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Syriens Opposition ist noch ohne Führung

Der Schriftsteller Louay Hussein über Assads Gegner im In- und im Ausland und Vorschläge an die Arabische Liga *


Der Journalist und Schriftsteller Louay Hussein gehört seit vielen Jahren zu den politischen Gegnern der Assads. 1984 verhaftet, kam er erst 1991 frei. Im Juni dieses Jahres gehörte Hussein zu den Organisatoren der ersten Oppositionskonferenz in Syrien. Anfang Oktober war er Mitbegründer der Gruppe »Aufbau des syrischen Staates«. Sie versteht sich als nationale Opposition, lehnt bewaffnete Aktionen aber ab. Mit Louay Hussein sprach für "neues deutschland" (ND) in Damaskus Karin Leukefeld.


ND: Sie haben kürzlich in Kairo den Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, getroffen. Mit welchem Ergebnis?

Louay Hussein: Herr al-Arabi hat gesagt, er sei lediglich ein Diener der arabischen Staaten und treffe keine Entscheidungen. Er hat uns zugehört und versprochen, dass er unseren Vorschlag für eine Lösung in Syrien an die anderen arabischen Staaten weiterleiten wird.

Was enthält Ihr Vorschlag?

Wir haben einen Bericht übergeben, aus dem hervorgeht, dass die Regierung dem Plan der Arabischen Liga nach unserer Einschätzung nicht nachkommt. Die Liga sollte mehr Druck machen, damit Syrien die arabische Initiative umsetzt. Wir fordern eine Beobachterdelegation und dass möglichst viele Medien ins Land kommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Wir bieten an, die Delegation durch Juristen und politisch aktive Leute zu unterstützen. Eine entsprechende Liste von Personen haben wir überreicht. Sie könnten als syrische Beobachterdelegation mit der Arabischen Liga zusammenarbeiten. Wir haben außerdem die Namen von 150 Personen aus anderen arabischen Staaten vorgelegt, die bereit wären, im Rahmen einer Beobachterdelegation nach Syrien zu kommen.

Gibt es eine Reaktion der Arabischen Liga auf Ihren Vorschlag?

Nein.

Hält sich die Liga mehr an den Syrischen Nationalrat im Exil als an die Opposition in Syrien?

Anzeichen für eine Bevorzugung des Nationalrats sehen wir nicht. Wir haben gegenüber der Liga betont, dass keine Oppositionsgruppe allein für das syrische Volk sprechen kann. Keine der Oppositionsgruppen kann für das syrische Volk sprechen. Es gibt eine beträchtliche Zahl von Syrern, die die Regierung unterstützen.

Es gibt Einschätzungen in Syrien, wonach die Regierung bis zu 35 Prozent Unterstützung hat, die Opposition, darunter der Syrische Nationalrat, höchstens 15 Prozent, und dass es eine »schweigende Mehrheit« gibt.

Das sind Spekulationen. Es gibt keinen Mechanismus, mit dem man verlässliche Angaben erheben könnte. Erst nach Gründung des Nationalrats haben solche Rechenspiele angefangen. Man wollte das libysche Beispiel wiederholen. Aber unsere Lage ist anders als in Libyen, Jemen, Ägypten oder Tunesien.

Anders als Sie wird der Syrische Nationalrat von europäischen Regierungen empfangen. Haben die EU-Staaten an Ihrer Meinung kein Interesse?

Wir haben nicht den Eindruck, dass die EU den Nationalrat als Vertreter des Volkes anerkennt. Im Gegensatz zu uns wird der Nationalrat aber von einigen Staaten finanziell und politisch unterstützt. Mitglieder des Nationalrats haben oder erhalten Einreisevisa, uns gibt man solche Visa nicht. Und die Medien räumen dem Nationalrat viel Platz ein. Nicht weil deren Sprecher besonders wichtig wären, sondern weil sie sagen, was man in diesen Medien hören will.

Wie würden Sie die Lage der Opposition in Syrien beschreiben?

Historisch war die Opposition in Syrien nie in einer guten Situation, daher ist es heute schwierig, in den Protesten gegen das Regime die Führung zu übernehmen. Es ist aber wichtig, dass neue Gruppen entstehen, die künftig eine solche Führungsrolle einnehmen können. Die Proteste auf den Straßen sind bis heute ohne Führung, doch ich bin überzeugt, dass diese Bewegung auch eine eigene politische Führung hervorbringen wird.

Hat Ihre Gruppe Kontakt zur Protestbewegung?

Anfangs hatten wir guten Kontakt, doch weil viele Aktivisten der ersten Stunde inhaftiert wurden, ist der vielerorts verloren gegangen. Die Protestbewegung hat sich sehr verändert. Die Menschen, die in den ersten drei Monaten auf den Straßen waren, waren anders als die, die heute protestieren. Anfangs wurden politische Forderungen formuliert und Werte vermittelt. Die Demonstranten forderten Respekt, Gleichberechtigung, gesellschaftliche und persönliche Freiheit. Als die Gewalt begann und viele Menschen getötet wurden, tauchten andere Leute auf den Straßen auf, sie reagierten und wollten Rache nehmen. Ich befürchte, dass die heutige Bewegung Forderungen stellt, die ihnen selbst und Syrien schaden.

Was meinen Sie?

Zum Beispiel die Forderung nach einer Pufferzone an der Grenze zur Türkei, nach einer Flugverbotszone wie im Falle Libyens oder nach dem Tod des Präsidenten.

Halten Sie einen Dialog mit der Regierung noch für möglich?

Es gibt eine Möglichkeit für Dialog - vorausgesetzt, das Regime ist bereit dazu. Leider sieht man auf der Regierungsseite einen Dialog mehr als Meinungsaustausch. Ein verantwortlicher Dialog muss aber zu einem politischen Wandel führen.

Was ist heute die größte Gefahr für Syrien?

Ein Bürgerkrieg. Es gibt deutliche Anzeichen dafür.

Sie sind pessimistisch?

Nein, ich sehe mir nur die Wirklichkeit an. Wir werden aber alles tun, um Syrien davor zu bewahren.

* Aus: neues deutschland, 26. November 2011


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