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Gasfeld Schaar in Hand der Dschihadisten

Weiterer Vormarsch der Kalifats-Glaubenskämpfer in Syrien bedroht ethnische und religiöse Minderheiten

Von Karin Leukefeld *

Die syrische Regierungsarmee soll bei einer Großoffensive zur Rückeroberung eines Gasfelds in der westlichen Provinz Homs Berichten zufolge heftige Verluste durch »Kalifatsverbände« erlitten haben.

Nach einer Welle von Anschlägen in Bagdad und Drohungen gegen Christen und schiitische Muslime in Mossul, hat UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Kampfverbänden der Gruppe Islamischer Staat (IS) mögliche Kriegsverbrechen vorgeworfen. Die Vertreibung von Zivilisten oder von Teilen der Bevölkerung wegen ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft sei »ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, sagte der UN-Generalsekretär am Sonntag in Doha. Er verurteile »schärfstens die systematische Verfolgung von Minderheiten in Irak durch IS und mit diesem verbündete bewaffnete Gruppen«. In einem UN-Bericht werden IS Raub, Entführung, Vergewaltigung und Hinrichtungen vorgeworfen. Die Opfer waren vor allem Ärzte, staatliche Angestellte und Frauen. Als Religionsgruppe verfolgt würden Christen, Schiiten, Jesiden, Schabak und Turkmenen. Die Häuser von Christen und schiitischen Muslimen in Mossul sollen nach Berichten arabischer Medien mit dem Anfangsbuchstaben ihrer Religionsgruppe markiert worden sein. Gezielt werden die Gotteshäuser Andersgläubiger von IS zerstört.

Die Gruppe hatte die nordirakische Stadt Mossul am 10. Juni mit Unterstützung bewaffneter Einheiten westirakischer Stämme, der neu gegründeten Baath-Partei und ehemaligen irakischen Offizieren eingenommen. Diese irakischen Oppositionsgruppen bezeichneten den Einmarsch als »Volksaufstand gegen die Unterdrückung des Schiitenregimes in Bagdad«. Zu Beginn des Fastenmonats Ramadan Ende Juni war die Gründung eines »Islamischen Kalifats« verkündet worden. IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi, früher für Al Qaida in Afghanistan aktiv, ernannte sich selbst zum Kalifen.

Tausende Christen hatten am Wochenende Mossul verlassen, nachdem IS ihnen ein Ultimatum bis Samstagmittag gestellt hatte. Christen sollen ihrem Glauben abschwören und zum Islam konvertieren, war Berichten zufolge von den Minaretten der Moscheen in Mossul am Freitag verkündet worden. Sollten sie das nicht tun, müssten sie »Schutzgeld« zahlen. Verweigerten sie auch das, bleibe für sie »nichts anderes als das Schwert«. Innerhalb weniger Stunden flohen daraufhin die verbliebenen christlichen Familien aus der Stadt, bestätigte das Oberhaupt der Chaldäischen Kirche in Irak, Patriarch Louis Sako. Christen leben in Mossul und Umgebung seit dem 3. Jahrhundert.

In Syrien tötete IS nach eigenen Angaben mehr als 200 Arbeiter, Soldaten und Stammeskämpfer, als eine Gasförderanlage in der Provinz Homs erobert wurde. Erstmals griffen die syrischen Streitkräfte IS-Kämpfer direkt an, um das Gasfeld Schaar zu verteidigen. Dabei sollen auch Kampfjets eingesetzt worden sein. Die syrische Zeitung »Al Watan« berichtete am Sonntag unter Berufung auf syrische Militärkreise, dass 60 Soldaten getötet worden seien. Die »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« in London sprach dagegen von 270 Toten.

Die libanesische Zeitung »As-Safir« hatte kürzlich berichtet, dass IS mittlerweile das Gros der Erdgases und -öls im Landesosten kontrolliert. Bis zu 380 000 Barrel Öl (1 Barrel sind etwa 160 Liter) können dort pro Tag gefördert werden, die Kampfverbände verkaufen das Öl an türkische Händler. Pro 50 000 Barrel nehmen sie eine Million Dollar ein. Die EU, einst Hauptabnehmerin syrischen Öls, boykottiert dieses seit 2012. Im April 2013, wurde das Verbot insoweit aufgehoben, dass die oppositionelle Syrische Nationale Koalition Öl für sich verkaufen dürfe. Das ist nie geschehen, dafür finanziert sich IS mit dem geplünderten Öl. Russland hat in der UNO bisher erfolglos ein verbot der Hehlerei mit syrischem Öl über die Türkei verlangt. Die Dschihadisten hatten zuvor bereits die ölreiche Provinz Deir Essor zwischen Homs und der Grenze zu Irak unter ihre Kontrolle gebracht.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 22. Juli 2014


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