Südsudans Existenz steht auf dem Spiel
Machtkampf entlang ethnischer Linien bringt Afrikas jüngsten Staat an den Rand eines Bürgerkriegs
Von Martin Ling *
In Kenia mühen sich ostafrikanische Politiker um eine Befriedung in Südsudan. Im Konfliktland selbst gehen die Kämpfe weiter und trieben bereits 120 000 Menschen in die Flucht.
Sie sind sich des Ernstes der Lage bewusst: die Staats- und Regierungschefs der zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde der ostafrikanischen Staaten IGAD. Seit Freitag versuchen sie in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, eine Verhandlungslösung für Südsudan auf den Weg zu bringen. Dabei gibt es freilich ein gewichtiges Problem: Keiner der beiden Streithähne, die den jüngsten Staat Afrikas gerade seiner bis dato schwersten Belastungsprobe aussetzen, sitzt mit am Tisch. Präsident Salva Kiir blieb in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Sein ehemaliger Stellvertreter Rieck Machar ist seit den Putschvorwürfen gegen ihn vor rund zwei Wochen untergetaucht. Aus dem Untergrund erklärte er sich in einem Interview zwar zu Friedensgesprächen bereit, doch diese müssten in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba stattfinden.
»Die südsudanesische Regierung spricht von einem Putschversuch, aber es gibt auch Hinweise darauf, dass der Auslöser der Kämpfe ein Streit zwischen Soldaten aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen war«, erläutert Wolf-Christian Paes gegenüber »nd«. Den in manchen Berichten zirkulierenden Begriff »Völkermord« hält der Südsudanexperte am Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC) für ungeeignet, um die Auseinandersetzungen zu charakterisieren. Es handele sich um einen Machtkampf entlang ethnischer Linien, wie er sich zwischen Dinka und Nuer immer wieder abgespielt hätte, zum Beispiel 1991, als Machar in Bor 2000 Dinka ermorden ließ. Dass der Konflikt starke ethnische Züge angenommen hat, sei jedoch unumstritten. Doch die Geschichte zwischen Dinka und Nuer sei nicht nur eine Geschichte der Gewalt, sondern auch eine wiederkehrender Aussöhnungen. »Beide Seiten betonen, dass die Tür zu Verhandlungen offen steht.« Die Frage sei jedoch, wie viele Opfer bis zu einer Verhandlungslösung noch zu beklagen seien und ob bei der Verhandlungslösung Strukturen geschaffen würden, die einen erneuten Rückfall in der Zukunft unwahrscheinlich machten, blickt Paes voraus. »Nun rächt sich, dass es in den acht Jahren seit dem Abschluss des Comprehensive Peace Agreements (CPA) 2005 nicht gelungen ist, das Militär in Südsudan zu reformieren«, kommentiert Paes. »Statt der angestrebten 90 000 Soldaten sind zwischen 2009 und 2011 gerade einmal 12 000 überwiegend ältere Kämpfer von der UN Friedenstruppe demobilisiert worden«, erklärt der BICC-Experte.
Die Chefin der UN-Mission in Südsudan, Hilde Johnson, erwartet eine baldige Verstärkung der Blauhelm-Einheiten. Die ersten zusätzlichen Soldaten würden bereits vor diesem Sonntag eintreffen, sagte sie dem britischen Rundfunksender BBC. Der UN-Sicherheitsrat hatte zu Weihnachten beschlossen, die Zahl der Soldaten unter UN-Mandat um 5500 auf 12 500 zu erhöhen. Sie sollen nicht zuletzt die Zivilbevölkerung schützen, von denen 120 000 auf der Flucht sind.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 28. Dezember 2013
Krieg in den Köpfen
Martin Ling über den bewaffneten Konflikt in Südsudan **
Ohne die Macht der Gewehrläufe wäre der Staat Südsudan nicht entstanden – so wenig wie ohne die Rückendeckung der USA, die Billigung Chinas und die Duldung Russlands. Schon bei den Friedensverhandlungen zwischen Nord und Süd seit 2002 saßen nur die Vertreter der bewaffneten Gruppen am Tisch, und dies setzte sich bei der Regierungsbildung im 2011 neu gegründeten Südsudan fort. Die Macht teilten sich der Chef der Sudanesischen Volksbewegung SPLM, Salva Kiir, und der einflussreiche Kommandeur Riek Machar. Ersterer ein Dinka, der andere ein Nuer, womit die beiden zahlenmäßig größten Ethnien Südsudans in der Regierung vertreten waren. Seit Kiir seinen Rivalen Machar im Juli 2013 schasste, war diese fragile Machtbalance passé, denn Dinka und Nuer verbindet eine Geschichte blutiger Konflikte.
Sowohl Kiir als auch Machar verdanken ihre Macht den Gewehrläufen. Beide waren sie als Militärs über Jahrzehnte einer Logik des Krieges verpflichtet. Offenbar scheinen sie dieser Logik auch zu Zeiten der Unabhängigkeit weiter zu folgen. Damit setzen sie die Existenz Südsudans aufs Spiel und machen Friedensverhandlungen zu einem extrem schwierigen Unterfangen.
Dass sich die Logik des Krieges Bahn brechen kann, liegt auch an einem Versäumnis der internationalen Gemeinschaft: Die 2005 im Friedensabkommen verabredete Demobilisierung der Kämpfer kam kaum voran und alle drückten die Augen zu. Eine Kehrtwende ist überfällig.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 28. Dezember 2013 (Kommentar)
Einstimmig verabschiedet am 24. Dezember 2013
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