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Syrien lässt 755 Häftlinge frei

Russland verlangt Kooperation mit Beobachtern *

Syrien hat während Demonstrationen festgenommene Demonstranten freigelassen. Menschenrechtler werfen der Regierung nun vor, die Beobachter der Arabischen Liga zu täuschen, indem politische Gefangene zu Hunderten aus Haftanstalten in militärische Einrichtungen gebracht worden seien, zu denen die Beobachter keine Zugang haben.

Die syrischen Behörden haben nach einem Fernsehbericht 755 Häftlinge freigelassen, die in die Proteste gegen Staatschef Baschar el-Assad »verwickelt« gewesen sein sollen. Die Freigelassenen hätten aber »kein Blut an den Händen«, hieß es in dem Bericht des Fernsehens am Mittwoch. Die Freilassung politischer Gefangener ist einer der Schlüsselpunkte im Friedensplan der Arabischen Liga, mit dem der Konflikt in Syrien beigelegt werden soll.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden jedoch Hunderte politische Gefangene verschleppt, bevor die Beobachter der Arabischen Liga am Dienstag in Syrien ihre Arbeit aufnahmen. Die Häftlinge seien zu Militärstützpunkten gebracht worden.

Die Beobachter hatten ihre Arbeit in Homs am Dienstag aufgenommen. Während ihres Besuchs gingen rund 70 000 Menschen gegen Assad auf die Straße. Der Plan zur Beilegung des Konflikts, dem Damaskus Mitte Dezember nach langem Zögern zustimmte, sieht unter anderem die Freilassung politischer Gefangener vor. Die Beobachter sollen in ihrer Arbeit grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Die Regierung behielt sich aber die Sperrung von Armeestützpunkten vor. Am Mittwochabend wollten Beobachter nach eigenen Angaben in die Städte Hama, Daraa und Idleb sowie in die Umgebung von Damaskus reisen.

Auch die russische Regierung rief Syrien auf, den Beobachtern größtmögliche Handlungsfreiheit zu gewähren. Die syrische Führung müsse für die Arabische Liga »möglichst angenehme und freie Bedingungen schaffen«, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Moskau gilt als Verbündeter Assads und blockierte eine Resolution zu Syrien im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mitte Dezember legte Russland einen Resolutionsentwurf vor, der die Gewalt »aller Beteiligten« verurteilte.

* Aus: neues deutschland, 29. Dezember 2011


Ein scharfes Schwert

Von Roland Etzel **

Die Beobachtergruppe der Arabischen Liga ist erst wenige Tage in Syrien, doch bereits jetzt lässt sich sagen, dass sie ein scharfes Schwert sein kann. In gewisser Weise handelt es sich hier um ein neues Modell diplomatischer, also friedlicher Krisenbewältigung. Kontrollreisen von Vertretern internationaler Gremien hat es früher schon gegeben, zum Beispiel die der UNO-Waffeninspekteure in Irak in den 90er Jahren. Doch einen bereits auf kleiner Flamme köchelnden Bürgerkrieg noch abzuwenden, wird in dieser Form erstmals versucht.

Noch ist es wohl so, dass nur ein Regime, welches innenpolitisch geschwächt und außenpolitisch an die Wand gedrückt ist, eine derartige Mission akzeptiert; so wie seinerzeit Irak und jetzt auch Syrien. Sollte ihr aber am Ende eine zufriedenstellende Arbeit bescheinigt werden, ergäben sich sicher erweiterte Möglichkeiten für künftige Einsätze in anderen Krisenstaaten.

Eine Voraussetzung dafür dürfte sein, dass es den Beobachtern gelingt, trotz der Pressionen aller Seiten als ehrliche Makler zu gelten. Sobald sie jedoch den Anschein erweckten, dass sie ihre Aufgabe zum Beispiel vornehmlich darin sehen, den von der Liga ungeliebten Assad über die Maßen zu diskreditieren, werden sich künftige Beobachtungs»opfer« noch heftiger gegen Inspektionen wehren, als das Assad getan hat. Das neue scharfe Schwert wäre dann schon wieder stumpf.

** Aus: neues deutschland, 29. Dezember 2011 (Kommentar)


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