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Syrien bleibt im internationalen Fokus

Vorerst keine Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen das nahöstliche Land

Von Roland Etzel *

Der internationale Druck auf Syrien wächst, von der EU wie vom UN-Sicherheitsrat. Während Brüssel die Sanktionen gegen Damaskus noch weiter verschärfte, blieb die Syrien-Debatte am New Yorker East River im Stadium der Konsultation. In Berlin hat sich die LINKE in die Diskussion eingebracht. In Syrien selbst soll es am Montagabend weitere Übergriffe des Militärs auf Demonstranten mit vielen Todesopfern gegeben haben.

Der syrische Verteidigungsminister Ali Habib Mahmud darf nicht mehr in die EU einreisen. Sollte er dort Konten haben, sind sie nun eingefroren. Was die Europäische Union am Dienstag (2. Aug.) als Strafmaßnahme gegen Syrien verkündete, ist nicht sonderlich dramatisch, allerdings macht hier vor allem der Ton die Musik. Schon seit Jahren läuft ein nicht erklärter diplomatischer und Wirtschaftsboykott gegen Syrien, in Gang gekommen auf Druck der USA und Israels.

Begründet wurde die faktische Ächtung der Damaszener Regierung heute damit, dass diese »Gewalt gegen das eigene Volk« ausübe, wie es Kanzlerin Angela Merkel am Montag ausdrückte. Bis zu diesem Jahr war Syrien stets vorgeworfen worden, es zähle zu den »Unterstützern des internationalen Terrorismus«. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt. Tatsächlich verbirgt sich hinter der Stigmatisierung, die ihre Pentagonherkunft kaum verleugnen kann, vor allem der Unmut, dass Syrien weiter gute Beziehungen zu Iran pflegt und sich auch der US-amerikanischen Nahoststrategie bisher nicht unterzuordnen gedachte.

Völkerrechtlich abstrafen konnte man Syrien damit nicht. Aber die Karten an dieser Front werden gerade neu gemischt. Das komplizierte Kräftegleichgewicht, welches die Macht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bislang garantierte, ist ins Wanken geraten. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von verfehlter Wirtschaftsliberalisierung bis zu einem Wiedererstarken radikal-islamischer Kräfte im säkular geprägten Syrien.

Wenn Assad tatsächlich in dem Umfang schwere Waffen gegen die Muslim-Brüder einsetzen ließ, wie diese es behaupten, hat er nicht nur Verbrechen begangen oder geduldet, sondern dann dürfte er auch in den bisher loyalen Teilen der Bevölkerung erheblich an Rückhalt verloren haben. Das ist die eigentliche Gefährdung jener nahöstlichen Staatsordnung, die bislang am wenigsten religiös geprägt war. Sanktionen der UN, die, wenn sich die Massakervorwürfe erhärten, durchaus berechtigt sind, könnten den bereits schwer bedrängten Assad tatsächlich aus dem Amt kegeln.

Im Falle Ägyptens haben die US-Amerikaner ebenso wie Deutschland immer wieder vor einem »zu schnellen Abgang« des wankenden Präsident gewarnt, weil dies die für den Westen bisher nicht berechenbaren Muslim-Brüder an die Macht hieven könnte. In Syrien sind sie offenbar bereit, dies in Kauf zu nehmen. Hauptsache, der unbotmäßige Assad wird gestürzt.

Das deutsche Vorgehen – Berlin brachte mit Portugal den Antrag zu Syrien im Sicherheitsrat ein – erweckt einerseits den Eindruck einer Verbeugung gegenüber den Kritikern der Nichtteilnahme am Luftkrieg über Libyen. Andererseits schwadroniert Merkel noch nicht vom Sturz Assads wie die Amtskollegen in Paris und Rom.

Dennoch hat die LINKE recht, wenn sie die deutsche Syrien-Politik für ungenügend hält. Gerade Deutschland könnte, weitgehend unbelastet von kolonialer und neokolonialer Vergangenheit in der Region, zum Dialog zwischen der Regierung und einem Teil der Opposition beitragen. Es gibt nicht den geringsten Grund und schon gar keine moralische Rechtfertigung so zu tun, als müsse nun alles schicksalhaft auf eine Entscheidungsschlacht in Syrien hinauslaufen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2011


Propagandakrieg um Syrien

Deutschland will Resolution im UN-Sicherheitsrat. Wieder Tote in Hama **

Der UN-Sicherheitsrat hat sich am Montag (1. Aug.) besorgt über die eskalierende Gewalt in Syrien geäußert. Eine von Deutschland beantragte Dringlichkeitssitzung ging ohne die von der Bundesregierung gewünschten konkreten Ergebnisse zu Ende. Am Dienstag sollte deshalb ein überarbeiteter Resolutionsentwurf der westlichen Länder debattiert werden. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), erklärte, er hoffe, »daß sich auch China bewegt und kein Veto einlegt«.

In Indien, das am Montag (1. Aug.) den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen hat, erklärte der syrische Vizeaußenminister Faisal Mekdad bei einem Besuch in Neu-Delhi gegenüber dem Fernsehsender NewsX TV, er habe die indische Regierung vor »vorgefertigten Fehlinformationen« und der »Propagandamaschinerie« gegen Syrien gewarnt. Offenbar als Antwort auf die von westlichen TV-Stationen verbreiteten Videos unbekannter Herkunft, die die Repression der syrischen Sicherheitskräfte zeigen sollen, strahlte das Staatsfernsehen in Damaskus am Montag abend Aufnahmen aus, auf denen bewaffnete Rebellen dabei zu sehen sein sollen, wie sie in der Stadt Hama die verstümmelten Körper von Armeeangehörigen in den Fluß Orontes werfen.

Die EU verschärfte ihre Sanktionen gegen Syrien und belegte nun auch Verteidigungsminister Ali Habib Mahmud sowie einen Onkel von Staatschef Baschar El-Assad mit einem Einreiseverbot und Kontosperren. Damit stehen neben Assad selbst nun weitere 34 Personen auf der Sanktionsliste.

Unterdessen gehen die gewaltsamen Auseinandersetzungen in dem arabischen Land weiter. Am Montag abend (1. Aug.) wurde nach Angaben von Regierungsgegnern ein Wohnviertel in der Stadt Hama von Panzern beschossen. Wie der Chef der in London ansässigen »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, Rami Abdel Rahman, am Dienstag sagte, sollen am ersten Tag des islamischen Fastenmonats Ramadan in ganz Syrien mindestens 24 Menschen getötet worden sein. Zehn von ihnen seien nach dem Gebet am Abend von Sicherheitskräften erschossen worden. Die syrische Opposition hatte für den Ramadan tägliche Demonstrationen angekündigt. Die staatliche Presseagentur SANA berichtete von acht getöteten Sicherheitskräften in Hama, die am Dienstag nach Damaskus überführt worden seien.
(AFP/SANA/jW)

** Aus: junge Welt, 3. August 2011


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