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Syrien-Resolution fiel durch

China und Russland verhinderten Verurteilung im UNO-Sicherheitsrat *

China und Russland haben im UNO-Sicherheitsrat eine Verurteilung Syriens gegen Demonstranten verhindert. Die beiden Vetomächte stimmten am Dienstag (4. Okt.) in New York gegen einen Resolutionsentwurf von Deutschland und drei weiteren EU-Staaten.

China und Russland haben mit ihrem Veto eine UN-Resolution gegen Syrien zu Fall gebracht und damit einen offenen Streit in den Vereinten Nationen ausgelöst. Die beiden Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat nutzten am Dienstagabend ihr Veto, um die Mehrheit für eine Resolution gegen die Regierung in Damaskus zu verhindern. In den anschließenden Stellungnahmen wurden tiefe Gräben zwischen den Diplomaten der westlichen und der östlichen Staaten sichtbar.

Syriens Sicherheitsapparat geht seit Monaten mit Gewalt gegen Oppositionelle vor, die den Rücktritt von Präsident Baschar al-Assad fordern. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen sollen dabei bisher etwa 2700 Personen getötet worden sein.

Vor allem Russland widersetzte sich vehement einer scharfen Resolution gegen Syrien. Russland unterhält einen wichtigen Militärstützpunkt in Syrien. Wegen der Vetodrohung war bereits im Frühjahr ein Resolutionsentwurf gescheitert, ein zweiter erheblich entschärft worden. Er verurteilt zwar die Gewalt, enthält aber keine Sanktionen. Selbst die Drohung mit Sanktionen wurde abgeschwächt auf eine Erwähnung »zielgerichteter Maßnahmen«.

Frankreich hat das jetzige chinesisch-russische Veto mit scharfen Worten kritisiert. »Das ist ein trauriger Tag für das syrische Volk. Das ist ein trauriger Tag für den Sicherheitsrat«, ließ Außenminister Alain Juppé am Mittwoch in Paris mitteilen. »Präsident Assad hat jede Legitimation verloren. Kein Veto ist ein Freibrief, die eigene Bevölkerung zu beschießen.« »Heute hat der Sicherheitsrat versagt in seiner Aufgabe nach der UN-Charta, internationalen Frieden und Sicherheit zu bewahren«, sagte der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig. »Wir haben deutliche Zugeständnisse gemacht. Wir sind tief enttäuscht, dass einige Ratsmitglieder nicht zu einem Kompromiss fähig waren. »Scharfe Worte kamen von US-Botschafterin Susan Rice: »Wir sind empört, dass dieser Rat es nicht geschafft hat, auf Assads Brutalität zu antworten«, sagte sie. »Heute haben zwei Mitglieder einen Entwurf verhindert, der weichgespült war und nicht einmal das Wort Sanktionen enthielt.« Jetzt wüssten die Syrer, welche Länder an ihrer Seite stehen.

Russlands UN-Botschafter Vitali Tschurkin kritisierte das Papier scharf als »entstanden in der Philosophie der Konfrontation«. Das dürfe dem Dialog in Syrien im Wege stehen. »Wir können nicht akzeptieren, dass mit Sanktionen gedroht wird.« Die Entwicklung in Syrien sei nicht allein in den Händen der Regierung. »Wenn die Gesetze von Herrn Assad nicht perfekt sind, sollten wir darüber reden. Aber Sanktionen sind der falsche Weg.« China und Russland wollten an einer eigenen, »ausgewogenen« Resolution arbeiten.

Chinas UN-Botschafter Li Baodong sagte, »die internationale Gemeinschaft sollte konstruktive Hilfe geben, aber ansonsten die inneren Angelegenheiten tolerieren«. Brasilien, Indien und Südafrika äußerten sich zurückhaltend gegenüber der Resolution. Sie enthielten sich ebenso wie Libanon.

Syriens Botschafter Baschar Dschaafari nannte die Opposition »bewaffnete terroristische Banden«, die vom Westen unterstützt würden. »Die Länder, die »zum Schutz der Menschenrechte« in mein Land einmarschieren wollen, unterstützten und hofierten terroristische Gruppen.

* Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011


Veto eingelegt

Rußland und China lehnen Sicherheitsratsresolution gegen Syrien wegen "einseitiger Schuldzuweisung" ab

Von Karin Leukefeld **


Im UN-Sicherheitsrat ist in der Nacht zu Mittwoch eine Resolution gegen Syrien gescheitert. Der von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Portugal erarbeitete Entwurf verurteilte die syrische Regierung »wegen anhaltender Gewalt gegen die Zivilbevölkerung«. Die Menschenrechtsverletzungen müßten umgehend gestoppt werden, so der Text weiter. Sollte das binnen eines Monats nicht geschehen, wurde mit nicht näher ausgeführten »besonderen Maßnahmen« gedroht.

Neun der 15 Sicherheitsratsmitglieder, neben den vier Autoren der Resolution auch Bosnien-Herzegowina, Kolumbien, Gabun, Nigeria und die USA, stimmten für den Entwurf. Brasilien, Indien, Libanon und Südafrika enthielten sich. Die Vetostaaten Rußland und China lehnten die Resolution ab. Legt einer der ständigen Vertreter (Rußland, China, Frankreich, Großbritannien, USA) im UN-Sicherheitsrat sein Veto ein, gilt eine Resolution als abgelehnt.

Der Entwurf basiere auf einer »Philosophie der Konfrontation«, sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin nach der Sitzung. »Wir können dieser einseitigen Schuldzuweisung gegen Damaskus nicht zustimmen«. Der Text richte sich »gegen das Prinzip einer friedlichen Beilegung der Krise«, die nur durch einen »syrischen nationalen Dialog« zu lösen sei. Die Mehrheit der Syrer wolle einen allmählichen politischen Wandel, keinen »Regimewechsel«. Der chinesische UN-Botschafter Li Baodong forderte die internationale Gemeinschaft auf, »konstruktive Unterstützung zu leisten«, damit Syrien sein Ziel eines umfassenden politischen Prozesses erreichen könne. »Das Prinzip der Nichteinmischung, wie es in der UN-Charta steht« müsse respektiert werden.

Die US-Gesandte Susan Rice warf Rußland vor, die Resolution abzulehnen, um weiter Waffen an Syrien liefern zu können. Tschurkin bezeichnete diese Äußerung von einem Staat, der die Region für Milliardenbeträge mit Waffen vollpumpe, als »amüsant«. Die Botschafter Frankreichs, Großbritan­niens und Deutschlands kündigten an, das Thema erneut im Sicherheitsrat einzubringen.

Der syrische Vertreter bei der UN, Baschar Dschafari, sagte, der Resolutionsentwurf habe die voreingenommene Ansicht einiger westlicher Staaten zum Ausdruck gebracht. Ihr Ziel sei es, die syrische Regierung zu Fall zu bringen. Die legitimen Forderungen und Hoffnungen der Syrer würden mißbraucht, so Dschafari.

Nach Einschätzung des UN-Koordinators für humanitäre Hilfe in Syrien droht immer stärker ein Bürgerkrieg, wenn sich die verschiedenen Seiten im Land nicht aufeinander zu bewegten. Man befinde sich in einer »Sackgasse«, sagte Ismail Ould Scheich Ahmed im Gespräch mit dem UN-Informationsdienst IRIN. Grund seien »exzessive Gewaltanwendung« der Regierung, die Weigerung von Teilen der Opposition zu verhandeln und die Zunahme von Gewalt in Homs und Umgebung. Gleichwohl sei die Gewalt nicht so weit verbreitet, wie es im Fernsehen scheine. Damaskus und Aleppo seien relativ ruhig, die Kämpfe konzentrierten sich auf bestimmte Gebiete. Die Zahl der Demonstranten werde »ziemlich übertrieben«, sagte Khair Al-Din Haseeb vom Zentrum für Studien der Arabischen Einheit in Beirut.

Das syrische Staatsfernsehen strahlte am Mittwoch (5. Okt.) das Interview mit einer jungen Frau aus, die nach Angaben von Aktivisten von Sicherheitskräften verstümmelt und enthauptet worden sein soll. Sie habe entschieden, sich zu äußern, nachdem sie aus dem Fernsehen von ihrer angeblichen Verhaftung und Tötung erfahren habe, erklärte Seinab Al-Husni. Sie habe im Juli, kurz vor Beginn des Ramadan, ihr Elternhaus in Homs verlassen, weil ihr Bruder sie mißhandelt hätte. Internationale Menschenrechtsgruppen und syrische Aktivisten hatten berichtet, die 18jährige sei die erste Frau, die seit Beginn der Proteste gegen Präsident Baschar Al-Assad in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen sei. Dementis wie dieses höre man selten, kommentierte ein Bewohner aus Damaskus: »Aber die Geschichte wird in den Köpfen bleiben, wie alle anderen Enten.«

** Aus: junge Welt, 6. Oktober 2011


Falsches Klagelied

Von Roland Etzel ***

Der Ärger mag echt gewesen sein, die geäußerte Überraschung war theatralisch. Deutschland und den anderen einbringenden NATO-Staaten war seit Wochen signalisiert worden, dass ihre gegen Syrien gerichtete Resolution in dieser Form chancenlos ist. Insofern war das vom deutschen Botschafter, noch tränenheischender von seiner US-Kollegin, dargebotene Klagelied vom Mitleid mit dem syrischen Volk nicht besonders überzeugend. Das behauptete Zugehen auf die östlichen Vetomächte hat es auch keineswegs gegeben, denn es wurde von den Eibringenden nicht eine einzige russische Anregung in den Resolutionsentwurf aufgenommen.

Wenn es dennoch etwas Unerwartetes gab, dann dass China direkt gegen die Resolution stimmte. Gewöhnlich pflegt Peking, wenn es nicht um seine ureigensten Angelegenheiten geht, sich der Stimme zu enthalten oder gar nicht am Votum teilzunehmen. Diesmal äußerte man sich eindeutig. Das hat gewiss damit zu tun, dass es sich bei Syrien um einen langjährigen Partner handelt. Noch mehr aber wohl mit den Erfahrungen aus den Folgen der eigenen Enthaltung bei der Libyen-Resolution vor einem halben Jahr. Assads massive Anwendung von Gewalt gegen das eigene Volk sieht man in Moskau wie in Brasilia oder Delhi sehr wohl, möchte aber nicht schon wieder ungewollt Beihilfe zu einem Regime-Wechsel nach westlichem Geschmack wie gegen Libyen leisten.

*** Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011 (Kommentar)


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