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Kriegsrhetorik in Washington

USA bereiten Angriff gegen Syrien ohne UN-Mandat vor

Von Olaf Standke *

Wie der US-Fernsehsender NBC am Dienstag berichtete, könnten die USA bereits am Donnerstag mit Luftangriffen gegen Syrien beginnen. Laut Pentagon-Chef Hagel könne man »sofort« losschlagen.

Während die UN-Chemiewaffenexperten am Dienstag die Untersuchung der Giftgas-Vorwürfe in Syrien aus Sicherheitsgründen um einen Tag verschoben haben, kündigte US-Außenminister John Kerry Beweise für die Verantwortung des Assad-Regimes an. Die Führung in Damaskus gab den Rebellen die Schuld an der Verzögerung, sie »konnten sich nicht einigen, wer den Schutz des Teams garantieren soll«. Außenminister Walid al-Muallim bestritt die scharfen Vorwürfe Kerrys, seine Regierung habe die Untersuchung verzögert, um ihre Spuren zu verschleiern, und forderte die sofortige Vorlage der Beweise.

Derweil treiben Washington und London die Pläne für eine Militärintervention voran. »Wir werden uns verteidigen«, kündigte Al-Muallim an – mit militärischen Mitteln, die die Welt »überraschen« würden. Es sei »keine Kleinigkeit«, es mit Syrien aufzunehmen. Die USA ziehen laut »Washington Post« vom Dienstag einen zeitlich und räumlich eng begrenzten Einsatz ihrer Armee in Betracht, der wohl nicht länger als zwei Tage dauern dürfte. Nach Informationen der »New York Times« sei ein Angriff mit Marschflugkörpern von Kriegsschiffen im Mittelmeer oder von Langstreckenbombern auf militärische Ziele denkbar, die nicht direkt zu Syriens Chemiewaffen-Programm gehörten. Wie die Athener Zeitung »Kathimerini« berichtete, hätten die USA die Nutzung von zwei Stützpunkten in Südgriechenland und auf Kreta beantragt. Sie waren schon bei der Intervention in Libyen von Kampfbombern genutzt worden.

Allerdings gebe es laut »New York Times« kaum Hoffnung auf ein entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen, da Syriens mächtigster Verbündeter Russland ein Vetorecht im Weltsicherheitsrat hat. Präsident Barack Obama hat schon im TV-Sender CNN öffentlich über einen US-Angriff auf ein anderes Land ohne UN-Mandat nachgedacht. Moskau warnte jetzt nachdrücklich vor einem solchen Militäreinsatz und kritisierte scharf die Absage Washingtons an einer gemeinsam geplanten Syrien-Friedenskonferenz. Russland befürchtet »neues Leiden in Syrien« und »katastrophale Folgen für andere Länder in Nahost und Nordafrika«.

Trotzdem haben auch Großbritannien und die Türkei die Bereitschaft signalisiert, ohne UN-Auftrag militärisch einzugreifen. Das britische Parlament will in einer Sondersitzung am Donnerstag über die Reaktion auf den Giftgasangriff entscheiden. Es wird erwartet, dass sich auch US-Präsident Obama die Zustimmung des Kongresses holt und sich vor einem Angriff in einer Rede an die Weltgemeinschaft wendet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt die Entscheidung über eine deutsche Beteiligung weiter offen, doch zeigt man sich in Berlin gegenüber einem militärischen Engagement grundsätzlich skeptisch.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


Die Obama-Doktrin

Vorverurteilung statt Beweise

Knut Mellenthin **


Es sei »unbestreitbar«, daß hinter dem mutmaßlichen Giftgas-Angriff vom vorigen Mittwoch die syrische Regierung steckt, verkündete US-Außenminister John Kerry mit einer selbstsicheren Unfehlbarkeit, die traditionell nur den Päpsten zukommt, aber von diesen immer weniger in Anspruch genommen wird. Wer an diesem Urteil zweifelt, müsse sein Gewissen und seinen moralischen Kompaß überprüfen, setzte Kerry hinzu. Indizien, geschweige denn Beweise, hat die US-Regierung bisher nicht vorgelegt, wie Rußlands Präsident Wladimir Putin am Montag korrekt feststellte.

Washington will nun aber doch in den allernächsten Tagen seine Erkenntnisse der internationalen Öffentlichkeit mitteilen. Das behaupten zumindest US-amerikanische Medien, die jedoch wie üblich ihre Quellen nicht preisgeben wollen. Man darf zweifeln: Nicht nur an der angeblich beabsichtigten Präsentation der Beweise, sondern auch an der Schuldzuweisung, der sich inzwischen alle wichtigen westlichen Regierungen mit Vorverurteilungen angeschlossen haben.

Schon seit dem 18. August sind Inspekteure der UNO in Syrien, um Berichte über frühere – in den Folgen sehr viel kleinere – Giftgasangriffe zu prüfen. Ausgerechnet in einem solchen Moment massiv chemische Waffen einzusetzen, macht nur Sinn, wenn man Vorwände für eine westliche Militärintervention liefern will. Viele Staaten der Region verfügen über die Fähigkeit, solche Kampfstoffe zu produzieren. Um diese mit wenigen Kurzstreckenraketen abzuschießen, wie es in der vorigen Woche am Rande von Damaskus geschah, ist nur eine Handvoll von Geheimdienstleuten oder Terroristen erforderlich. Ihnen auf die Spur zu kommen, dürfte so gut wie unmöglich sein.

Die Kriegsvorbereitungen der westlichen Allianz laufen auch ohne Vorlage angeblicher Beweise schon seit Tagen auf Hochtouren. Zu welchen Ergebnissen die UN-Inspektoren kommen, die seit Montag im Gebiet des tödlichen Überfalls tätig sind, spielt von vornherein keine Rolle. Diese Untersuchung komme »zu spät«, wischte Kerry am Montag alle Bedenken beiseite. Präsident Barack Obama scheint, vielleicht beflügelt durch seinen Friedensnobelpreis, der Meinung zu sein, daß er seine Kriege weder gegenüber der eigenen Bevölkerung noch vor der internationalen Öffentlichkeit rechtfertigen muß. Die Nutzanwendung dieser Doktrin, die man getrost nach Obama benennen sollte, liegt auch für das weitere Vorgehen gegen den Iran auf der Hand.

Mit dem geplanten Krieg gegen Syrien wollen die Mächtigen der USA auch Rußland demütigen. Ihm soll seine eingeschränkte Rolle in der Weltpolitik und die Begrenztheit seiner Optionen drastisch vor Augen geführt werden. Moskau ist, das gab Obama schon vor einigen Wochen offen bekannt, für die USA zu einem weitgehend entbehrlichen Faktor geworden. Mit der syrischen Führung will der Westen nun einen der letzten verbliebenen Verbündeten Rußlands liquidieren.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. August 2013 (Kommentar)


Rufe nach Bestrafung von Assad

Bundespolitiker für Konsequenzen ***

Parteiübergreifend verurteilen deutsche Bundespolitiker die mutmaßlichen Giftgasangriffe in Syrien. Zunehmend mehren sich auch die Stimmen, die ein militärisches Eingreifen befürworten.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat ebenso wie die Bundesregierung »Konsequenzen« der internationalen Gemeinschaft verlangt, falls der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien bewiesen wird. »Wenn tatsächlich Giftgas – eine Massenvernichtungswaffe – eingesetzt wurde, dann muss das Konsequenzen haben«, sagte Özdemir gestern der dpa. Die Welt dürfe nicht tatenlos zusehen, wenn Menschenrechte massiv verletzt würden, meint er.

Der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz mahnte zur Besonnenheit und forderte die Staatengemeinschaft auf, zunächst den Bericht der UN-Inspekteure zu den Giftgasvorwürfen abzuwarten, bevor sie weitere Schritte gegen die syrische Führung unter Baschar al-Assad unternehme. Sollte Assad aber für den Giftgasangriff verantwortlich sein, müsse die Weltgemeinschaft handeln, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Eine Beteiligung der Bundeswehr bei einem möglichen Militärschlag lehnt Philipp Mißfelder allerdings ab. Der außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag sagte in der »Leipziger Volkszeitung«: »Die Bundeswehr hat durch ihre derzeitigen internationalen Einsätze bereits die Grenze der Belastbarkeit erreicht.«

Besorgt über die Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge äußerte sich dagegen der SPD-Außenexperte Gernot Erler. »Es ist zu befürchten, dass das Assad-Regime als Reaktion auf Militärschläge von außen seine Angriffe auf die eigene Bevölkerung ausweitet, um die Lage eskalieren zu lassen«, sagte Erler dem Evangelischen Pressedienst.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


Tabubruch als Gewohnheit

Politik stimmt sich auf Militäreinsatz ein, Medien übernehmen bereits die Lufthoheit

Von Uwe Kalbe ****


Die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Waffengangs von NATO-Staaten steigt, diesmal geht es gegen Syrien. Und schnell nehmen die deutschen Parteien ihre angestammten Plätze in den Gräben ein.

Es ist wie immer in vergleichbaren Fällen: Die große Mehrheit der Bürger lehnt einen Waffengang gegen Syrien ab, und die Politik plant ihn trotzdem. 69 Prozent der von Forsa im Auftrag des »Stern« Befragten sprachen sich dagegen aus, dass der Westen militärisch in Syrien eingreift. Und von den 23 Prozent, die ein Eingreifen befürworteten, lehnten immer noch 28 Prozent eine deutsche Beteiligung ab. In Politik und Medien ist das Stimmungsbild offenbar ein anderes. Alles treibt auf einen militärischen Einsatz zu.

Die Lufthoheit haben schnell die Medien erobert. Sie sorgen für Formulierungen, die dem Grauen vor Ort anschauliche Begriffe zuordnen, aber das Grauen, mit dem der Westen seinen Anteil am Konflikt übernehmen könnte, verharmlosen. Ob das syrische Regime vom Meer aus oder aus der Luft »unter Druck zu setzen« vernünftig sei, ist die erörterte Frage. Eine Strafe müsse verabreicht werden, wem, das versteht sich von selbst – dem Machthaber in Damaskus, auch wenn es um dessen persönliche Sicherheit zuletzt geht. Wie immer ist die Zivilbevölkerung, sind die Menschen, die längst zu Vertriebenen im eigenen Land geworden sind, allenfalls eine Kollateralschadengröße.

Erstaunlich, wie problemlos der Motor anspringt, der Deutschland an seinen Platz im Gefüge des kriegsplanenden Westens dirigiert. Was sonst sollte helfen, die Verbrechen in Syrien zu stoppen, lautet die immer wieder unschuldig gestellte Frage – was sonst außer einem schmerzhaften Militärschlag? Es ist kaum anzunehmen, dass in den strategischen Runden der NATO-Staaten so infantil argumentiert wird wie es in solchen Interviewfragen vorgegaukelt wird: Wem in Syrien das Verbrechen »zuzutrauen« sei, Giftgas einzusetzen, dürfte in den Planungen, wie und wann dem Assad-Regime der offenbar für nötig gehaltene nachhaltige Schlag versetzt wird, eine vernachlässigbare Überlegung sein. Stattdessen ist Generalstäblern und Vertretern der politischen Klasse zuzutrauen, dass sie militärisches Vorgehen und die Begründungen hierfür so erfolgreich aufeinander abstimmen wie in vergleichbaren vorausgegangenen Fällen. Die Frage ist dabei müßig, ob das Giftgasverbrechen nahe Damaskus eine unerwartete Rechtfertigung liefert oder als Alibi absehbar war.

Die Politik gibt sich in Deutschland noch zurückhaltend. Aber Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat den inneren Konflikt benannt, als er davon sprach, dass jetzt beides nötig sei, »Entschlossenheit« und »Besonnenheit«.

Seit dem Jahr 1999, als Deutschland in einer Allianz des Westens an Luftschlägen gegen Serbien beteiligt war, ist der Tabubruch zur Gewohnheit geworden. Die großen Parteien haben sich immer wieder nach bestimmten Ritualen verhalten. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde – mit Ausnahme der Linkspartei, die sich bisher jedem solchen Einsatz verweigert hat – im Schulterschluss von Union, SPD, Grünen und FDP beschlossen. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA gab den Ton vor. Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 eine Beteiligung am Krieg der USA gegen Irak verweigerte, tat sie dies unter kritischen Kommentaren von Union und FDP. 2011 war es umgekehrt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung verweigerte die Teilnahme am Krieg des Westens gegen Libyen und musste beißende Kritik der rot-grünen Opposition über sich ergehen lassen. Nun, im Jahre 2013, lässt der wechselseitige Widerstand gegen Kriegseinsätze, der immer auch ein Akt der Opposition gegen die Regierung war, nach. Auch wenn noch immer in Appelle zur Zurückhaltung gekleidet, ist die Bereitschaft zum Militärschlag im Prinzip auf allen Seiten erkennbar. Als Gipfel der Nachdenklichkeit ist hier bereits die Warnung des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), zu werten, der vor einem Angriff ohne UN-Mandat warnte.

Eine klare Ausnahme macht erneut die LINKE. »Wir wären nicht nur nicht dabei, wir würden Proteste dagegen organisieren«, sagte Parteichef Bernd Riexinger am Dienstag in der ARD. Krieg könne nicht mit Krieg bekämpft werden. Er forderte den Abzug der deutschen Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze. Denn wenn sich die Türkei an der Strafaktion beteiligen werde, sei auch Deutschland Kriegsteilnehmer.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. August 2013


»Katastrophale Folgen«

USA vor Überfall auf Syrien. Obama will Krieg als kurz und risikolos verkaufen ****

Rußland hat die USA am Dienstag erneut vor militärischen Angriffen gegen Syrien gewarnt. Der Sprecher des Moskauer Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, appellierte an die internationale Gemeinschaft, »Klugheit« im Umgang mit dem Konflikt zu zeigen. »Versuche, am UN-Sicherheitsrat vorbei zu handeln und wieder einmal künstliche Rechtfertigungen für eine Militärintervention in der Region aufzubauen, würden neues Leid für Syrien und katastrophale Folgen für andere Länder des Nahen Osten und Nordafrikas bringen.«

Die US-Regierung hatte zuvor, am Montag abend (Ortszeit), bekanntgegeben, daß sie ein Treffen mit russischen Vertretern abgesagt hat. Es sollte am heutigen Mittwoch im niederländischen Den Haag stattfinden. Auf der Tagesordnung stand die geplante internationale Konferenz, auf der versucht werden soll, einen politischen Weg zur Beendigung des seit Frühjahr 2011 geführten Bürgerkriegs in Syrien zu finden. Einem entsprechenden Vorschlag Rußlands hatten die USA seinerzeit ohnehin nur halbherzig und unter Vorbehalten zugestimmt. Der stellvertretende russische Außenminister Gennadi Gatilow kritisierte die amerikanische Absage und hob hervor, daß gerade in der aktuellen Situation, wo die USA und ihre Verbündeten mit Militärschlägen gegen Syrien drohen, die Ausarbeitung gemeinsamer »politischer Parameter« besonders wichtig gewesen wäre.

Die internationalen Medien setzten am Dienstag ihre Spekulationen fort, daß Obama nur »begrenzte« Schläge gegen militärische Ziele in Syrien anordnen wolle. Die Angriffe sollen angeblich höchstens zwei Tage dauern, und das Leben amerikanischer Soldaten soll nicht gefährdet werden. Es würden nämlich, diesen Gerüchten zufolge, nur seegestützte Cruise Missiles oder Kampfflugzeuge eingesetzt werden, die zum Abschuß ihrer Raketen nicht in den syrischen Luftraum eindringen müssen.

Jüngste Umfragen zeigen, daß rund 60 Prozent der Bevölkerung der USA keinen militärischen Konflikt mit Syrien wollen und nur etwa neun Prozent für einen Angriff sind. Vor diesem Hintergrund tut die US-Administration gut daran, ihren geplanten Krieg als kurz, billig und risikofrei zu verkaufen. Die Medien haben aber schon vor einem Jahr, als Obama seine »rote Linie« verkündete, berichtet, daß die USA sich gemeinsam mit der Türkei, Jordanien und Israel auf Kommandoaktionen gegen die Stationierungsorte syrischer Chemiewaffen vorbereiten. Es wäre völlig unlogisch, wenn dieser Mechanismus jetzt nicht in Bewegung gesetzt wird. Vorstellbar ist aber, daß die USA ihre Erstangriffe zunächst mit einem sehr kurz befristeten Ultimatum an Syrien verbinden werden, alle Chemiewaffen abzuliefern und Hunderte von internationalen Inspektoren ins Land zu lassen. Knut Mellenthin

***** Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. August 2013


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