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Zivilisten unter Waffen

Wolf-Christian Paes über die gewaltsamen Konflikte in Südsudan *


Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC). Das BICC arbeitet in Südsudan am Aufbau von Institutionen, die Frieden und Sicherheit stärken sollen. Über die Lage Südsudans sechs Monate nach der Staatsgründung und angesichts der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Lou Nuer und den Murle in der Provinz Jonglei sprach mit ihm für "neues deutschland" (»nd«) Martin Ling.


nd: Scharmützel mit vielen Toten zwischen den Lou Nuer und den Murle bestimmen derzeit die Schlagzeilen aus Sudan. Steht dieser Konflikt in einem Zusammenhang mit dem sich im Prozess befindenden Aufbau des jungen Staates Südsudan?

Paes: Indirekt ja, direkt nein. Die Konflikte zwischen den Lou Nuer und den Murle im Bundesstaat Jonglei sind nicht neu. Es handelt sich um Konflikte, deren Ursprung jahrzehnte-, wenn nicht gar jahrhundertelang zurückliegt. Das sind zwei verfeindete Volksstämme, die sich immer wieder Auseinandersetzungen liefern, bei denen es im Wesentlichen um Vieh geht. Vieh hat als Symbol von Reichtum und sozialem Status eine ganz große Bedeutung für viele Volksstämme in Südsudan, aber auch in Ostafrika.

Eine indirekte Beziehung gibt es zwischen dem Staatsaufbau und diesen Konflikten insofern, als dass die neue Regierung des Südsudans offenkundig noch nicht in der Lage ist, ihre Bevölkerung effektiv zu schützen. Zumindest nicht in der entfernten Provinz. Das gilt allerdings nicht nur für Südsudan, sondern in ähnlicher Form auch für andere Staaten am Horn von Afrika. Äthiopien, Kenia und Uganda haben ebenfalls diese Art von Auseinandersetzungen.

Ist die relativ hohe Zahl der Toten eine Folge der Militarisierung des Landes infolge des jahrzehntelangen Bürgerkriegs?

Ja, hier gibt es ganz eindeutig einen Zusammenhang. Durch die vielen modernen Waffen, die in den letzten Jahren infolge des Bürgerkriegs ins Land gekommen sind, wurden die Konflikte deutlich militarisiert. Einst wurden Konflikte mit Speeren oder Pfeil und Bogen ausgetragen, heute mit Sturmgewehren. Mit natürlich ganz dramatischen Folgen insbesondere für die Zivilbevölkerung.

Sie sind Berater der südsudanesischen Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration. Wie ist da der Stand?

Mit Blick auf diese lokalen Konflikte muss man erst mal festhalten, dass die Entwaffnung von Zivilisten nicht zum Mandat der Demobilisierungskommission gehört. Dafür sind andere Regierungseinrichtungen zuständig. Der Demobilisierungsprozess selber wendet sich an die Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei und der paramilitärischen Gruppen, nicht jedoch der Zivilbevölkerung. Hier muss man feststellen, dass vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Unabhängigkeit Südsudans seit Anfang 2011 der Demobilisierungsprozess gestoppt wurde und wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2012 neu beginnen wird.

Mit einer neuen Strategie?

Ja, mit einem neuen Konzept, mit neuen Partnern, neuen Ideen. Das könnte lokale Konflikte entschärfen, wenn es uns hoffentlich gelingt, nicht nur Soldaten abzurüsten, sondern auf der anderen Seite auch eine neue Polizei aufzubauen. Dazu braucht man Ressourcen, die zum Beispiel durch den Demobilisierungsprozess freigesetzt werden können, um so einen effektiveren Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Im Augenblick haben wir das Problem, dass wir es mit einem Sicherheitssektor zu tun haben, der viel zu groß ist, gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der externen Bedrohung des Landes. Andererseits ist dieser nach außen gerichtete Sicherheitsapparat nicht in der Lage, die Bevölkerung vor dieser Art von Konflikten effektiv zu schützen. In den nächsten Jahren sollen über 150 000 Angehörige dieses Sicherheitssektors demobilisiert werden. Erst wenn das geschieht, kann man ernsthaft über den Aufbau eines neuen Sicherheitsapparats nachdenken, weil man jeden Euro oder Dollar ja nur einmal ausgeben kann.

Die internen Konflikte in Südsudan haben die Auseinandersetzungen mit dem Norden überlagert. Herrscht in den Grenzgebieten Süd-Kordofan und Blauer Nil inzwischen wieder Frieden?

Mein Eindruck ist nicht, dass es sich beruhigt hat. Mein Eindruck ist, dass sich die Medienöffentlichkeit verlagert hat. Das ist relativ stark davon abhängig, was man so erfährt. Meines Wissens gibt es nach wie vor kaum internationales Personal in Süd-Kordofan oder Blauer Nil, zumindest in den Teilen, wo gekämpft wird. Auf dem Verhandlungswege wurde der Konflikt auch nicht beigelegt. Möglicherweise wird im Augenblick weniger gekämpft. Bei meinem Sudanaufenthalt vor Weihnachten ließ die Regierung in Khartum verlauten, sie hätte einige wichtige Stellungen der südsudanesischen Armee erobert. Da es dort keinerlei unabhängige Beobachter gibt, lässt sich das nicht verifizieren. Das Drama hier ist, dass die UNO, die neutral informieren sollte, im Sommer 2011 Nordsudan hat verlassen müssen. Seitdem sind wir darauf angewiesen, was uns die beiden Konfliktparteien sagen. Deshalb gibt es keine gesicherten Informationen und das lässt Schlimmes befürchten.

* Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012

Chronik: Konflikte im Südsudan

18. 8. 1955 Beginn des ersten Krieges Südsudans gegen die Dominanz des arabisch-islamischen Nordens

1. 1. 1956 Unabhängigkeit der Republik Sudan

27. 3. 1972 Abkommen zur Beendigung des Krieges in Südsudan

5. 6. 1983 Beginn des zweiten Krieges in Südsudan durch Sudan Peoples Liberation Movement/Army (SPLM/A)

30. 6. 1989 Machtübernahme durch General Omar Al-Baschir

20. 7. 2002 »Protokoll von Machakos« (Kenia): Abkommen zwischen Regierung und SPLM/A

9. 1. 2005 »Comprehensive Peace Agreement« (CPA) zur Beendigung des Krieges in Südsudan

24. 3. 2005 UN-Sicherheitsrat beschließt UN-Mission in Sudan (UNMIS)

9. 7. 2005 Übergangsverfassung; Vereidigung von John Garang als Vizepräsident; Beginn einer sechsjährigen Übergangsperiode

11. - 15. 4. 2010 Präsidentenwahlen: Baschir wird im Amt bestätigt; in Südsudan siegt der regionale Amtsinhaber Salva Kiir (SPLM) mit 93,0 Prozent

9. 1. 2011 Referendum über die Zukunft Südsudans

8.Juli 2011 Der UN-Sicherheitsrat bewilligt für die Friedenskonsolidierung in der Resolution 1996 vom 8. Juli 2011 die Bildung der United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS; zunächst bis 8. Juli 2012) mit bis zu 7000 Personen militärisches Personal und bis zu 900 Polizeikräften.

9. 7. 2011 Unabhängigkeit

Juli/August 2011 Stammeskämpfe im Bundesstaat Jonglei mit mehreren Hundert Toten

1.9.2011 Amtsantritt der ersten Regierung in Südsudan

Januar 2012 Stammeskämpfe in Jonglei mit 3000 Toten.
ND




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