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Eklatante Einseitigkeit

Das Produzieren gewünschter Feindbilder zur Durchsetzung eigener Interessen wie heute in Syrien hat Methode. Schon im 19. Jahrhundert war es Teil der Kolonialpolitik

Von Karin Leukefeld *

Glaubt man verschiedenen UN-Berichten und dem jüngsten Report von Amnesty International (ai), haben die syrischen Streitkräfte, Präsident Baschar Al-Assad und Milizen des syrischen Geheimdienstes (»Schabiha«) aus ihrem Land ein Schlachtfeld gemacht. Jede nur denkbare und menschenverachtende Missetat geht vom »Regime« aus, das der Hölle selber entsprungen sein muß. Für die massenhafte Verbreitung dieser ungeheuerlichen Anklagen gegen die politische Führung in Syrien sorgen westliche Leitmedien.

Die UN-Beauftragte für »Kinder in bewaffneten Konflikten« berichtet, daß syrische Soldaten Kinder entführt und zu menschlichen Schutzschilden gemacht hätten, indem sie sie vorne in ihre Fahrzeuge setzten, auf dem Weg in die Schlacht. Ohne belastbaren Beweis. Nun heißt es im Amnesty-Bericht, daß Kinder, junge und alte Menschen »von Soldaten verschleppt und erschossen«, Häuser und Eigentum angezündet wurden. Festgenommene, »auch Kranke und Alte«, seien »routinemäßig gefoltert« worden. »Wohin ich auch kam, habe ich Einwohner getroffen, die mich gefragt haben, warum die Welt zuschaut und nichts tut«, sagt Donatella Rovera. Die Krisenberaterin für Amnesty International hat »einige Wochen« in Nordsyrien verbracht.

Nach eigenen Angaben recherchierten die ai-Mitarbeiter ohne offizielle Einreisegenehmigung im März und April dieses Jahres in 23 Orten und Dörfern in den Provinzen von Idlib und Aleppo. Wie die Mitarbeiter dort hingelangten, wird nicht mitgeteilt. Was man gehört habe entspreche einem »Muster von Mißhandlungen« im »ganzen Land (...) einschließlich des Angriffs syrischer Streitkräfte in Hula am 25. Mai. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden dort 108 Personen, darunter 49 Kinder und 34 Frauen, getötet«, heißt es in dem Bericht. Amnesty fordert den UN-Sicherheitsrat auf, Informationen über die Lage in Syrien an die Strafverfolgungsbehörden des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) zu übermitteln. Ein Embargo müsse verhängt werden, damit die syrische Regierung keine Waffen mehr erhält. Kein Wort über die Bewaffnung von Aufständischen, das Einschleusen von Söldnern und deren Morde, mit denen diese sich selber brüsten. Kein Wort über Tausende getötete Soldaten und Angehörige der regulären syrischen Streitkräfte, kein Wort über entführte und ermordete Zivilisten, die sich schlicht weigern, für die Aufständischen Partei zu ergreifen.

Die Einseitigkeit der letzten UN-Berichte und der Darstellung von Amnesty International ist eklatant und entspricht weder den Aussagen der UN-Beobachter in Syrien (UNSMIS) noch denen des im Land arbeitenden Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Wer mit bewaffneten Aufständischen unterwegs ist oder geflohene Angehörige oder Anhänger der Aufständischen außerhalb Syriens befragt, müßte das zumindest erwähnen. Anders als von Amnesty dargestellt, ist das Blutbad von Hula nicht aufgeklärt. Eine Vielzahl von Berichten von Journalisten und im Land aktiven politischen Oppositionellen weisen darauf hin, daß die ermordeten Frauen und Kinder Familienverbänden angehörten, die sich geweigert hatten, gegen die syrische Regierung zu kämpfen.

Schon bei der kolonialen Unterwerfung afrikanischer Staaten im 19. Jahrhundert wurden systematisch Feindbilder geschaffen, um eine aggressive Kolonialpolitik politisch, finanziell und ideologisch in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Im Deutschen Reich regte der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck zur Durchsetzung dieser Politik an, ob man nicht »schaurige Details über Menschenquälerei auftreiben« könne. Eigens beauftragte »Experten« aus Kirche und Medien entwickelten eine Kampagne (»Volks-Kampagne gegen den arabischen Sklavenhandel«) [1] die sich gegen den Islam und gegen Araber richtete, die den deutschen Kolonialinteressen in Ostafrika im Wege standen. Greuelgeschichten wurden in Zeitungen, Schulen, Kindergärten, von Kanzeln und im Reichstag verbreitet, in dem es eine starke Opposition gegen die Kolonialpolitik gab. Die Verteufelung von Islam und Arabern sollte einen öffentlichen »Mitleidseffekt« mit Opfern bewirken, der schließlich das militärische Eingreifen und die dafür notwendige Finanzierung rechtfertigte.

[1] Gottfried Mergner, Unser nationales Erbe, www.diss-duisburg.de

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Juni 2012


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