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Abseits des Geschützdonners

Um Swaida an der äußersten Südspitze Syriens hat der Krieg bisher einen Bogen gemacht

Von Karin Leukefeld, Swaida, Damaskus *

Swaida ist eine andere Welt in Syrien. Wer in den letzten Wochen Aleppo, Homs oder das Umland von Damaskus gesehen und den andauernden Geschützdonner gehört hat, reibt sich angesichts der Idylle die Augen. Parks und Gärten sind grün und blühen, auf den Feldern wird die Spreu vom Weizen getrennt, Bauern ernten und in der Provinzhauptstadt Swaida mit etwa 60 000 Einwohnern geht das Leben einen gemächlichen Gang.

Drusen, mit weißen Schals auf dem Kopf und in ihre typische schwarze Tracht gekleidet, transportieren Güter oder Personen auf alten Motorrädern. An einer Ampel reicht ein Taxifahrer einem Verkehrspolizisten süßes Brot durch das Fenster. Drusen und Christen, die in Swaida die Mehrheit bilden, fasten im gegenwärtig laufenden Ramadan nicht wie die Muslime .

Auffällig sind Dutzende Transitlastwagen mit ausländischen Kennzeichen, die vor dem Stadteingang warten. Die Fahrzeuge kommen aus Polen, Rumänien, Libanon, Syrien, Irak, Kuwait und Saudi-Arabien. Containerfahrzeuge sind verplombt, andere Transporter haben ihre Fracht unter schweren Planen fest verschnürt. Normalerweise führen die Laster über die Autobahn von Damaskus nach Amman, erzählt Khalid, ein Taxifahrer. Vielen Transportunternehmen sei diese Strecke jedoch zu riskant, denn sie führt durch die Provinz Deraa, die von immer wieder aufflammenden Kämpfen erschüttert wird.

Also weichen sie auf die Fernstraße durch Swaida aus. Von hier werden die Fahrzeuge von Zollbeamten begleitet, die mit ihnen die letzten Kilometer zu einem kleinen Grenzübergang nach Jordanien fahren. Dann gehe es weiter zur Autobahn, die Amman mit Bagdad verbindet, sagt Khalid. Dort könnten sie ihre ursprüngliche Fahrtroute fortsetzen. »Der Handel findet immer einen Weg«, meint er. »Im Krieg kann man noch mehr verdienen.«

An den Kontrollpunkten rund um die Stadt kontrollieren Militärs und örtliche Milizen Fahrzeug für Fahrzeug. Ein Stützpunkt ist sorgfältig mit Blättern und Zweigen getarnt. An einem hoch aufragenden Gerüst hängt ein Bild von Präsident Baschar al-Assad. Daneben blickt Sultan Pascha Atrasch würdevoll auf die Passanten herab. In der Bevölkerung wird der Drusenführer bis heute hoch verehrt, der 1925-27 die Revolte gegen die französische Mandatsmacht anführte, die Große Syrische Revolution. Es gelang damals nicht, die Franzosen aus dem Land zu jagen, die endete nach weiteren Kriegen erst 1946. Doch Atrasch steht als syrischer Nationalist bis heute in hoem Ansehen. Tausende Drusen wurden damals getötet, Atrasch wurde nach Jordanien verbannt.

Wo syrische Drusen leben, hat sich der jüngste Aufstand nicht zu einem von außen angeheizten Abnutzungskrieg entwickelt. Nicht, dass die Drusen mit allem einverstanden seien, was seitens der Regierung unternommen wird, erklärt ein junger Druse, der sich in der Opposition engagiert. Das aber, was vom Ausland unterstützt als »syrische Revolution« bezeichnet werde, sei weit von dem entfernt, wie man sich die syrische Zukunft vorstelle. Der junge Mann betätigt sich in zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich in Seminaren und Workshops auf die Zukunft vorbereiten und hilft unspektakulär Inlandsvertriebenen. Die Drusen seien vom Westen und von Israel häufig umworben worden, um sich von den Arabern in Libanon oder Syrien abzugrenzen, erzählt er. Ein Plan vor vielen Jahren war, die Drusen in Syrien als Puffer zwischen der Regierung in Damaskus und Israel zu instrumentalisieren. Nie werde man sich auf so ein Planspiel einlassen, sagt er. »Wir haben unsere Lektion in der französischen Mandatszeit gelernt.«

Unweit der Grenze zwischen den südlichen syrischen Provinzen Swaida und Deraa wohnt Familie S. Schon am frühen Morgen steht der pensionierte Ingenieur mit dem Fernglas auf dem Dach und sucht den südwestlichen Horizont ab. Sein Nachbar hatte ihn am Abend auf Truppenbewegungen aufmerksam gemacht, doch in den Morgenstunden ist nichts mehr zu sehen. Langsam steigt die Sommerhitze aus den Feldern empor, der morgendliche Vogelgesang weicht dem endlosen Zirpen der Grillen. Ein großer Deckenventilator dreht emsig seine Runden über der überdachten Veranda, auf der sich im Sommer das Familienleben abspielt.

Wann immer sie in der Familie oder mit Freunden zusammensitzen, kommt das Gespräch auf die politische und militärische Lage in Syrien. Niemals würden die Drusen die Waffen gegen die eigene syrische Bevölkerung, gegen die Armee oder den Staat erheben, sagt Herr S. Doch er hoffe, dass die jetzige Führung in Damaskus zukünftig von einer demokratisch gewählten Regierung abgelöst werde. Das Land müsse von Al Qaida befreit werden, der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete habe oberste Priorität.

»Wir hören viel aus den Medien, aber wir wissen nicht viel«, sagt Herr S. nachdenklich. »Und die Waffenschmuggler machen ihre Geschäfte.«

Seine Frau hält einen Waffenstillstand für das Wichtigste. Gerechtigkeit müsse hergestellt werden, eine politische Veränderung in Syrien brauche »ein langfristiges Konzept«, sagt sie. Ein von der UNO überwachtes Referendum wünsche sie sich, »das Ausland kann gern beratend tätig sein, wenn wir es darum bitten. Aber wir wollen keine Einmischung.«

Eine junge Nachbarin wünscht sich vor allem »Frieden und Freundschaft« unter den Menschen. Bildung steht für die Lehrerin an erster Stelle »und die Trennung von Staat und Religion. Wir sehen, wie die Religion jetzt instrumentalisiert wird.«

Bei der Rückfahrt nach Damaskus am späten Nachmittag sitzen die Reisenden müde und erschöpft im Bus, der alle Stunde zwischen der Hauptstadt und Swaida pendelt. Die Landschaft fliegt vorbei, die karge Ebene ist in samtenes Rot der sich senkenden Sonne getaucht.

Je näher der Bus Damaskus kommt, desto häufiger wird er an militärischen Kontrollpunkten aufgehalten. An einem springt ein junger Mann mit einer Tüte aus dem Bus und läuft zu den Zelten der Soldaten hinüber, die dort wohl hinter Büschen und aufgehäuften Sandbergen lagern. Vermutlich liefert er persönliche Dinge oder Nachrichten für Verwandte ab. Andere Reisende nutzen den kurzen Stopp für eine Zigarettenpause. Hirten treiben Schaf- und Ziegenherden die Straße entlang, der kräftige Abendwind wirbelt roten Sand und unzählige Plastiktüten durch die Luft. Wie ein Scherenschnitt steht ein Esel in stoischer Ruhe dort, wo einst Gras gewesen sein muss.

Als die Fahrt weiter geht, kommt dem Bus ein Motorrad auf der falschen Spur entgegen, das jedem Oldtimer-Museum alle Ehre gemacht hätte. Das Fahrzeug wird von einem Knirps gesteuert, vier Mädchen und eine ältere Frau haben es sich auf den Sitzen »bequem« gemacht.

Bald sind die Außenbezirke von Damaskus erreicht, wo die Spuren von Kämpfen deutlich zu sehen sind. Hochspannungsmasten liegen am Boden, ein dickes Kabel ist provisorisch verlegt. In den vergangenen vier Wochen haben die Aufständischen zwei Mal zentrale Umspannwerke im Umland von Damaskus zerstört, mehr als zwei Tage waren die Menschen in der Hauptstadt, ihrem Umland, in Swaida und Deraa ohne Strom. Kein Licht, keine Klimaanlage, kein Aufzug funktionierte. Kühlschränke und Kühltruhen tauten ab, Familien verloren viele Lebensmittel, die sie eingelagert hatten. Die Sympathien für die Aufständischen waren bei den Bewohnern der Städte von Anfang an gering. Sie sinken wohl auch bei heimlichen Unterstützern mit jedem Anschlag und jedem Tag.

Bei der Abfahrt von der Flughafenautobahn in den Vorort Jaramana blicken die Reisenden stumm aus den Fenstern. Westlich der Straße liegt Qazzaz, ein Vorort, in dem monatelang gekämpft wurde. Jetzt liegen die Häuserfronten verlassen. Verbrannte Fensterrahmen, Löcher klaffen in den Wänden, manche Häuser sind von der Wucht der Geschosse in sich zusammengesunken.

Keine Menschenseele zu sehen, in der Abenddämmerung wirkt die Szene gespenstisch. Rasch steigen die Fahrgäste in Jaramana aus, dann dreht der Bus und fährt über die Umgehungsautobahn zur Endhaltestelle nach Sumariya. Südlich der Ringstraße sind weitere Zerstörungen zu sehen. Doch anders als in Qazzaz leben die Menschen neben und hinter den Ruinen.

Vor einer zerstörten Häuserfront tummeln sich Familien mit Kindern in einer sattgrünen Parkanlage. In einem Gebäude neben einem zusammengebrochenen Haus putzt eine Frau die Fenster. Das Minarett einer Moschee dahinter erstrahlt in grüner Farbe. Taubenschwärme kreisen hoch über dem widersprüchlichen Leben in dieser Stadt. Als die Sonne versinkt, lassen sie sich in den hohen Bäumen für die Nacht nieder.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. Juli 2013

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Dempseys Warnung

US-General warnt vor Syrien-Militäreinsatz **

Martin Dempsey ist US-General, scheint sich aber trotzdem nicht nach einem weiteren Konflikt im Nahen Osten zu sehnen, in den seine Army verstrickt wäre. Er ist sogar Generalstabschef und hatte sich in dieser Eigenschaft in den zurückliegenden Tagen den Fragen der Senatoren im Streitkräfteausschuss zu stellen. Es ging um seine Bestätigung in diesem Amt. Besonders der Republikaner John McCain aus Arizona und der Ausschussvorsitzende und Demokrat Carl Levin aus Michigan setzten ihm in puncto Syrien hart zu.

Aus beiden Kongresslagern wird Präsident Barack Obama seit langem gedrängt, den syrischen Bürgerkrieg mittels direkter Militärintervention im US-Interesse zu entscheiden. Doch worin besteht dieses Interesse? Wenn Präsident Baschar al-Assad gestürzt wäre, was käme danach? Ein unverbesserlicher Krieger wie McCain scheint so weit nicht denken zu wollen.

Für Dempsey trifft das offensichtlich nicht zu. Er warnte davor, dass die Zerschlagung der Alawiten-Herrschaft in Damaskus unerwünschte Folgen haben könnte. Wie es in »Politico«, dem Sprachrohr der US-Journalistenorganisation, heißt, hält Dempsey sie sogar für wahrscheinlich. Die vom Westen ausgewählten Oppositionellen haben in der Anti-Assad-Front nichts zu sagen, weder innerhalb noch außerhalb der syrischen Grenzen. »Sollten die Institutionen des Regimes in Abwesenheit einer funktionsfähigen Opposition zusammenbrechen, könnten wir unbeabsichtigt Extremisten zur Macht verhelfen oder genau die chemischen Waffen loslassen, die wir zu kontrollieren suchen«, sagt Dempsey.

Das ist auch eine vernichtende Bestandsaufnahme der Politik Hillary Clintons. Monatelang hatte die gewesene Außenministerin 2012 mit Bestechung und Erpressung versucht, die tief zerstrittene Opposition zu einen. Das Ergebnis ist nicht nur ein politischer Scherbenhaufen, sondern auch ein militärischer.

Dempsey hat nicht gesagt, dass er völlig gegen eine Intervention sei. Er hat sogar mehrere Optionen aufgezeigt: von einer (verstärkten) Belieferung der Opposition mit Kriegswaffen – offiziell tun die USA das bisher nicht – über die Einrichtung einer Flugverbotszone wie im Fall Libyen 2011 und also einen Luftkrieg bis zur Invasion auch mit Bodentruppen. Allerdings, so gibt »Politico« Dempsey wieder, wäre all das sehr riskant und brächte Kosten von etwa einer Milliarde Dollar – im Monat. Vermeintliche Chemiewaffen-Einsätze von Assads Armee spielten für Dempseys Schlussfolgerungen offenbar kaum eine Rolle.

Roland Etzel

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. Juli 2013




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