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Eskalation der Gewalt

Zehntausende auf der Flucht vor Kämpfen zwischen Rebellen und Regierung in Südsudan

Von Simon Loidl *

Die Situation in Südsudan verschärft sich weiter. Die Vereinten Nationen (UN) meldeten Mitte der Woche, daß bereits mehr als 400000 Menschen vor den Kämpfen zwischen Armee und Rebellen geflohen seien. Tausende sind nach Angaben von Beobachtern während der vergangenen Wochen getötet worden. Am Sonntag sind bei einem Fährunglück mindestens 200 Menschen ertrunken. Sie hatten versucht, vor den Gefechten in der Stadt Malakal, der Hauptstadt des an der Grenze zum Sudan gelegenen Bundesstaates Upper Nile, zu fliehen. Die Fähre, mit der sie den Weißen Nil überqueren wollten, war Berichten zufolge völlig überfüllt und kenterte.

Der Südsudan wird derzeit von den heftigsten Auseinandersetzungen seit Gründung des Staates im Juli 2011 erschüttert. In fünf der zehn Bundesstaaten kämpfen Aufständische gegen Armee und Regierung. Mehrere Städte waren zumindest vorübergehend bereits in der Hand der Rebellen. Erst Ende vergangener Woche konnte die Armee Bentiu, die Hauptstadt des Bundesstaates Unity, nach eigenen Angaben zurückerobern. Unterdessen weitet sich der Konflikt zu einer Krise der gesamten Region aus. Am Mittwoch bestätigte Ugandas Präsident Yoweri Museveni, daß die Armee seines Landes an der Seite der südsudanesischen Streitkräfte in die Kämpfe eingegriffen habe.

Die Auseinandersetzungen begannen Mitte Dezember. Bei den Aufständischen handelt es sich um Anhänger des ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar. Dieser und andere durch Südsudans Präsident Salva Kiir entmachtete Politiker werfen letzterem Korruption und Unfähigkeit vor. Kiir wiederum versucht seit seinem Machtantritt im Juli 2011 systematisch, seine Machtposition auszubauen und sich potentieller Rivalen zu entledigen. Mit einer derartigen Eskalation in dem seit der Abspaltung vom Sudan krisengeschüttelten Land hatten Beobachter allerdings bis vor kurzem nicht gerechnet.

In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba finden bereits Gespräche zwischen Regierung und Vertretern der Rebellen statt. Dennoch steigert sich die Gewalt weiter, täglich werden neue Gefechte gemeldet. Am Mittwoch kündigte die Regierung laut der Onlinezeitung Sudan Tribune an, Handynetzwerke in den umkämpften Regionen abzuschalten.

Die heftigsten Auseinandersetzungen finden in den nördlichen Teilen des Südsudan statt. Viele Menschen versuchen, von dort in den Sudan zu gelangen – das Land, aus dem nach der Spaltung vor zweieinhalb Jahren viele erst in den Süden gekommen waren. Auch nach Uganda, Kenia und Äthiopien sind UN-Angaben bereits Zehntausende geflohen. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge versucht jedoch, im Land selbst der Gewalt zu entkommen. Etwa 65000 suchen allein in UN-Einrichtungen Schutz.

Mitte der Woche verurteilte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erneut die Gewalt. Er warf beiden Seiten in dem Konflikt vor, Hilfsgüter zu stehlen. Für Flüchtlinge und Notleidende bestimmte Nahrungsmittel und Fahrzeuge seien demnach von Armee und Rebellen konfisziert worden. Zudem sind nach UN-Darstellung Krankenhäuser mit der großen Anzahl von Verletzten stark überfordert. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO warnte vor einer noch größeren Katastrophe. Bereits vor Beginn der Kämpfe gab es demnach Warnungen vor einer drohenden Lebensmittelknappheit im Südsudan.

Hinzu kommt, daß durch die Kämpfe die Ölförderung stark beeinträchtigt ist. Diese ist nicht nur weiterhin Ursache für Konflikte mit dem Sudan, sondern stellt auch die wichtigste Einnahmequelle des Südsudan dar. Die mittelfristigen negativen Folgen der derzeitigen Auseinandersetzungen für die Menschen im Südsudan sind somit derzeit noch gar nicht absehbar.

* Aus: junge welt, Freitag, 17. Januar 2014


Unter den Augen der Welt

Polizeiausbilder und Kriegsgerät für den Südsudan

Von Jörg Kronauer **


Am 24. März 2005 beschloß der UN-Sicherheitsrat die Entsendung von bis zu 10000 Soldaten in den Sudan (United Nations Mission in Sudan – UNMIS). Die Truppe sollte dort die Einhaltung des Friedensvertrages zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien überwachen. Am 22. April 2005 beschloß der Bundestag, Deutschland solle sich an UNMIS beteiligen. Seitdem sind Soldaten der Bundeswehr im Südsudan im Einsatz. Es sind nicht allzu viele: UN-Interventionen haben den Vorteil, daß die Masse der Militärs von ärmeren Staaten wie Bangladesch oder Pakistan gestellt wird, die froh sind, wenn jemand den Sold für ihre Truppen bezahlt. Dennoch ist es Berlin wichtig, im Südsudan präsent zu sein. Über UNMISS (United Nations Mission in South Sudan) – sie führte am 9. Juli 2011 UNMIS weiter – heißt es bei der Bundeswehr: »Kernaufgaben von UNMISS sind die Unterstützung der Regierung bei der Friedenskonsolidierung, beim Staatsaufbau und der wirtschaftlichen Entwicklung.« Die Stabilisierung des Staates Südsudan aber ist ein strategisches Ziel Berlins, und deshalb sind nach wie vor bis zu 50 deutsche Soldaten in dem Land stationiert.

Unter den Augen von UNMIS und damit auch der Bundeswehr konnte der Südsudan ab 2005 aufrüsten. Dem unabhängigen »Small Arms Survey« aus Genf zufolge war die Ukraine sein Hauptlieferant für Kleinwaffen; in Kiew war Anfang 2005 die prowestliche Regierung von Wiktor Juschtschenko ans Ruder gekommen. Die Ukraine lieferte dem Südsudan auch schweres Kriegsgerät. Diese Erkenntnis verdankt die Weltöffentlichkeit einigen somalischen Piraten, die am 25. September 2008 den ukrainischen Frachter »MV Faina« kaperten und auf ihm zu ihrem großen Erstaunen 33 Kampfpanzer T-72 sowie zahlreiche Panzerfäuste, Raketenwerfer und ähnliche Gerätschaften fanden. Als Empfänger war in den Lieferdokumenten »MoD/GoSS« angegeben; das Kürzel wird gemeinhin als »Ministry of Defense/Government of South Sudan« entziffert. Experten entdeckten die T-72 später tatsächlich im Südsudan.

Der »Small Arms Survey« beklagte schon 2012, der von UNMIS tolerierte Zufluß von Kriegsgerät, vor allem von Schußwaffen, schüre ethnische Konflikte im Südsudan. Tatsächlich forderten derlei Konflikte bereits 2011 mehr als 3000 Todesopfer, über 100000 Menschen mußten fliehen. In den aktuellen Kämpfen kommen die Waffen erneut zum Einsatz. Ihr Transport in den Südsudan wurde vom Westen gebilligt, weil sie helfen sollten, die geostrategisch erwünschte Abspaltung des Landes von Khartum unumkehrbar zu machen. Absehbare »Kollateralschäden« waren dabei egal.

** Aus: junge welt, Freitag, 17. Januar 2014


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