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Liberaler Lärm

Südafrika: Opposition beschwört Wahlskandal

Von Christian Selz, Durban *

Der Aufschrei war riesig. Noch ehe das provisorische Endergebnis und der mit 62,2 Prozent der Stimmen klare Sieg des ANC bei den Parlamentswahlen in Südafrika am vergangenen Samstag feststand, verbreiteten sich die angeblichen Beweisbilder für einen Betrug wie ein Lauffeuer durch die Medien des Landes. Der private Nachrichtendienst ­Eyewitness News berichtete bereits am vergangenen Donnerstag von mehreren Müllsäcken voller Wahlzettel, die in Pretoria gefunden worden waren. In der Hauptstadtprovinz Gauteng hatte der regierende ANC bis zuletzt um seine absolute Mehrheit gezittert. Für Mmusi Maimane, Spitzenkandidat der oppositionellen Democratic Alliance (DA) stand sofort fest, daß es eine unlautere Beeinflussung gegeben haben mußte. »Das stellt die Legitimität des Wahlergebnisses in Gauteng in Frage«, lärmte Maimane. Seinen eigenen Parteikollegen blieb es später vorbehalten, den Skandal in heiße Luft zu verwandeln.

Um schneller voranzukommen, hätten die Offiziellen der Wahlstation in Lynnwood, einem wohlhabenden Stadtteil im Osten der Hauptstadt Pretoria, die bereits gezählten Stimmzettel in die Müllsäcke geworfen, erklärte Jordan Griffiths, der als Beobachter für die DA vor Ort war. »Das war in dem Moment der effizienteste Weg, die Stimmzettel getrennt zu halten«, so Griffiths gegenüber der Internetausgabe der Wochenzeitung Mail & Guardian. Er habe die finalen Ergebnisse wie alle anderen Partei-Agenten unterschrieben und vermute, daß die Säcke mit den Stimmzetteln beim Abbau des in einem Zelt untergebrachten Wahllokals schlicht vergessen worden seien. Er vermute Faulheit oder Inkompetenz als Gründe, so Griffiths, aber kein »Foulspiel«. Die DA-Vorsitzende Helen Zille bestätigte später via Twitter, daß die fraglichen Stimmen gezählt worden waren.

Die Bezeichnung »Nicht-Skandal« ist die passende Zusammenfassung eines DA-Wahlkampfs, in dem die neoliberale Partei viel vom Sieg tönte, aber nie eine Chance hatte. Ministerpräsident Gautengs wollte Maimane werden, am Ende hatte seine Partei mit 30,8 Prozent fast allein in der Hauptstadtprovinz, zu der mit Johannesburg auch die größte Stadt des Landes zählt, eine Million Menschen weniger überzeugen können als der ANC (53,6 Prozent). Der »Sieg für alle Südafrikaner«, als den Parteichefin Zille den landesweiten Stimmenzuwachs der DA um 5,6 Prozent am Freitag per Pressemitteilung verkaufen wollte, ist in Wirklichkeit die Manifestation der Schwäche der Opposition. Ganze 2,7 Prozent hat der ANC gegenüber den Wahlen 2009 verloren – trotz des Massakers an den Bergarbeitern von Marikana, trotz immer häufigerer Sozialproteste, trotz einer konstant hohen Arbeitslosenquote von 25 Prozent und trotz unzähliger Skandale um Vorteilsnahme, Selbstbereicherung, Vetternwirtschaft und Korruption innerhalb der Regierungspartei. Profitiert hat die im Parlament noch immer mehrheitlich durch Weiße vertretene Partei vom Kollaps der wirtschaftsnahen ANC-Abspaltung COPE, die nach internen Querelen von 7,3 Prozent der Stimmen 2009 auf nun 0,6 Prozent abrutschte.

Daß der ANC dennoch an Einfluß verliert, zeigt dagegen das Ergebnis der neugegründeten Partei »Economic Freedom Fighters« (EFF). Deren Parteichef Julius Malema – er selbst nennt sich »Oberbefehlshaber« – ist in seinen viel thematisierten Louis-Vuitton-Schuhen der Prototyp der neureichen politischen Kaste des Landes. Seit seinem Rauswurf aus dem ANC hat er es – strafrechtlicher Verfolgung wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Vorteilsnahme zum Trotz – aber geschafft, mit einem Programm radikaler Forderungen von Verstaatlichungen bis hin zu einer Landreform vor allem bei desillusionierten Jungwählern zu punkten. 6,4 Prozent der Stimmen hat die EFF gewonnen, größtenteils in ANC-Hochburgen. Dieser Protest an den Urnen, der in der Township Alexandra im Osten von Johannesburg nach weiteren unbelegten Fälschungsvorwürfen in Straßenschlachten mündete, ist für Südafrikas Regierungspartei die weitaus größere Gefahr. Begegnen kann der ANC ihr nur mit einer »radikalen Veränderung der Wirtschaftspolitik«, wie sie der Gewerkschaftsbund COSATU am Freitag in seiner Gratulationsbotschaft forderte. Die Wahlen sind vorbei. Der Kampf um Südafrikas politische Ausrichtung aber, der fängt erst richtig an.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Mai 2014


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