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Rotes Kreuz fordert Zugang in Daraa

Helfer sollen Verletzte in syrischer Stadt versorgen / Ruf nach Sanktionen gegen Damaskus *

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat die syrischen Behörden aufgefordert, Helfern den Zugang zu Verletzten in der Protesthochburg Daraa zu ermöglichen.

Bei der Gewalt in der von der Versorgung abgeschnittenen Stadt im Süden des Landes habe es zahlreiche Opfer gegeben, erklärte Marianne Gasser vom IKRK am Dienstag (3. Mai). »Wenn sich die Lage verschlechtert, wird es noch mehr Tote geben.« Es sei daher wichtig, dass Rettungskräfte rasch Zugang zu Verletzten erhielten, hieß es in ihrer Erklärung.

Auch IKRK-Sprecher Hischam Hassan sagte auf einer Pressekonferenz in Genf, Ärzte und Mitglieder des syrischen Roten Halbmondes müssten umgehend Zugang zu Daraa erhalten. »Wir stehen in täglichem Kontakt mit den syrischen Behörden, aber alles, was wir erreicht haben, ist, vielleicht morgen oder übermorgen, ein Zugang zu umliegenden Krankenhäusern von Damaskus, aber nicht Daraa«, sagte Hassan. Die Stadt Daraa ist seit Tagen eingeschlossen, nachdem syrische Sicherheitskräfte mit Panzern eingerückt sind, um die regierungskritischen Proteste gewaltsam zu unterdrücken.

Seit Beginn der Revolte starben laut Menschenrechtsaktivisten allein in Daraa und den umliegenden Dörfern mehr als 450 Menschen. Die syrischen Behörden haben nach Angaben von Menschenrechtlern seit dem vergangenen Sonnabend mehr als 1000 Menschen verhaftet. Die syrische Nationale Organisation für Menschenrechte habe die Namen der Betroffenen dokumentiert, sagte ihr Vorsitzender Ammar Kuraibi am Dienstag dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Die Menschen seien in ihren Wohnungen abgeholt worden, ihr Verbleib unbekannt, fügte er hinzu.

Angesichts der Gewalt der syrischen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten hat der Außenstaatssekretär Werner Hoyer (FDP) schnelle Sanktionen der EU gegen Syrien gefordert. »Das fortdauernde brutale Vorgehen der syrischen Regierung lässt der Europäischen Union keine andere Wahl, als gezielte Sanktionen gegen das Regime jetzt mit Nachdruck voranzutreiben«, erklärte Hoyer am Dienstag (3. Mai) in Berlin. Vor allem die Situation in der von der Außenwelt und der Versorgung abgeschnittenen Stadt Daraa lasse »keinen Zweifel an der Brutalität und Kompromisslosigkeit des Regimes« zu. »Hierauf muss Europa jetzt auch mit Sanktionen antworten«, forderte Hoyer. Die Bundesregierung treibe die Vorbereitung gezielter Sanktionen deshalb voran.

Nachdem die USA Sanktionen gegen Vertreter von Militär und Geheimdiensten in Syrien verhängt hatten, einigten sich auch die EU-Botschafter im Grundsatz auf Strafmaßnahmen gegen die Führung in Damaskus.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011


Ultimatum an Syriens Demonstranten

Beteiligte an "unrechtmäßigen Handlungen" sollen sich stellen / Neue Proteste angekündigt **

Syriens Behörden haben den Demonstranten ein Ultimatum gesetzt, ihren Protest bis zum 15. Mai aufzugeben. Die Türkei erwägt unterdessen die Einrichtung von Schutzzonen im benachbarten Syrien, um einen Ansturm von Flüchtlingen zu verhindern.

Bürger, die an »unrechtmäßigen Handlungen« beteiligt gewesen seien wie dem »Tragen von Waffen, Angriffen auf Sicherheitskräfte oder dem Verbreiten von Lügen« sollten sich bis zum 15. Mai »ergeben« und ihre Waffen an die Behörden abgeben, teilte das syrische Innenministerium am Montag mit. Zudem sollten sie Informationen über »Saboteure, Terroristen und Waffenlager« liefern, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Zuvor hatten die Demonstranten weitere regierungskritische Proteste angekündigt.

Ein syrischer Militärsprecher gab am Montag die Festnahme von knapp 500 Menschen in der Protesthochburg Daraa bekannt. Zudem seien zwei Mitglieder der Sicherheitskräfte »sowie zehn Terroristen« getötet worden. Der Oppositionswebsite Syrian Revolution 2011 zufolge nahmen die Sicherheitskräfte in der Gegend von Kafar Nubbol 320 Kilometer nördlich von Damaskus Häuser ein und verhafteten 26 Menschen. Auf der Seite, die ein wichtiger Antriebsmotor der Proteste ist, wurden die Menschen im Land zu weiteren Demonstrationen aufgerufen.

In Syrien reagieren die Sicherheitskräfte seit Wochen gewaltsam auf Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad. Landesweit starben nach Angaben von Aktivisten fast 600 Menschen durch Gewalt der Sicherheitskräfte.

Die Türkei erwägt einem Pressebericht zufolge die Einrichtung von Schutzzonen im benachbarten Syrien, um einen Ansturm von Flüchtlingen zu verhindern. Regierungsvertreter und Militärs hätten nach der Ankunft von rund 250 Flüchtlingen aus Syrien am vergangenen Freitag über eine solche Möglichkeit gesprochen, berichtete die englischsprachige Zeitung »Hürriyet Daily News« am Montag. Eine offizielle Stellungnahme zu dem Pressebericht lag zunächst nicht vor.

Dem Zeitungsbericht zufolge würde die Türkei in den syrischen Schutzzonen die Sicherheit und die humanitäre Versorgung schutzsuchender Menschen garantieren. Nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge in der südtürkischen Grenzprovinz Hatay stellt sich die Türkei wegen der anhaltenden Gewalt in dem arabischen Land auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ein.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2011


Hohle Phrasen

Von Christian Klemm ***

Rund 500 Menschen sollen in den vergangenen Wochen während der Aufstände in Syrien umgekommen sein. Das kann auch die Bundesregierung nicht kalt lassen. Tut es anscheinend auch nicht: Sie setzt die Abschiebungen von syrischen Flüchtlingen »bis zur Klärung der Verhältnisse« im Land – also vorläufig – aus. Was nach der Klärung durch das Auswärtige Amt kommt, weiß keiner. Wahrscheinlichstes Szenario: Die Bundesregierung wartet geduldig darauf, dass die Unruhen in Syrien abklingen. Wenn sie dann vorbei sind, heißt es für die in Deutschland asylsuchenden Syrer wieder: Zurück zu euren Peinigern, aber pronto! Zu diesem Zweck halten Merkel und Co. auch an dem seit 2009 existierenden Rücknahmeabkommen mit Damaskus fest.

Denn eins ist seit Langem bekannt: Das Land am Mittelmeer ist ein astreiner Folterstaat. Dokumentiert ist zum Beispiel, dass nach Syrien »rückgeführte« Flüchtlinge inhaftiert und misshandelt wurden. Allein die Tatsache, dass in Deutschland ein Asylantrag gestellt wird, kann von den Behörden als »Beschmutzung des Ansehens Syriens« verurteilt und bestraft werden, gibt der Bayerische Flüchtlingsrat Auskunft. Dass in so einen Staat grundsätzlich nicht abgeschoben werden darf, liegt auf der Hand. Wenn Schwarz-Gelb seine Worte von Menschenrechten ernst meinen würde, bliebe keine andere Wahl, als das Abschiebeabkommen aufzukündigen. Ansonsten bleiben sie nichts weiter als hohle Phrasen.

*** Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011 (Kommentar)


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