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Rebellion im Südsudan

Provinzstadt von Aufständischen kontrolliert. Hunderte Menschen getötet, Tausende auf der Flucht. Bundeswehr an UN-Mission beteiligt. In Juba soll deutscher General "festsitzen"

Von Simon Loidl *

Nach schweren Kämpfen am Mittwoch hat die südsudanesische Regierung in der Nacht zu Donnerstag die Kontrolle über die Stadt Bor verloren. Dies berichteten Nachrichtenagenturen und internationale Medien unter Berufung auf lokale Beobachter. Laut der in Frankreich betriebenen Onlinezeitung Sudan Tribune bestätigte die Armee des Landes, die aus der südsudanesischen Befreiungsbewegung hervorgegangene Sudan People’s Liberation Army (SPLA), daß sie die Kontrolle über das etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Juba gelegene Bor verloren habe. Bereits am Dienstag haben demnach abtrünnige Militärs unter Führung von General Peter Gadet Yak Militäreinrichtungen besetzt. Am Mittwoch abend übernahmen die Aufständischen schließlich nach Kämpfen die Kontrolle über die Hauptstadt des größten südsudanesischen Bundesstaates Jonglei.

Unterdessen sollen bereits Hunderte Menschen bei den Unruhen getötet worden sein, Tausende versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Die Vereinten Nationen berichteten, daß etwa 20000 Zivilisten in den UN-Gebäuden in Juba Zuflucht suchten. Westliche Länder begannen damit, ihre Staatsbürger und Botschaftsangehörigen aus dem Südsudan auszufliegen. Die BBC berichtete von einer »Luftbrücke« zur Evakuierung britischer Staatsangehöriger.

Die Auseinandersetzungen hatten Anfang der Woche in Juba begonnen. Am Montag hatte Präsident Salva Kiir in einer TV-Sendung berichtet, daß es ihm gelungen sei, einen Putsch zu verhindern. Der frühere Vizepräsident Riek Machar habe versucht die Macht an sich zu reißen, so Kiir. In den darauffolgenden Tagen kam es nach Darstellung internationaler Medien in der Hauptstadt zu Kämpfen zwischen regierungsloyalen Kräften und Anhängern Machars. Dieser wies alle Anschuldigungen von sich. Laut Sudan Tribune sagte Machar, daß er mit den Auseinandersetzungen nichts zu tun habe. Zudem handle es sich nicht um einen Putschversuch. Es habe lediglich ein »Mißverständnis zwischen Angehörigen der Präsidentengarde« gegeben, so Machar gegenüber der Sudan Tribune. Salva Kiir habe dies für einen weiteren Versuch ausgenutzt, Kritiker in den eigenen Reihen loszuwerden.

Innerhalb der regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) findet ein Machtkampf statt. Im Juli dieses Jahres hatte Kiir sein gesamtes Kabinett entlassen, darunter auch Vizepräsident Machar. Dieser hatte sich zuvor für einen Wechsel an der Regierungsspitze ausgesprochen. Kritiker werfen Präsident Kiir vor, die ökonomischen und politischen Probleme in dem 2011 vom Sudan abgespaltenen Staat nicht in den Griff zu bekommen. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden, es fehlt in weiten Teilen an grundlegender Infrastruktur. Hinzu kommen die anhaltenden Auseinandersetzungen mit dem Sudan um Grenzverlauf und Modalitäten der Förderung und des Transports des Öls. Der wichtigste Rohstoff beider Länder liegt vorwiegend im Südsudan, während sich Transportinfrastruktur wie auch der Exporthafen im Sudan befinden. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Volksgruppen und zu Auseinandersetzungen zwischen Rebellengruppen und der Armee.

Die Krise im Südsudan ruft einmal mehr auch die deutsche Militärpräsenz in dem jüngsten afrikanischen Land in Erinnerung. Am Donnerstag berichtete die Rheinische Post, daß ein deutscher General in Juba »festsitzen« würde. Die Bundeswehr ist mit bis zu 50 Soldaten an der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) beteiligt. Die Mission soll laut Eigendarstellung zur »Konsolidierung von Frieden und Sicherheit« im Südsudan beitragen und Regierung und Behörden des Landes bei der Befriedung der teilweise ethnisch aufgeladenen Auseinandersetzungen unterstützen. Die deutschen Soldaten agieren als Verbindungsoffiziere der SPLA, der Organisationen wie Human Rights Watch immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen haben. Die einseitige Einmischung in die komplexen Konflikte in der Region hat eine lange Tradition. Westliche Staaten haben in den vergangenen Jahren stets Juba unterstützt und zur Abspaltung des Südens vom Sudan vor zweieinhalb Jahren beigetragen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 20. Dezember 2013


Aufruf zum Putsch in Südsudan

Westliche Staaten fliegen ihre Bürger aus **

Nach tagelangen blutigen Unruhen hat der frühere südsudanesische Vizepräsident Riek Machar die Armee des Landes zum Putsch gegen Staatschef Salva Kiir aufgefordert. Er rufe die Ex-Rebellenorganisation und jetzt regierende Sudanesische Volksbefreiungsbewegung »dazu auf, Salva Kiir von seinem Amt an der Staatsspitze zu stürzen«, sagte Machar am Donnerstag dem französischen Sender RFI. »Wenn Kiir über die Bedingungen für seinen Rückzug verhandeln will, sind wir dazu bereit, aber er muss zurücktreten«, ergänzte Machar.

Bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Fraktionen der Armee wurden in Südsudan seit Sonntag Hunderte Menschen getötet. Bereits am Montag warf Kiir seinem langjährigen Rivalen Machar, den er im Juli als Vizepräsidenten entlassen hatte, einen Putschversuch vor. Machar wies den Vorwurf zurück. Am Mittwoch erklärte sich Kiir zu Gesprächen mit Machar bereit. Die Kämpfe hielten aber weiter an. Deutschland und andere westliche Staaten schickten Flugzeuge nach Juba, um Hunderte ihrer Bürger auszufliegen. Ein Vertreter eines chinesischen Unternehmens gab an, Bewaffnete hätten bei einem Angriff fünf Mitarbeiter des wichtigen Ölfelds Unity getötet.

Derweil hat die südsudanesische Armee offenbar die Kontrolle über die wichtige Stadt Bor im Osten des Landes an Rebellen verloren. Anhänger des regierungskritischen Generals Peter Gatdet Yak hätten zunächst die Militärkasernen in der Hauptstadt des Bundesstaates Jonglei angegriffen und schließlich am Mittwochabend die ganze Stadt eingenommen, hieß es.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Dezember 2013


Drohender Flächenbrand

Martin Ling über die Unruhen in Südsudan ***

Die Einigkeit war überwältigend: 99 Prozent der Südsudanesen sprachen sich beim Referendum 2011 für die Unabhängigkeit aus. Sie bekamen ihren Willen und damit wurde der 55. afrikanische Staat Wirklichkeit. Doch schon damals war klar, dass es mit der Einigkeit in Fragen jenseits der Abgrenzung zum Norden so weit nicht her ist. Schließlich hatte es schon vor der Unabhängigkeit immer wieder Scharmützel zwischen südsudanesischen Ethnien gegeben, vor allem zwischen Dinka und Nuer, und die Murle standen im Krieg zwischen Nord und Süd gar bisweilen auf der Seite des Nordens. Viel interner Zündstoff für eine gemeinsame Zukunft.

Ethnische Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene flackerten auch im unabhängigen Südsudan immer wieder auf – Anfang 2012 mit tausenden Toten in Jonglei. Die jetzige Situation ist freilich weit gefährlicher: Ein offener Bruch in der nationalen Regierung, Kämpfe in der Hauptstadt Juba grob entlang der Linie der beiden wichtigsten Ethnien Dinka und Nuer. Ein Machtkampf, der die Zukunft Südsudans gefährden kann. Ob der im Juli geschasste Vize Riek Machar, ein Nuer, einen Putschversuch gegen Präsident Salva Kiir, einen Dinka, unternommen hat, ist offen – Aussage steht gegen Aussage. Sicher ist, dass die Politiker mit dem Feuer spielen. Südsudan eignet sich für einen Flächenbrand – das zeigt die Geschichte.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Dezember 2013 (Kommentar)


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