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Des Elends überdrüssig

In Swasiland verteidigt Monarch Miswati III. unerträgliche Verhältnisse mit brutaler Repression gegen ein zunehmend aufsässiges Volk

Von Raoul Rigault *

Seit jeher fürchten die Herrschenden die Ansteckungsgefahr von Revolten und Revolutionen. Zu Recht, denn die Ausstrahlungskraft der Aufstände im arabischen Raum reicht bis an die Südspitze Afrikas. Unter dem Eindruck des Sturzes der Diktaturen in Ägypten und Tunesien erlebte das zwischen Moçambique und der Republik Südafrika gelegene Königreich Swasiland vom 12. bis 14. April, weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, einen veritablen Volksaufstand. Nur durch den rücksichtslosen Einsatz von Polizei und Militär gegen die von Arbeiterorganisationen, Lehrerverbänden und Jugendgruppen getragenen Proteste konnte die Bewegung für den Moment erstickt werden. Nach der kollektiven Verhaftung der Gewerkschaftsführung, während der Beratungen über die weitere Strategie, fordert die Swaziland Federation of Labour, bislang erfolglos, Sanktionen der internationalen Gemeinschaft gegen das Regime von König Miswati III.

Angesichts der unerträglichen Verhältnisse ist die nächste Explosion des Volkszorns in dem 1,3 Millionen Einwohner zählenden Land nur eine Frage der Zeit. Mit 43 Prozent ist die Erwerbslosenquote eine der höchsten weltweit. Ein Viertel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfen aus dem Ausland angewiesen, obwohl 70 Prozent der Swasis Ackerbau und Viehzucht betreiben, allerdings meist als Subsistenzwirtschaft. Die Sterblichkeitsrate ist die zwölfthöchste der Welt und wird fast nur noch von Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätzen übertroffen. Laut dem US-Blatt Cristian Science Monitor beträgt die Lebenserwartung nur 32 Jahre, und der Anteil der HIV-Infizierten liegt bei einem Drittel der Bevölkerung. Neben AIDS sind auch bakteriell bedingter Durchfall, Tuberkulose, Typhus, Hepatitis A sowie Malaria Geißeln der Swasis. Drei von zehn Kindern sind entweder Waise oder leben bei einem bereits schwer erkrankten Elternteil.

Afrikas letzte absolute Monarchie zählt global zur mittleren Einkommenskategorie. Immerhin ist das Land drittgrößter Zuckerproduzent des Kontinents. Daneben sind Limonadenkonzentrat, Textilien, Holzprodukte und Eisenerz die wichtigsten Ausfuhrgüter. Nur sechs Prozent des Staatshaushaltes fließen jedoch ins Gesundheitswesen, und gerade mal 2,4 Prozent gibt die Regierung für soziale Dienste aus. Zugute kommt der vorhandene Reichtum vor allem der königlichen Familie und ihrem Hofstaat. Nach Recherchen des US-Wirtschaftsmagazins Forbes streichen der 42jährige Miswati III., seine 13 Frauen und zahllosen Kinder umgerechnet 200 Millionen US-Dollar im Jahr ein. Fünf Prozent der gesamten Ressourcen gehen so an das Herrscherhaus, während 70 Prozent der Untertanen mit einem Dollar am Tag auskommen müssen. Eine Hinterlassenschaft der britischen Kolonialzeit, denn bei der Unabhängigkeit 1968 sicherte der »Royal Fund« ihm und nicht dem Staat die Rechte am Erlös aus Zuckeranbau, Forstwirtschaft und Bergbau.

Bis in die 90er Jahre hinein erfreute sich das Königreich aufgrund einer betont investorenfreundlichen Politik und dem internationalen Embargo gegen das Rassistenregime im Nachbarland einer gewissen Prosperität, da viele Unternehmer aus Imagegründen hier produzierten, um den südafrikanischen Markt zu bedienen. Aktuell entsprechen die Wachstumsraten bestenfalls noch dem Bevölkerungswachstum. Im Krisenjahr 2009 entging man mit 0,4 Prozent nur knapp der Rezession. Für 2010 wurden 1,5 Prozent verzeichnet, und für das laufende Jahr hofft man auf 1,8.

Immer wieder wird das Land von längeren Trockenperioden heimgesucht. Schmerzhaft war auch die 2007 erfolgte Senkung der EU-Zuckerpreise um 17 Prozent. Von Zollvergünstigungen – den sogenannten Zuckerpräferenzen der EU – war das Königreich bis dato in starkem Maße abhängig. Der Preisanstieg auf dem Weltmarkt konnte das nur zum Teil ausgleichen. Bemühungen um eine Diversifizierung der Wirtschaft blieben im Ansatz stecken. Mit einem Plus von geschätzt einem Prozent hinkt die Industrie noch hinter der Gesamtentwicklung her, und auch Pläne zu einem massiven Ausbau des Tourismus bleiben vorerst Phantasie, da nicht zuletzt der hohe Anteil von AIDS- und TBC-Kranken ausländische Geldgeber abschreckt. Hinzu kommen erhebliche Probleme bei der Infrastruktur in einem Land, in dem nur ein Fünftel der Menschen in urbanen Zentren lebt und die Hauptstadt Mbabane gerade mal 74000 Einwohner zählt.

Ein weiteres Problem bilden die häufigen Stromausfälle, aufgrund der mangelnden Kraftwerkskapazität. 85 Prozent der elektrischen Energie müssen importiert werden. Im Verbund mit den anderen Problemen ist das inzwischen auch in der Handelsbilanz bemerkbar. Das Defizit betrug in den letzten beiden Jahren zwischen 226 und 247 Millionen Dollar, womit jeweils rund ein Siebtel der Einfuhren nicht durch Ausfuhren gedeckt war. Zugleich stieg die Auslandsverschuldung von 411 auf 497 Millionen Dollar. Infolge rückläufiger Einnahmen erreichte der Fehlbetrag des Staatshaushaltes 2010 mit 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes einen kritischen Wert. Trotz geplanter Einschnitte, insbesondere durch Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, wird für 2011 ein Minus von 11,3 und für das kommende Jahr von weiteren zehn Prozent erwartet.

Angesichts dieser Ausgangslage dürfte Dimpho Motsamai vom Institute for Security Studies in Pretoria Recht behalten, der nach der Niederschlagung der Proteste Mitte April meinte: »Ich denke, das ist eine Gelegenheit für die Bewegung, sich zu reorganisieren und eine bessere Strategie zu entwickeln. Ich glaube nicht, daß dies das Ende der Geschichte ist.«

* Aus: junge Welt, 12. Mai 2011


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