Überfluss gibt's nur bei den Problemen
In Südsudan kommt der Staatsaufbau nur langsam voran, während die Armut und die Flüchtlingszahlen rapide steigen
Von Markus Schönherr, Kapstadt *
Die sozioökonomische Bilanz von
Südsudan ein Jahr nach der Unabhängigkeit
sieht kärglich aus: Das Volk
lebt in Armut und der Staat steht vor
der Pleite.
Zu seinem einjährigen Geburtstag
hofft der jüngste afrikanische Staat
auf ein besonderes Geschenk: die
Rückzahlung von vier Milliarden
US-Dollar, die korrupte Beamte
seit der Abspaltung gestohlen haben.
In einem Brief rief Präsident
Salva Kiir 75 aktuelle und ehemalige
Beamte Anfang Juni auf, die
»enorme Summe« zurückzuzahlen.
Man habe zusammen für Frieden,
Gerechtigkeit und Gleichheit
gekämpft. Jetzt vergesse man dies
und bereichere sich auf Kosten
anderer. Kiir hat erkannt: »Die
Glaubwürdigkeit der Regierung
steht auf dem Spiel.« Viele Beamte
sind einstige Freiheitskämpfer der
Sudanesischen Volksbefreiungsarmee
(SPLA), deren politischer
Arm heute das Land regiert.
Der Süden wurde von der Regierung
in Khartum jahrzehntelang
vernachlässigt, in zwei Bürgerkriegen
(1955-1972 und 1983-
2002) kämpfte das Volk um Anerkennung.
Die SPLA setzte sich für
die Gleichberechtigung aller Sudanesen
ein. Ihre Vision war ein
friedliches Zusammenleben des
christlich geprägten Südens und
des arabischen Nordens. Nach
dem Tod des Gründungsvaters der
SPLA, John Garang, hieß die neue
Devise hingegen: Abspaltung!
2005 bekam der Südsudan
durch das Umfassende Friedensabkommen
(CPA) eine teilweise
Autonomie. Im Januar 2011 votierten
etwa 99 Prozent der Südsudanesen
für die Abspaltung und
Unabhängigkeit von Südsudan. Die
Verwaltung befindet sich noch im
Aufbau und eine zentrale Kontrolle
über die Finanzen fehlt, was das
System besonders anfällig macht
für Korruption.
Dabei bräuchte der junge Staat
derzeit alle verfügbaren Mittel.
Nach einem Bericht der Weltbank
könnte Südsudan schon im Juli der
Staatsbankrott drohen. Die Regierung
beschwichtigt, die Einschätzung
sei übertrieben. Die Devisenvorräte
gehen zur Neige, vor allem
seit Südsudan zu Jahresbeginn die
Ölförderung gestoppt hat. Der Süden
hatte die Regierung in Khartum
beschuldigt, den Rohstoff aus
der Leitung abzuzapfen. 98 Prozent
der südsudanesischen
Staatseinkünfte kamen aus dem
Geschäft mit Öl. Vorerst wurden
alle Straßen- und Siedlungsprojekte
gestoppt.
Der Konflikt zwischen Nord
und Süd wird nicht nur an der
wirtschaftlichen Front ausgetragen.
Die Streitkräfte der sudanesischen
Armee bombardieren immer
noch die Grenzregionen, in denen
mehrheitlich ethnische Südsudanesen
leben. Im Juni löste die
Bombardierung eine neue Flüchtlingswelle
aus. Das UN-Flüchtlingskommissariat
(UNHCR) berichtete
von 35 000 Vertriebenen,
die in den Süden flohen.
Seit das UNHCR vorletztes Jahr
im Südsudan aktiv wurde, flohen
mehr als eine viertel Million Menschen
aus den bombardierten Gebieten
Richtung Juba, sagte der
UNHCR-Sprecher Mark Kyria gegenüber
»nd«. Positiv geändert
habe sich ihr Status. »Waren die
Flüchtlinge früher nur intern Vertriebene,
überqueren die Menschen
heute eine internationale
Grenze. Als Flüchtlinge haben sie
mehr Rechte und mehr Pflichten«,
so Kyria. Die neuen Flüchtlinge aus
dem Norden trafen in den Auffanglagern
auf bereits 70 000
Hilfsbedürftige. Auch im restlichen
Land grassiert die Armut. Laut der
Hilfsorganisation Oxfam ist die
Hälfte der rund zehn Millionen
Einwohner von Hunger bedroht.
Die Entwicklungshilfe aus dem
Ausland schreitet mäßig voran,
dabei zählt für den Südsudan jede
Woche. Präsident Kiir bekennt sich
zu guter Regierungsführung, die
aber nicht über Nacht erreicht
werden könne. Seine Offenheit
macht ihn attraktiv für Geberländer.
Die EU steckte gemeinsam 285
Millionen Euro in Projekte und USPräsident
Obama stellte 20 Millionen
Euro bereit, um die Flüchtlingskrise
zu bewältigen. Denn zu
den Flüchtlingen, die mit dem
letzten Schwall gekommen waren,
gesellten sich kürzlich 12 000 Verstoßene
aus dem Sudan. Ihnen
fehlte das Geld für ein Visum, um
in der Hauptstadt Khartum zu
bleiben. Die Internationale Organisation
für Migration (IOM) holte
sie über eine Luftbrücke nach
Hause.
»Zu Hause«, nennen allerdings
nur wenige von ihnen den Süden:
Viele Jugendliche betraten zum
ersten Mal in ihrem Leben südsudanesischen
Boden. Die meisten
von ihnen sind mittellos. Ein Experiment
mit offenem Ausgang.
Das gilt auch für den Südsudan
insgesamt.
* Aus: neues deutschland, Montag, 9. Juli 2012
Konflikte in Südsudan
18.8.1955: Beginn des ersten
Krieges Südsudans gegen die Dominanz
des arabisch-islamischen
Nordens
1.1.1956: Unabhängigkeit der
Republik Sudan
27.3.1972: Abkommen zur Beendigung
des Krieges in Südsudan
5.6.1983: Beginn des zweiten
Krieges in Südsudan durch Sudan
Peoples Liberation Movement/
Army (SPLM/A)
30.6.1989: Machtübernahme
durch General Omar Al-Baschir
20.7.2002: »Protokoll von Machakos
« (Kenia): Abkommen
zwischen Regierung und SPLM/A
9.1.2005: Friedensabkommen
CPA zur Beendigung des Krieges
in Südsudan
24.3.2005: UN-Sicherheitsrat
beschließt UN-Mission in Sudan
(UNMIS)
9.7.2005: Übergangsverfassung;
Beginn einer sechsjährigen
Übergangsperiode
11.-15.4.2010: Präsidentenwahlen:
Baschir wird im Amt bestätigt;
in Südsudan siegt der regionale
Amtsinhaber Salva Kiir
(SPLM)
9.1.2011: Referendum über die
Zukunft Südsudans
8.7.2011: Der UN-Sicherheitsrat
bewilligt für die Friedenskonsolidierung
die Bildung der United
Nations Mission in the Republic
of South Sudan (UNMISS)
9.7.2011 Unabhängigkeit
1.9.2011 Amtsantritt der ersten
Regierung in Südsudan
9.4.2012: SPLA bringt Ölfeld
Heglig unter ihre Kontrolle,
schwere Kämpfe mit sudanesischer
Armee
23.4.2012: Abzug der Truppen
der SPLA abgeschlossen
5.7.2012: UN-Sicherheitsrat
verlängert UNMISS ML
(nd, 09.07.2012)
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