEF berichtet über steigende Spannungen zwischen syrischen Flüchtlingen und lokalen Gemeinden in der Bekaa-Ebene um die begrenzten Wasserressourcen. Mit dem Appell »Vor dem Austrocknen« will die Hilfsorganisation immer knapper werdende Geldressourcen in internationalen Kassen locker machen, um die Not für die Menschen zu lindern. Sollte nicht großzügig gespendet werden, sehe UNICEF sich »gezwungen, Projekte einzustellen oder zu reduzieren«, heißt es in einer Erklärung von Maria Calivis, der UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika. Kinder würden darunter besonders zu leiden haben, »die Gefahr von Krankheiten, die durch unreines Wasser übertragen werden, ist hoch«.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat sein Budget für Syrien dieser Tage auf umgerechnet 114 Millionen Euro erhöht. Seit 15 Jahren habe kein IKRK-Einsatz das Volumen des Einsatzes in Syrien erreicht, sagte Pressesprecher Ralf El Hage gegenüber jW in Damaskus. Die Versorgung mit Wasser gehört in Syrien zu den Schwerpunkten der Arbeit.

Die Europäische Kommission unterstützt seit 2010 Hilfsprogramme der Rote-Kreuz- bzw. Rote-Halbmond-Gesellschaften in Syrien über das humanitäre Programm ECHO (Europäisches Amt für humanitäre Hilfe). Die Rote-Kreuz-Organisationen Dänemarks, Deutschlands und Norwegens erhielten in der vergangenen Woche zum vierten Mal eine finanzielle Unterstützung in Höhe von fünf Millionen Euro für ihre Arbeit in Syrien, wo sie mit dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC) kooperieren. Das Geld soll unter anderem den Aufbau von 15 Gesundheitszentren in den Provinzen Syriens fördern, über die Hilfslieferungen schneller und direkter an die Menschen verteilt werden können.

Während die Europäische Kommission einerseits über internationale Hilfsorganisationen Millionen Euro an Hilfsgeldern nach Syrien und in die benachbarten Staaten für die vom Krieg betroffenen Menschen schickt, hat sie andererseits erneut die Wirtschaftssanktionen um ein weiteres Jahr verlängert. Bei der Sitzung der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf wies der syrische Arbeitsminister Hassan Hidschasi darauf hin, daß »die ungerechten Wirtschaftssanktionen westlicher Staaten« zur Schließung von Hunderten Handels- und Industriebetrieben in Syrien geführt hätten. Viele Menschen seien arbeitslos gemacht worden.

** Aus: junge Welt, Montag, 16. Juni 2014


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