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Kämpfe in Syrien werden heftiger

Westerwelle wirbt für politische Lösung / Islamisten bekennen sich zu Morden *

China und Russland erklärten am Dienstag in Peking nach einem Treffen beider Staatschefs, dass die Gewalt in Syrien sofort beendet und ein politischer Dialog aufgenommen werden müsse. In dieser Weise äußerte sich auch Außenminister Westerwelle während seiner Nahosttour. Unterdessen werden die Kämpfe in Syrien heftiger.

In den Zentren der syrischen Protestbewegung nimmt die Intensität der Gefechte zwischen den Regierungstruppen und den Rebellen zu. Außenminister Guido Westerwelle erklärte, er setze trotzdem weiterhin auf eine politische Lösung. Die internationale Gemeinschaft müsse sich darum bemühen, dem Friedensplan von Sondervermittler Kofi Annan mehr Nachdruck zu verleihen, sagte Westerwelle am Dienstag in Doha, der Hauptstadt von Katar.

»Mein Eindruck ist, dass alle ein Interesse daran haben, dass der Plan von Kofi Annan eine Chance bekommt«, sagte Westerwelle. Zugleich räumte er ein: »Bislang kann man nicht feststellen, dass die Gewalt ausreichend eingestellt worden ist.« Nach Schätzungen wurden allein seit Beginn der offiziellen Waffenruhe Mitte April in Syrien mehr als 2100 Menschen getötet.

Die Krise in Syrien war auch eines der zentralen Themen der Gespräche von Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao und Russlands Präsident Wladimir Putin in Peking. Beide UN-Vetomächte verhinderten bisher im Weltsicherheitsrat eine einseitige Schuldzuweisung an die Führung in Damaskus für das Blutvergießen im Land.

Syrische Regierungsgegner berichteten am Dienstag von Kämpfen in den Provinzen Damaskus-Land, Daraa und Idlib. Am Vortag seien 40 Menschen von Regierungstruppen getötet worden. Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter nannte 23 namentlich bekannte Tote, darunter zwei Kämpfer einer bewaffneten Gruppe.

Vertreter der syrischen Auslandsopposition hatten in den vergangenen Tagen erklärt, sie fühlten sich nicht mehr an den Friedensplan Annans gebunden, weil Präsident Baschar al-Assad seinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten habe.

Auf einer Islamisten-Website tauchte unterdessen eine Erklärung im Namen einer sogenannten »Dschabhat al-Nusra« (Front der Siegreichen) auf. Darin hieß es, die Gruppe habe am 29. Mai in der Provinz Deir as-Saur 13 Angehörige der Sicherheitskräfte und der regierungsnahen Schabiha-Miliz »hingerichtet«. Diese Front der Siegreichen verbreitet ihre Erklärungen in denselben Foren, die auch Botschaften von Al Qaida und anderen Terrororganisationen veröffentlichen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. Juni 2012


Berlin bezahlt Rebellen

Deutschland finanziert Büro der »Freunde des syrischen Volkes« in der Bundeshauptstadt. Syrien erklärt westliche Diplomaten zu unerwünschten Personen

Von Simon Loidl **


Bundesaußenminister Guido Westerwelle ist am Dienstag zu Beginn seiner fünftägigen Nahostreise zu Gesprächen in Katar eingetroffen. Beide Länder würden sich für eine politische Lösung und einen friedlichen Übergang einsetzen, hieß es. Der Druck auf die Regierung von Baschar Al-Assad müsse weiter erhöht werden. In Deutschland werden unterdessen bereits die Geschäfte für die Zeit nach Assad geplant. Die »Freunde des syrischen Volkes« richteten mit Unterstützung der Bundesregierung und der Vereinigten Arabischen Emirate ein Büro in Berlin ein, wie die Financial Times Deutschland (FTD) in ihrer Dienstagausgabe berichtete. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, die Regierung unterstütze das Büro der Arbeitsgruppe Wiederaufbau, »damit nach einem Ende der Gewalt nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ein Neuanfang gelingt«. Ziel der »Freunde« sei »der Umbau des bisher von Staatsunternehmen geprägten syrischen Systems zu einer liberalen Marktwirtschaft«, faßt die FTD Sinn und Zweck des »friedlichen Übergangs« zusammen.

Syrien hat am Dienstag auf die Ausweisung eigener Vertreter aus westlichen Staaten reagiert und 17 Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt – unter ihnen die Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands. Das syrische Außenministerium erklärte, daß ein Dialog weiterhin für wichtig gehalten werde, dieser aber auf den Prinzi­pien der Gleichwertigkeit und des gegenseitigen Respekts beruhen müsse. Nach dem Massaker in Hula hatten mehrere Länder syrische Diplomaten des Landes verwiesen. Damit wurde suggeriert, daß Damaskus in jedem Fall für das Massker verantwortlich sei – wer auch immer konkret die Tat ausgeführt hat.

Im Zuge eines Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Peking haben China und Rußland am Dienstag erneut ihre gemeinsame Haltung zu Syrien betont. Die Gewalt in Syrien müsse sofort beendet und ein politischer Dialog aufgenommen werden, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Beide Länder lehnten aber sowohl einen ausländischen Militäreinsatz, als auch einen erzwungenen Regierungswechsel in Damaskus ab.

Der russische Vizeaußenminister Gennadi Gatilow sagte, über die Zukunft Syriens müßten die Menschen im Land selbst entscheiden. Ein Modell wie in Jemen, wo sich der langjährige Präsident Ali Abdallah Saleh im Fe­bruar nach monatelangen Unruhen bereit erklärt hatte, die Macht an eine Übergangsregierung abzugeben, komme in Syrien nur in Frage, wenn auch die Opposition zu Verhandlungen und einem Ende der Gewalt bereit sei, so Gatilow.

Unterdessen wurden am Dienstag aus mehreren Städten der syrischen Küstenprovinz Latakia Kämpfe gemeldet. Nach Angaben der Regierung sind in den letzten Tagen um die 80 Soldaten getötet worden. Das Lager der Rebellen wird unterdessen täglich unübersichtlicher. Am Montag gab eine Gruppe namens »Syrische Rebellenfront« bei einer Pressekonferenz in Istanbul ihre Gründung bekannt. Sie wolle die Opposition vereinen, sagte ein Sprecher der Organisation und erklärte alle »arabischen und internationalen Initiativen« inklusive den Friedensplan des UN-Sondergesandten für Syrien, Kofi Annan, für gescheitert.

Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten teilte am Dienstag in Genf mit, daß die syrischen Behörden einer Vereinbarung zugestimmt haben, nach der Hilfsorganisationen in die am stärksten von den Unruhen betroffenen Provinzen einreisen dürften.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 6. Juni 2012


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