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Anschlagswelle in Syrien

Mindestens 30 Tote und über 100 Verletzte bei zwei Bombenattentaten in Damaskus. Die meisten Opfer sind unbeteiligte Zivilisten. Explosion auch in Aleppo

Von Knut Mellenthin *

In Syrien sind bei Bombenanschlägen am Wochenende mindestens 30 Menschen getötet und über 100 verletzt worden. Nach zwei Attentaten in der Hauptstadt Damaskus am Sonnabend (17. März), bei denen es 27 Tote gab, erschütterte am Sonntag (18. März) eine Explosion die zweitgrößte Stadt des Landes, das im Norden gelegene Aleppo. Nach ersten, offenbar noch unvollständigen Meldungen, kamen dabei mindestens drei Menschen ums Leben.

Die Anschläge in der Hauptstadt richteten sich nach offiziellen Angaben gegen das Hauptquartier des Geheimdienstes der Luftwaffe und gegen ein Gebäude der Kriminalpolizei. Die meisten Opfer waren jedoch unbeteiligte Passanten, die sich zufällig in der Umgebung aufhielten. Außerdem soll es in Damaskus am Sonnabend der staatlichen Nachrichtenagentur SANA zufolge auch einen Selbstmordanschlag gegeben haben. Ziel des Angriffs in der Nähe des palästinensischen Flüchtlingslagers Jarmuk sei ein Militärbus gewesen. Außer den beiden Attentätern soll dabei niemand ums Leben gekommen sein.

Der Hintergrund des Anschlags in Aleppo wurde aus den ersten Meldungen nicht deutlich. Von offizieller Seite hieß es zunächst nur, die Bombe sei zwischen zwei Gebäuden in einer Wohngegend und in der Nähe eines Postamts plaziert gewesen. Syrische Oppositionskreise in London sprachen hingegen davon, daß sich in der Nähe des Tatorts ein Gebäude der Sicherheitskräfte befinde. Die Nachrichtenagentur AP zitierte Anwohner der Gegend mit der Aussage, daß dort viele Christen leben und daß die Straßen wegen des Sonntags sehr belebt gewesen seien. Viele syrische Christen haben unter Diskriminierungen und Verfolgungen durch die stark von Islamisten geprägten, teilweise bewaffneten Oppositionskräfte zu leiden.

Während die syrische Regierung für die jüngsten Anschläge die Opposition und deren ausländische Unterstützer verantwortlich machte, behaupteten einige Oppositionskreise, wie schon bei früheren Attentaten dieser Art, daß es sich um Provokationen der Sicherheitskräfte handle. Während sich zu den Terrorakten zumeist keine bestimmten Gruppen »bekennen«, erklärte sich für die beiden Anschläge vom Sonnabend eine bisher unbekannte islamistische Organisation namens »Al-Nusra Front zum Schutz der Levante« – der Begriff bezeichnet den nahöstlichen Teil der Mittelmeerregion – verantwortlich. Ziel sei es gewesen, »die Einwohner von Homs zu rächen«. In dieser Stadt war es wiederholt zu heftigen Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Rebellen gekommen.

Am Sonnabend meldete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf einen anonymen saudi-arabischen Diplomaten, daß sein Land eine Waffenlieferung an die Rebellen der »Freien Syrischen Armee« geschickt habe. Der Transport befinde sich zur Zeit in Jordanien. Während es zu diesem nicht überprüfbaren Bericht zunächst keinen Kommentar aus Saudi-Arabien gab, wies das jordanische Informationsministerium die Geschichte als »jeder Grundlage entbehrend« zurück.

Tatsächlich ist nicht auszuschließen, daß es sich bei der Meldung um eine Provokation handelte, die die Beziehungen zwischen Damaskus und Amman verschlechtern sollte. Realer Hintergrund ist allerdings, daß die Regimes in Saudi-Arabien und Katar sich in der Vergangenheit schon mehrfach offen dafür ausgesprochen haben, bestimmte Oppositionskräfte in Syrien mit Waffen zu unterstützen.

* Aus: junge Welt, 19. März 2012


Wahhabiten liefern Waffen

Schützenhilfe aus Saudi-Arabien für Syriens Regierungsgegner

Von Ingolf Bossenz **


In Syrien nähert sich die Eskalation der Gewalt immer mehr dem Point of no Return, dem Punkt, an dem jede Chance für eine Verhandlungslösung zerstört ist.

»Wenn der Wind weht, löscht er die Kerze aus und facht das Feuer an.« Das arabische Sprichwort passt auf die derzeitige Situation in Syrien, in der täglich neue, exzessivere Gewalt die Frontlinien der politischen Kontrahenten verfestigt. Dazu gehören die Bombenanschläge, die am Wochenende in Damaskus und Aleppo über 30 Todesopfer forderten.

Im Zentrum von Damaskus hatten sich zwei Selbstmordattentäter in der Nähe der Geheimdienstzentrale der Luftwaffe und beim Hauptquartier der Kriminalpolizei mit ihren Autos gesprengt. 27 Menschen starben, 140 weitere wurden verletzt. Bei einem dritten Anschlag in der Hauptstadt auf ein Armeefahrzeug kamen ein führender Militärvertreter und drei Personenschützer ums Leben. Aus Aleppo, wo ein Gebäude im Christenviertel Al-Sulaimanja das Terrorziel war, wurden mindestens drei Menschen durch eine Autobombe getötet.

Während die Regierung von Präsident Baschar al-Assad »Terroristen« für die Morde verantwortlich machte, schob die Opposition dem Regime selbst die Täterschaft zu. Ein mittlerweile übliches Ritual.

Deutlich verschärfen könnte sich die Lage in Syrien durch eine Aktion Saudi-Arabiens. Die absolutistische Islammonarchie schickt nämlich laut Angaben eines arabischen Diplomaten Waffen an die syrischen Regierungsgegner. Militärgüter aus dem Wahhabiten-Reich seien über Jordanien unterwegs zu der von Deserteuren gegründeten »Freien Syrischen Armee«, so der Diplomat gegenüber der Agentur AFP. Es handele sich um eine Initiative, die »Massaker in Syrien« zu beenden.

Dass dadurch die letzten »Kerzen« möglicher Verständigung gelöscht und das »Feuer« des blutigen Bürgerkriegs angefacht wird, bedarf indes wohl kaum hellseherischer Gaben. Eine der wenigen Regierungen, die das noch mit weitgehend klarem Blick erkennt, ist offenbar die russische. Außenminister Sergej Lawrow kritisierte jedenfalls am Wochenende die Gewalt in Syrien als »unverhältnismäßig« - auf beiden Seiten des Konflikts. Es sei schwer vorstellbar, so Lawrow, dass sich ein politischer Prozess entwickeln könne, wenn in den Städten gekämpft werde und Regierungskräfte sich gegen bewaffnete Oppositionsgruppen zur Wehr setzen müssten. Lawrows auf der Internetseite seines Ministeriums in einem Interview erhobene Aufforderung zum Dialog dürfte in der aufgeheizten syrischen und internationalen Atmosphäre allerdings kaum noch eine Chance haben.

Viele Syrer sehen nur noch in der Flucht eine Chance. Die Zahl der in das Nachbarland Türkei Geflohenen ist mittlerweile auf fast 16 000 gestiegen. Hunderte passierten am Wochenende die Grenze.

Derweil delektiert sich die britische Presse weiter an den Belanglosigkeiten angeblicher Privat-Mails von Assad. Ob diese echt sind, ist unklar. Die Toten in Syrien sind es.

** Aus: neues deutschland, 19. März 2012


Annans Syrien-Mission

Von Detlef D. Pries ***

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat recht: Angesichts der »unverhältnismäßigen« Gewalt, derer sich beide Seiten derzeit bedienen, ist es schwer vorstellbar, dass der Konflikt in und um Syrien in einen politischen Prozess überführt und gelöst werden kann. Was vor einem Jahr mit friedlichen Protesten begann, ist zum Bürgerkrieg geworden. Durch todbringende Bombenanschläge in Damaskus und Aleppo haben Hass und Racheschwüre am Wochenende neue Nahrung erhalten. Offensichtlich ist, dass nicht nur die syrische Bevölkerung in Anhänger und Gegner Baschar al-Assads zerfällt, auch die Front der Feinde des Präsidenten ist vielfach zersplittert: in innere und äußere, gemäßigte und unversöhnliche, bewaffnete und unbewaffnete, Pazifisten und Terroristen ... Befürchtet wird inzwischen selbst in den USA, dass Al Qaida aus Irak die Oppositionsbewegung in Syrien unterwandert hat. Und ein »hochrangiger arabischer Diplomat« gibt zu, dass Saudi-Arabien die Assad-Gegner mit Waffen versorgt.

Gefährlich viele Interessenten drängen ans Feuer des syrischen Krieges. Kofi Annan, Syrien-Sondergesandter der UNO und der Arabischen Liga, hat also eine nahezu unvorstellbar schwierige Aufgabe übernommen. Russland unterstützt seine Mission, indem es Damaskus zur »vollen Kooperation« drängt - versichert Lawrow. Wann warnt Hillary Clinton ihrerseits die Saudis - des Westens liebste Rüstungsgüterkunden - davor, weiteres Öl ins Feuer zu gießen? Und wann endlich wird die syrische Opposition zum politischen Dialog bewegt? Geschieht das nicht, wird der ehemalige UNO-Generalsekretär zwangsläufig scheitern.

*** Aus: neues deutschland, 19. März 2012 (Kommentar)


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